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       # taz.de -- US-Demokrat Joe Manchin: Der Verhinderer aus West Virginia
       
       > Im Alleingang hat der demokratische Senator Joe Manchin das große
       > Sozialreformpaket von Joe Biden gestoppt. Wer ist dieser Mann?
       
   IMG Bild: Joe Manchin im Keller des US-Kapitols
       
       Das Aus kam [1][während eines TV-Interviews]. Am Sonntag erklärte Joe
       Manchin, Senator aus West Virginia, ausgerechnet bei Fox News, dass er
       [2][nicht für das Reformpaket von US-Präsident Joe Biden stimmen könne].
       „Ich habe alles Menschenmögliche unternommen“, sagte er, „ich kann nicht
       guten Gewissens zustimmen.“
       
       Bei den aktuell ausgeglichenen Machtverhältnissen im Senat reicht ein
       einziger Überläufer, um die Pläne der Demokratischen Partei zu
       durchkreuzen. Und ohne Manchins Stimme ist das 1,75-Billionen-Dollar-Paket
       im US-Senat chancenlos.
       
       Das Paket hätte eine der größten Investitionen in die Sozialstruktur der
       Vereinigten Staaten bedeutet, vergleichbar nur mit Franklin D. Roosevelts
       „New Deal“ und Lyndon B. Johnsons „Great Society“-Reformen. Nun ist der
       Traum von Joe Biden, die USA sozialer und klimafreundlicher zu gestalten,
       ernsthaft in Gefahr.
       
       Der Mann, der zur neuen Hassfigur unter Demokraten avanciert ist, heißt Joe
       Manchin. Der 74-jährige Senator stoppte nicht nur das Vorzeigeprojekt des
       Präsidenten, sondern liefert den Republikanern auch politische Munition, um
       bei den Kongresswahlen im kommenden Jahr die Mehrheiten sowohl im
       Repräsentantenhaus als auch im Senat zurückzuerobern.
       
       ## Er torpediert
       
       Warum sich Manchin so deutlich gegen die Partei, die Wählerschaft und Biden
       stellt, weiß am Ende nur er selbst. Doch ein Blick auf seine Person gibt
       zumindest etwas Aufschluss über seine Beweggründe. Denn es ist nicht das
       erste Mal, dass Manchin gegen die Interessen seiner Partei gestimmt hat.
       „Es ist typisch für ihn, die politische Agenda der Demokraten zu
       torpedieren“, sagte Walt Auvil, der im Exekutivkomitee der Demokratischen
       Partei von West Virginia sitzt, im Gespräch mit der taz.
       
       Auvil, der seit fast einem halben Jahrhundert bei den Demokraten aktiv ist,
       erinnert sich ungern an die Gouverneurswahlen im Jahr 1996 zurück. Manchin
       war damals einer der Kandidaten im Rennen um das höchste Amt in West
       Virginia. Allerdings musste er sich bereits bei den parteiinternen
       Vorwahlen der Linkspolitikerin Charlotte Pritt geschlagen geben.
       
       Doch statt seine Parteikollegin im Wahlkampf gegen ihren republikanischen
       Herausforderer zu unterstützen, schrieb Manchin einen Brief an führende
       Demokrat*innen im Bundesstaat. Darin erklärte er, dass er bei den
       Gouverneurswahlen für den Republikaner Cecil Underwood stimmen würde. Pritt
       habe „kein Interesse, sich der Probleme von konservativen und moderaten
       Demokraten anzunehmen“. Underwood gewann die Wahl.
       
       ## Handeln aus Eigeninteresse
       
       „Er ist kein echter Demokrat und er war es nie“, sagte Charlotte Pritt, die
       trotz ihrer Niederlage als erste Spitzenkandidatin in West Virginia
       Geschichte schrieb. Allein im laufenden Jahr sprach Manchin sich gegen zwei
       Waffenkontrollgesetze aus und stoppte eine Verfügung im
       Corona-Rettungspaket, die den Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde
       angehoben hätte. Beides wurde von der großen Mehrheit der Demokraten
       befürwortet.
       
       Als Grund für seine erneute Ablehnung nannte Manchin die steigende
       Inflationsrate und das wachsende Staatsdefizit der USA. Aber nicht nur der
       Senator Bernie Sanders kritisierte diese Begründung als vorgeschoben:
       „Manchin hat für eine starke Erhöhung des Militärhaushalts gestimmt“, sagte
       Sanders im TV-Interview mit CNN auf die Frage nach den Kosten.
       
