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       # taz.de -- TikTok drosselt Menschen mit Behinderung: Die Bequemlichkeitsfalle
       
       > Das angesagte soziale Netzwerk TikTok begrenzt die Reichweite von
       > Nutzer*innen mit Behinderung. Angeblich um sie zu schützen.
       
   IMG Bild: TikTok möchte – natürlich – für alle da sein. Ist es aber nicht
       
       TikTok ist die neueste angesagte Gute-Laune-Plattform im Netz. Inzwischen
       haben schon mehr als eine Milliarde Menschen die App heruntergeladen und
       publizieren ihre kurzen Videos, kommunizieren in Duetten miteinander,
       tanzen und lachen. TikTok hat eigene Stars und eigene Codes. Wie bei jedem
       „heißen Ding“ davor ist die Durchdringung seiner Funktionen fürs Erste den
       jungen Early Adoptern vorbehalten. Aber Vorsicht, [1][seit selbst die
       „Tagesschau“ mit dem Dienst experimentiert], kann man die Plattform wohl
       als im kommunikativen Mainstream angekommen betrachten.
       
       Im Hintergrund operiert jedenfalls ein internationaler Konzern, [2][das
       chinesische Unternehmen ByteDance]. Dass die Massen an Daten in irgendeiner
       Form gesteuert werden, und das nicht nur mit technischen Hilfsmitteln,
       überrascht kaum. Wie intensiv und auf welche Feinheiten fokussiert das
       jedoch passiert, ist erst durch einige Leaks bekannt geworden. Seit zwei
       Wochen präsentiert netzpolitik.org, eine Plattform für digitale Themen und
       Nachrichten, den letzten der Leaks – umfassend recherchiert und eingeordnet
       in inzwischen drei großen Beiträgen.
       
       [3][Im ersten] Bericht ging es um politische Kontrolle und Zensur von
       Inhalten, [4][im zweiten] um Unterdrückung von Kritik am Unternehmen und
       der Plattform selbst. Der [5][dritte Beitrag], über Moderationskriterien,
       die vorgeblich zum Schutz verletzlicher Nutzer*innen eingerichtet sind,
       sorgt aktuell für heftige Kritik an TikTok.
       
       Nicht zufällig wurde der Bericht am Vorabend des Internationalen Tages der
       Menschen mit Behinderungen veröffentlicht. Denn aus internen
       Moderationsregeln entnimmt netzpolitik.org, dass TikTok die Reichweite von
       bestimmten Nutzer*innen aktiv drosselt – zum Beispiel von Menschen, die mit
       Behinderungen leben. Begründet wird dieser Schritt, ebenfalls in den
       internen Dokumenten, mit dem Schutz dieser Menschen vor Mobbing. Die Logik
       dahinter ist, dass Nutzer*innen am besten vor Hatespeech und dergleichen
       bewahrt würden, wenn weniger Menschen ihre Beiträge sehen könnten.
       
       ## Schwelle zur Sichtbarkeit
       
       Dass damit das Prinzip jeder sozialen Plattform gebrochen wird, die
       zumindest theoretisch vorhandene weltweite Kommunikationsfähigkeit nämlich,
       scheint die Betreiberfirma nicht zu stören, Nutzer*innen dafür umso mehr.
       Das Unsichtbarmachen der „anderen“ ist eine gesellschaftlich praktizierte
       Bequemlichkeit, gegen die Aktivist*innen, ob aus der Enthinderungsbewegung,
       aus dem LGBTI-Kontext und traditionell auch Feminist*innen nicht ohne Grund
       Sturm laufen. Das Internet im Allgemeinen und soziale Medien im Besonderen
       hatten schon immer das Potential, genau diese Schwelle zur Sichtbarkeit zu
       nivellieren und Marginalisierten eine Stimme, ein Publikum und Verbündete
       zu geben.
       
       Das an sich Großartige der Selbstpublikation vor einem potentiellen
       Millionenpublikum hat selbstverständlich seine Schattenseiten.
       Missgünstige, hasserfüllte und menschenverachtende Kommentare können
       unglaublich verletzend sein, vor allem wenn sie in Kaskaden hundert- oder
       gar tausendfacher Beleidigungen und Drohungen kommen. Konzepte zum Schutz
       möglicherweise gefährdeter Individuen zu entwickeln, ist daher wichtig –
       und eine gewaltige Herausforderung. An ihrem Anfang muss aber zwingend das
       Gespräch mit diesen Menschen stehen und nicht ihre erneute, ungefragte
       Marginalisierung, dieses Mal im digitalen Raum.
       
       Die Unsichtbarmachung ist letztlich nicht nur eine vor der Welt, sondern
       auch eine vor dem Plattformbetreiber. Der spart so jede Menge Ressourcen
       für zugewandte und empathische Moderation. So aber geht es nicht.
       
       Ohne materielle und emotionale Investition wird niemand geschützt. Außer
       das Normalmittel, das sich so von der Pflicht zu solidarischem Handeln
       entbunden sehen kann. Neben uns Nutzer*innen selbst bleibt TikTok genauso
       wie Twitter und Facebook jedoch in genau dieser Pflicht. Ohne Wenn und
       Aber und Abkürzungen.
       
       3 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Tagesschau-sucht-junge-Zuschauer/!5638927
   DIR [2] /Tagesschau-sucht-junge-Zuschauer/!5638927
   DIR [3] https://netzpolitik.org/2019/gute-laune-und-zensur/
   DIR [4] https://netzpolitik.org/2019/die-kritik-drossel-von-tiktok/
   DIR [5] https://netzpolitik.org/2019/tiktoks-obergrenze-fuer-behinderungen/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniél Kretschmar
       
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