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       # taz.de -- Transparency-Chefin über Fall Graichen: „Es braucht eine Integritätskultur“
       
       > Transparency International will Aufklärung in der Graichen-Affäre.
       > Geschäftsführerin Mertens fordert bessere Strukturen im
       > Wirtschaftsministerium.
       
   IMG Bild: Achtung Rutschgefahr: Bei der Besetzung von Stellen sollten Interessenskonflikte offen gelegt werden
       
       taz: Frau Mertens, wie schwerwiegend sind die Vorwürfe gegen
       Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seinen Staatssekretär Patrick
       Graichen? 
       
       Anna-Maija Mertens: Mit Blick auf das Auswahlverfahren bei der Deutschen
       Energie-Agentur Dena sind sie schon schwerwiegend. Das Vorgehen ist
       schlicht nicht vereinbar mit dem kleinen Ein mal Eins, wie man
       Bewerbungsprozesse strukturiert, um keine Interessenskonflikte entstehen zu
       lassen. Wenn jemand in einen solchen Prozess involviert ist, aber einen der
       Bewerberinnen oder Bewerber privat kennt, reicht das oft, um sich
       rauszunehmen. Ich kenne das aus meinem Job und hätte gedacht, dass das in
       den Ministerien auch so passiert.
       
       Die Stelle bei der Dena soll nun neu besetzt werden. Die Opposition fordert
       den Rücktritt von Graichen. Welche Konsequenzen halten Sie für sinnvoll? 
       
       Es ist gut und konsequent, dass der Prozess neu aufgerollt werden soll. Das
       ist notwendig, aber es reicht noch nicht aus. Wir fordern eine ganz
       intensive Analyse des Vorgangs: Wie konnte das passieren? Diese Aufklärung
       sollte im Haus passieren. Aber dann muss diese interne Analyse auch
       transparent gemacht werden, sodass wir als Außenstehende nachvollziehen
       können, was passiert ist und welche Konsequenzen das Ministerium daraus
       zieht.
       
       Was muss geschehen, um so etwas in der Zukunft zu vermeiden? 
       
       Es braucht eine ordentliche Inte-gritätskultur. Man muss im Haus darüber
       reden, wie man Interessenkonflikte versteht. Die sind ja an sich noch
       nichts Schlimmes. Wir alle – ob im Hauptamt oder im Ehrenamt – sind mit
       unterschiedlichen Interessen unterwegs, die auch kollidieren können. Gerade
       im beruflichen Kontext müssen diese Konflikte dann geregelt werden. Dafür
       braucht es gerade in herausgehobenen Stellen eine besondere Sensibilität.
       
       Welche strukturellen Änderungen schlagen Sie vor? 
       
       Patrick Graichen hätte nicht nur selbst auf die Idee kommen müssen, sich
       herauszuziehen. Man braucht ordentliche Strukturen, etwa ein Sechs- oder
       Acht-Augen-Prinzip. Kollegen links und rechts hätten darauf schauen und
       sagen müssen: Das geht natürlich gar nicht. Je mehr Macht oder Geld im
       Spiel ist, desto mehr Augen braucht es.
       
       Wie handhaben Sie das in Ihrem eigenen Haus? 
       
       Meine Kalender sind offen. Falls es mir nicht schon selbst aufgefallen ist,
       können mich Kolleginnen und Kollegen immer darauf hinweisen, dass mich ein
       weiterer Kollege lieber zu einem Termin begleiten sollte. Diese Routine
       sollte man so einbauen, dass sie gar nicht vergessen werden kann. Das soll
       auch nicht negativ konnotiert sein, dass man jemanden etwa verdächtigt.
       Diese Offenheit bringt im Gegenteil auch sehr viel, weil die Kollegen
       vielleicht noch mehr sehen und weitere Ideen haben.
       
       Über die “Trauzeugen-Affäre“ hinaus gibt es ja noch andere enge
       Beziehungen, etwa zwischen Patrick Graichen und seinen Geschwistern im
       sogenannten Öko-Institut. Wo sehen Sie die Trennlinie zwischen legitimen
       Netzwerken und problematischen Seilschaften? 
       
       Die Frage ist immer: Besteht die Gefahr, dass man jemanden bevorzugen
       möchte? Gibt es weitere Gründe, die mich als Entscheidungsträger hindern,
       nur nach objektiven Kriterien einzustellen oder Gelder zu verteilen? Das
       betrifft die Verwandtschaftsverhältnisse der Geschwister Graichen, aber
       auch enge Freundschaften.
       
       Erstmal ist es nicht verwunderlich, dass just die Grünen in diesem Bereich
       unterwegs sind. Sie haben das Thema “Energiewende“ vor mehr als 20 Jahren
       aufgegriffen und dann die Expertise entwickelt. Man muss sich die
       Interaktionen vielmehr genau anschauen. Es kann etwa bei Vergaben kein
       Ausschlusskriterium sein, dass ein Geschwisterteil in der Organisation
       sitzt, die den Auftrag bekommen soll, und ein anderer im Ministerium. Man
       muss es nur so regeln, dass diese Personen aus dem Prozess herausgenommen
       werden.
       
       Wo würden Sie in Deutschland sonst noch Nachholbedarf in der Bekämpfung von
       Interessenskonflikten und Korruption sehen? 
       
       Interessenkonflikte können sich nicht nur bei Verwandtschaften oder engeren
       Beziehungen ergeben, sondern auch bei wirtschaftlichen Beteiligungen, etwa
       an der gleichen Firma. Der Europarat fordert von Deutschland schon länger,
       dass Staatssekretäre und Minister ihre Vermögensverhältnisse offenlegen
       müssen. So könnte man das sichtbar machen.
       
       10 May 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leon Holly
       
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