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       # taz.de -- Trend „True Crime“-Formate: Mörder unter uns
       
       > Auch Serienmacher haben entdeckt: Verbrechen verkaufen sich gut. Mit
       > prominenter Besetzung startet nun ein weiteres „True Crime“-Format.
       
   IMG Bild: Nachgestellter Fall bei „Aktenzeichen XY … ungelöst“ aus dem Jahr 2009
       
       Stefan Effenberg hat eine Vorliebe, die viele Deutsche mit ihm teilen
       dürften: Er lese gerne Krimis, und ganz besonders gerne Biografien über
       Serienmörder, hat seine Frau Claudia mal im Fernsehen verraten. Er schaue
       auch „dieses Crime im Fernsehen, wo Mordfälle aufgeklärt werden“.
       Verbrechen verkaufen sich eben gut, nicht nur im Buchladen, sondern auch in
       Fernsehen, Radio und Zeitschriften.
       
       Somit dürfte „Protokolle des Bösen“, eine Eigenproduktion des Münchener
       Pay-TV-Privatsenders A&E Germany, auch zumindest in seiner Anlage das
       Interesse der Zuschauer wecken. Die Sendung zeigt nachgestellte Gespräche
       des Profilers Stephan Harbort mit fünf Serienmördern, die darin von den
       deutschen Filmgrößen Michaela May, Detlef Bothe, Sven Martinek, Uwe
       Ochsenknecht und Fritz Wepper verkörpert werden.
       
       In zwanzigminütigen Folgen will die Serie herausfinden, „warum Menschen zu
       Mördern werden“, und verlässt sich dabei auf die wortgetreue Wiedergabe der
       Interviewsituationen, aufgebrochen lediglich durch Einschätzungen, die
       Harbort direkt an die Zuschauer richtet.
       
       ## Der Klassiker
       
       Es ist kein Zufall, dass die kammerspielartige Inszenierung an Romuald
       Karmakars Kinoerfolg „Der Totmacher“ von 1995 erinnert. Für Emanuel
       Rotstein, Director Production von A&E Germany, diente der Spielfilm, in dem
       Götz George den zum Tode verurteilten Serienmörder Fritz Haarmann spielt,
       als Inspirationsquelle – und damit als Abgrenzungsmerkmal: „Wir inszenieren
       dicht und ohne Pathos, mit einem starken Fokus auf die Psyche der Täter,
       ohne sie aus der Verantwortung zu nehmen. Zudem drehen wir auf
       Spielfilmniveau und sprechen die Bildsprache der großen Leinwand. Alles für
       das deutsche Fernsehen ein Novum.“
       
       Tatsächlich ist das ambitionierte Projekt stilistisch gelungen, doch
       ausgerechnet die beschworene Authentizität der Originaltexte funktioniert
       weniger. Die Darstellungen wirken zu distanziert und theatralisch, ein
       wirklich emotionaler Zugang zur Gedankenwelt der Straftäter bleibt
       verschlossen.
       
       Crime-Dokumentation haben im deutschen Fernsehen eine lange Tradition. 1967
       begann der Journalist und Moderator Eduard Zimmermann im ZDF mit Hilfe der
       Zuschauer Verbrechen aufzuklären. „Aktenzeichen XY … ungelöst“ ist bis
       heute eine der erfolgreichsten Sendungen im deutschen Fernsehen, sowohl was
       die Zuschauerquote, als auch was die Aufklärungsquote betrifft: Bei einer
       Auswertung 2007 kam heraus, dass 42 Prozent der in der Sendung diskutierten
       Kriminalfälle gelöst werden konnten.
       
       Es ist also kein Wunder, dass mittlerweile auch Serienautoren reale
       Verbrechen für sich entdeckt haben. In sogenannten „True Crime“-Geschichten
       erzählen sie dokumentationsartig Kriminalfälle nach, die tatsächlich
       passiert sind. Ein aktuelles Beispiele ist „The Jinx“ (dt. „Der
       Unglücksbringer: Das Leben und die Tode des Robert Durst“, 2015 bei HBO).
       Die sechsteilige Doku-Serie erzählt von dem New Yorker Immobilienerben
       Robert Durst, der binnen zwei Jahrzehnten in drei mysteriöse Mordfälle
       verwickelt zu sein schien, aber bislang von keinem Gericht belangt werden
       konnte.
       
