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       # taz.de -- UN-Studie zur Onlinekriminalität: Cyberbetrüger wider Willen
       
       > Laut UN-Menschenrechtshochkommissariat zwingen in Südostasien kriminelle
       > Banden angelockte Migranten mit Gewalt zum globalen Onlinebetrug.
       
   IMG Bild: Polizei betritt auf den Philippinen, ein Büro, wo Menschen zur Cyberkriminalität gezwungen wurden
       
       Berlin taz | Hunderttausende Menschen werden in Südostasien zu
       Cyberkriminalität gezwungen. Sie machen Menschen zu Betrugsopfern – sind
       aber auch selbst Opfer von Verschleppung, Menschenhandel, Zwangsarbeit,
       physischer Gewalt und Schuldknechtschaft.
       
       Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag in Genf vom Büro des
       Hochkommissars für Menschenrechte vorgelegte [1][Studie]. „Sie sind Opfer.
       Sie sind keine Kriminellen“, sagte der [2][UN-Menschenrechtskommissar
       Volker Türk] bei der Vorstellung der Studie über das milliardenschwere
       Betrugsgeschäaft. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es bei diesem komplexen
       Phänomen [der Cyberkriminalität] zwei Sorten Opfer gibt.“
       
       Die späteren Cyberbetrüger würden meist auf der Basis vermeintlich
       attraktiver Jobangebote in Trollfabriken gelockt und dort unter
       sklavenähnlichen Bedingungen eingesperrt. Mit Gewaltandrohung würden sie
       dann zu grenzüberschreitendem digitalem Betrug gezwungen. Trollfabriken
       arbeiteten oft von Casinostandorten aus, aber auch aus grenznahen
       Sonderwirtschaftszonen, stellt die Studie fest.
       
       Sie nennt keine Gesamtzahl zwangskrimineller Opfer, hält aber Schätzungen
       von 120.000 Personen in Myanmar und 100.000 in Kambodscha für realistisch.
       Die südostasiatischen Länder Myanmar, Thailand, Laos und die Philippinen
       sind demnach das Zentrum des globalen Cyberbetrugs.
       
       ## Kontakte zu Betrugsopfern über soziale Netzwerke
       
       Die dazu gezwungenen Personen kämen aber nicht nur aus diesen Ländern,
       sondern würden auch aus Brasilien, Ägypten, der Türkei, Ostafrika,
       Südasien, Vietnam, Indonesien und China dorthin gelockt.
       
       Die Betrugsmasche funktioniere in der Regel so, dass die Cybersklaven über
       soziale Netzwerke und Datingplattformen ihre Opfer kontaktieren und sie,
       etwa durch vermeintliche Online-Flirts, zu Investitionen in betrügerische
       Onlinebörsen und manipulierte Kryptowährungsgeschäfte überreden. Die so
       Betrogenen verlieren meist sämtliche Ersparnisse, verschulden sich oft noch
       und verlieren Ansehen und Selbstachtung.
       
       Die Studie konzentriert sich auf die zwangskriminellen Opfer und stellt
       mehrere Trends fest: Seien die Hauptländer, von denen der von Banden
       organisatierte systematische Cyberbetrug ausgeht, früher selbst nur
       Herkunftsländer von Migranten gewesen, seien sie jetzt Zielländer des
       kriminellen Menschenhandels.
       
       Die angelockten Migranten neue Typs seien keine verarmte Landbevölkerung,
       sondern überwiegend höher gebildete Männer mit Fremdsprachen- und
       Digitalkenntnissen. Treibende Faktoren der Cyberkriminalität sind die
       Verbreitung des grenzüberschreitenden Online-Glücksspiels, die
       Digitalisierung und die Verwerfungen durch die Coronapandemie.
       
       ## Die Coronapandemie förderte die Onlinekriminalität
       
       Die Lockdowns hätten die Casino-Industrie schwer getroffen, sodass deren
       kriminelle Elemente ihre Cyberaktivitäten in kaum regulierte Gebiete
       verlagert hätten. Auch seien viele Migranten arbeitslos in fremden Ländern
       gestrandet und dann für dubiosere Jobangebote empfänglich geworden. Und
       zugleich hätten viele Menschen wegen der Lockdowns deutlich mehr Zeit
       online verbracht und seien so anfälliger für Cyberbetrug gewesen.
       
       Weitere Gründe seien grassierende Korruption, schwache Regulierungen,
       erodierende Staatlichkeit, Straflosigkeit und auch Beschränkungen der
       Pressefreiheit. So hätte die Cyberkriminalität in Myanmar nach dem Putsch
       2021 stark zugenommen. Zum einen kontrolliere die dortige Militärjunta
       viele Gebiete nicht effektiv, zum anderen würden bewaffnete Gruppen wie
       auch das Putschmilitär selbst versuchen, von Cyberbetrügereien zu
       profitieren.
       
       Die Studie betont, dass es zuerst darum gehen müsse, die Menschenrechte der
       zwangskriminellen Opfer zu schützen. So müssten etwa Grenzbeamte und
       Polizisten lernen, Opfer von Menschenhandel und Verschleppung zu erkennen
       und zu schützen, statt sie zu bestrafen.
       
       „Nur ein ganzheitlicher Ansatz kann den Kreislauf der Straflosigkeit
       brechen und Schutz und Gerechtigkeit für diejenigen sichern, die so
       schrecklich missbraucht wurden“, sagte Türk.
       
       29 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://bangkok.ohchr.org/wp-content/uploads/2023/08/ONLINE-SCAM-OPERATIONS-2582023.pdf
   DIR [2] https://www.ohchr.org/en/press-releases/2023/08/hundreds-thousands-trafficked-work-online-scammers-se-asia-says-un-report
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Hansen
       
       ## TAGS
       
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