       Auch Auvil hält die Diskussion um Inflation und Kosten für haltlos. In
       Wirklichkeit gehe es Manchin nur um eins – und das ist Joe Manchin. „Er
       macht das, was ihm selbst, seinen politischen Interessen und den Interessen
       seiner politischen Geldgeber zugutekommt“, so Auvil.
       
       ## Diskrepanz zwischen Manchin und seinen Wähler:innen
       
       Manchin, der seit 2010 den Kohlestaat West Virginia im Senat vertritt,
       begann seine politische Karriere im Alter von 35 Jahren. 1982 zog er als
       Abgeordneter ins Abgeordnetenhaus von West Virginia ein. Nach der
       Niederlage bei den Gouverneursvorwahlen 1996 versuchte es Manchin acht
       Jahre später noch einmal, mit Erfolg. Für sechs Jahre regierte er den
       Bundesstaat.
       
       Neben seiner Verbindung zur Kohleindustrie und seiner Affinität zu Waffen
       hat Manchin nur wenig mit der Mehrheit der Menschen in West Virginia
       gemeinsam. Manchin ist Millionär, fährt einen Maserati und lebt auf einem
       Hausboot, wenn er in Washington ist. Der Name seines Bootes – „Almost
       Heaven“ – ist dabei eine Anspielung auf den Song „Take Me Home, Country
       Roads“ von John Denver. Darin wird West Virginia als „Almost Heaven“
       beschrieben.
       
       Landschaftlich kann man das sicher gelten lassen, doch ansonsten ist in
       West Virginia nur wenig himmlisch. Der Bundesstaat zählt zu den ärmsten im
       Land. Knapp 16 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Hinzu
       kommt ein großes Drogenproblem. Trotz eines starken Rückgangs in den
       vergangenen Jahrzehnten ist der Kohlebergbau noch immer die größte
       Industrie.
       
       Welche Rolle diese Diskrepanz zwischen Manchins persönlicher
       wirtschaftlicher Situation und der seiner Wähler*innen bei seiner
       Entscheidung gegen das Gesetz gespielt hat, ist unklar. Doch laut Experten
       hätten viele Menschen in West Virginia von den Reformpaket profitiert.
       
       Sozialdienstleister warnen, dass etwa 50.000 Kinder in West Virginia
       gefährdet sind, unter die Armutsgrenze zu rutschen, sollten die monatlichen
       Kindergeldzahlungen, die im Corona-Hilfspaket verabschiedet wurden, nicht
       verlängert werden. Manchin sprach sich öffentlich gegen die Verlängerung
       aus, die im Gesetzentwurf enthalten gewesen wäre. Er glaube, dass die
       monatlichen Zahlungen Eltern davon abhalten würden, arbeiten zu gehen.
       
       Untersuchungen belegen allerdings das Gegenteil. Und ohne Kinderbetreuung
       könnten in Zukunft noch mehr Eltern den Arbeitsmarkt verlassen. Das Weiße
       Haus und viele Demokraten fühlen sich von Manchin hintergangen.
       Pressesprecherin Jen Psaki spracht von einer „unerklärlichen Kehrtwende“.
       
       ## Republikaner feiern Manchin wie einen Helden
       
       Walt Auvil, der wahrlich kein Freund des Senators ist, meint, wer nun
       überrascht sei, habe zuvor nicht aufgepasst. Zu keiner Zeit habe Joe
       Manchin erklärt, dass er das Gesetz unterstützen werde.
       
       Republikaner feiern Manchin hingegen wie einen Helden. Immerhin hat dieser
       fast im Alleingang Bidens Agenda ausgebremst. Der republikanische
       Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, plädiert seit Jahren für einen
       Parteiwechsel Manchins. „Es wäre eine großartige Idee, wenn er auf unsere
       Seite kommen würde. Mit West Virginia vertritt er einen tiefroten Staat“,
       sagte McConnell, „ich glaube jedoch nicht, dass es dazu kommen wird.“
       Manchin selbst hält sich dazu bedeckt.
       
       Trotz des Rückschlags will Joe Biden versuchen, Teile des Reformplans
       umzusetzen. „Senator Manchin und ich werden etwas zustande bringen“, sagte
       er am Dienstag.
       
       23 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=h61hhGMe_oA
   DIR [2] /Reformpaket-von-Biden-vor-dem-Aus/!5823057
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hansjürgen Mai
       
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