       ## LeserInnen wollen echte Geschichten
       
       Die vieldiskutierte Serie „Making A Murderer“, von Laura Ricciardi und
       Moira Demos für den Video-on-Demand-Anbieter Netflix, begleitet zehn Jahre
       lang den spektakulären Fall von Steve Avery, der erwiesenermaßen 18 Jahre
       unschuldig im Gefängnis saß. Kurz nach seiner Freilassung wurde er erneut
       festgenommen und auf Grundlage zweifelhafter Indizien für einen neuen Mord
       zu lebenslanger Haft verurteilt.
       
       „Wahre Verbrechen fassen den Leser stärker an, sie berühren den Leser mehr
       als fiktionale Geschichten“, erklärt Giuseppe di Grazia, stellvertretender
       Chefredakteur des Stern und seit einem guten Jahr auch Redaktionsleiter des
       neuen Titels Stern Crime. Das aufwendig recherchierte und gestaltete
       Monatsmagazin widmet sich ebenfalls ausschließlich „echten“
       Kriminalgeschichten und ihren Hintergründen.
       
       „Der Leser interessiert sich für das, was wirklich geschah, für die
       Vorgeschichte und die Motive, er interessiert sich für die Menschen, die
       darin verwickelt sind. Er möchte wissen, warum es zu den Verbrechen kam und
       wie sie aufgeklärt wurden.“ Mit durchschnittlich rund 80.000 verkauften
       Exemplaren, darunter mehr als 10.000 Abonnenten, nennt di Grazia sein
       Magazin eine „wahre Print-Erfolgsgeschichte“. Laut Leseranalyse ist der
       durchschnittliche Leser des Heftes rund 35 Jahre alt und zu 81 Prozent
       weiblich.
       
       Weniger als „True Crime“- denn als „True Story“-Format bezeichnet der
       Radioreporter Wolf Siebert die mit seiner Kollegin Dörthe Nath produzierte
       Podcast-Reihe „Alles so normal. Warum starben Elias und Mohamed?“ Die
       sechsteilige Sozial-Reportage lief im Juni dieses Jahres im Radio des RBB
       und rekonstruierte das Verschwinden der beiden Jungen aus Potsdam und
       Berlin sowie den Prozess ihres Mörders Silvio S.
       
       „Wir wollten ein Format schaffen, das Hörerinnen und Hörer anspricht, die
       sich auch für die sozialen, psychologischen, gesellschaftlichen
       Hintergründe eines Verbrechens interessieren, denn niemand wird als Mörder
       geboren“, so Siebert. „Psychologische Besonderheiten, familiäre
       Bedingungen, soziales Umfeld und andere Faktoren können dazu führen, dass
       aus einem bis zur Tat unauffälligen Menschen ein ‚Täter‘ wird. Diese
       eminent wichtigen Faktoren kommen aber in der Berichterstattung häufig zu
       kurz oder gar nicht vor.“
       
       ## Die Neulinge
       
       Es ist bereits der zweite Kriminalfall, den der RBB mit einem Podcast
       aufarbeitet. Die Vorarbeit zum Erfolg dieses Formats verdankt der Sender
       auch der US-Journalistin Sarah Koenig und ihrem im Oktober 2014 gestarteten
       Podcast „Serial“.
       
       In zwölf Episoden hatte Koenig ihre investigativen Recherchen im Fall der
       1999 ermordeten 18-jährigen Schülerin Hae Min Lee und ihres zu lebenslanger
       Haftstrafe verurteilten Exfreunds Adnan Syed dokumentiert – und damit
       weltweit ein Millionenpublikum erreicht. „‚Serial‘ war nicht Vorbild,
       sondern Ermutigung: Ein solches Format kann funktionieren!“, kommentiert
       Siebert den Einfluss, den das US-Format auf ihre journalistische Arbeit
       gehabt habe.
       
       Dabei hofft er, dass es in Zukunft möglich ist, auch mit Inhalten abseits
       von Kriminalfällen ein ähnlich großes Publikum zu finden, was sich im
       krimiverliebten Deutschland tatsächlich als äußerst schwierig erweisen
       dürfte. Aber vielleicht gibt es Hoffnung: Stefan Effenberg soll nämlich
       auch ein Faible fürs Gärtnern haben.
       
       26 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Mayer
       
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