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       # taz.de -- Trainerduell Ancelotti versus Guardiola: Pragmatiker gegen Ideologe
       
       > Im Champions-League-Halbfinale trifft Real Madrid auf Manchester City.
       > Ihre Trainer könnten unterschiedlicher kaum sein.
       
   IMG Bild: Lässt seine Spieler machen: Ancelotti hat großes Vertrauen in sein Team
       
       Madrid taz | In den Köpfen sind noch die lustigen Bilder von der
       Meisterfeier am Wochenende. Wie Carlo Ancelotti mit dicker Sonnenbrille
       eine dicke Zigarre rauchte, eine dicke Haarsträhne im Gesicht. Doch
       spätestens am Dienstagmittag kehrte sichtbar der Ernst wieder ein bei Real
       Madrid. Im Trainingsanzug erläuterte Ancelotti seine Gedanken vor dem
       Champions-League-Halbfinal-Rückspiel gegen Manchester City – die
       wundersame Reise soll ja noch weitergehen.
       
       Wundersam, weil mit dem Gewinn der spanischen Liga vielleicht noch
       gerechnet werden konnte – nicht aber mit einer reellen Chance auf das
       Champions-League-Finale. Von einer „unglaublichen Chance“ spricht der
       Trainer. Ein 3:4 muss Ancelottis Elf heute umbiegen, der Optimismus ist
       groß. Gegen Paris St. Germain, wo man in der Gesamtwertung eine halbe
       Stunde vor Schluss mit 0:2 hinten lag, und Chelsea, wo es zehn Minuten vor
       Ende 3:4 hieß, hat man schon ganz anderes überstanden.
       
       Wundersam aber auch, weil nicht nur das Team um Luka Modric, 36, Toni
       Kroos, 32 und Karim Benzema, 34, als weit über den Zenit galt – sondern
       auch ihr Trainer. Ancelottis Karriere schien sich seit dem
       Champions-League-Sieg mit Real 2014 im sanften, aber stetigen Sinkflug zu
       befinden. Nach der Entlassung in Madrid [1][hielt er sich beim FC Bayern
       nur gut eine Saison], es folgten immer kleinere Klubs mit Neapel und
       Everton. Als Real vorigen Sommer überraschend Zinédine Zidane absprang,
       [2][schien Ancelotti nicht mehr als die beste Notlösung]: „Carletto“ kannte
       man wenigstens.
       
       Nun steht er als erster Trainer mit Meisterschaften in allen fünf großen
       Ligen da (vorher: AC Mailand 2004, Chelsea 2010, Paris St. Germain 2013,
       Bayern 2017) und er hat sich nicht verändert. Seine Stärken sind dieselben
       geblieben, seine Menschlichkeit gegenüber den Spielern, die Flexibilität in
       jeder Hinsicht, ob beim geschmeidigen Umgang mit sendungsbewussten
       Vorgesetzten und einer hyperventilierenden Presse, bei der Anpassung der
       Spielweise an die Gegebenheiten von Liga und Kader – oder an der
       Taktiktafel. Wie Lucas Digne, einer seiner Ex-Spieler bei Everton, sagt:
       „Er kann sein System mit einem Fingerschnippen ändern.“ Je nach Saisonphase
       und Form spielte Real auf Konter, dominant – oder, vor allem europäisch,
       einfach nur Heldenfußball.
       
       ## Einflussreichster Trainer des Jahrhunderts
       
       Steht Ancelotti also archetypisch für die Pragmatiker der Trainerbank, so
       trifft er heute auf sein exaktes Gegenteil: Pep Guardiola, einst sein
       Vorgänger bei den Bayern, ist wahrscheinlich der profilierteste Ideologe
       seines Berufsstandes. An den Details tüftelt er wie ein Besessener – in
       wichtigen Champions-League-Spielen gern auch mal zu viel –, aber nie würde
       er [3][von seiner grundsätzlichen Spielidee] abweichen. Passen, passen,
       passen, Ballbesitz und Angriff. Mit neuen oder neu vertieften Konzepten wie
       dem Pressing nach Ballverlust, der falschen Neun oder hybriden
       Außenverteidigern ist er zum wohl einflussreichsten Trainer des bisherigen
       Jahrhunderts avanciert. Den „besten der Welt“ nennt ihn Jürgen Klopp, der
       darauf auch ein paar Claims haben könnte.
       
       Auch Guardiola ist ein Weltenbummler, wenngleich er erst auf drei der fünf
       großen Ligen kommt. In Spanien, Deutschland und England hat er neun von
       zwölf möglichen Meisterschaften gewonnen – mehr als Ancelotti, der in
       seiner rund doppelt so langen Cheftrainerkarriere in jedem Land nur genau
       eine holte. Dafür führt der Italiener bei den Champions-League-Titeln mit
       drei zu zwei. Wichtige Matches sind seine Spezialität, weil er Spielern die
       Anspannung zu nehmen versteht. In Mailand hieß es, dass er dann gern Witze
       erzählt.
       
       Nach zwei Titeln dort eliminierte er auf dem Weg zum dritten mit Real 2014
       die Bayern Guardiolas mit einem 4:0-Auswärtssieg. Für den Katalanen war es
       die schlimmste Niederlage seiner Trainerkarriere; seither wartet er auf
       Erlösung und die Öffentlichkeit auf die Bestätigung, dass er es auch mit
       einem anderen Team als Barcelona schaffen kann. Während er noch nie
       entlassen wurde, halten Ancelotti in der Regel allein Resultate im Amt. Nur
       unter Silvio Berlusconi in Mailand durfte er zwischen 2001 und 2009 länger
       als zwei Jahre bleiben.
       
       Sein Landsmann Antonio Cassano beschuldigte Ancelotti kürzlich, nur auf
       individuelle Aktionen seiner Stars zu setzen: „Andere Teams entwickeln
       darüber hinaus auch wunderbaren Fußball.“ Guardiola ließe sich der
       gegenteilige Vorwurf machen: seine Autorenschaft ist so dominant, dass die
       Spieler es in großen Spielen vielleicht an Eigenverantwortung fehlen
       lassen. Der perfekte Trainer – er wäre in Wirklichkeit wohl die Mischung
       aus Carlo und Pep.
       
       4 May 2022
       
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