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       # taz.de -- Überschuldete Kommunen durch Corona: Städte, Schulden und das Virus
       
       > Überschuldete Kommunen geraten durch Corona in eine ausweglose Lage.
       > Finanzminister Scholz will mit Milliarden Euro unterstützen. Hilft das
       > dauerhaft?
       
   IMG Bild: Klare Botschaft: Finanzminister Scholz am Rande einer SPD-Fraktionssitzung
       
       Berlin taz | Wenn der Bus nicht kommt, kann das daran liegen, dass die
       Stadt kein Geld hat. Wenn die Toiletten in der Schule schlecht riechen, hat
       die Schulverwaltung vielleicht die Sanierung der Rohre verschoben. Löcher
       in den Straßen, komische Öffnungszeiten der Stadtbibliothek, hohe Preise im
       Schwimmbad, seit vergangenem Jahr ist das Jugendzentrum geschlossen? Oft
       hängt die alltägliche Lebensqualität der Bürger*innen davon ab, wie reich
       oder arm ihre Kommune ist.
       
       Wie sich die Finanzlage der Städte und Gemeinden verbessern lässt, ist Teil
       der aktuellen Debatte über das geplante Konjunkturpaket gegen die
       [1][Coronakrise]. Das beschließt die Bundesregierung eventuell in der
       kommenden Woche.
       
       Denn die Pandemie verschärft auch die Geldnöte Tausender Stadtverwaltungen.
       Dabei geht es um zwei zentrale Punkte: erstens um die hohen Ausfälle der
       Gewerbesteuer durch die Schließung von Geschäften und Firmen. Diese Steuer
       ist eine wesentliche Einnahmequelle der Kommunen. Zweitens um die alten
       Schulden, die viele Städte am Investieren hindern.
       
       Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat kürzlich einen [2][„kommunalen
       Solidarpakt 2020“] vorgeschlagen. Er will, dass Bund und Länder den
       Kommunen je zur Hälfte die knapp 12 Milliarden Euro Gewerbesteuerausfälle
       diesen Jahres ersetzen.
       
       ## Nicht allein von den Schulden runter
       
       Außerdem sollen Bund und Länder jeweils 50 Prozent der alten Städteschulden
       übernehmen. Gut 2.000 von rund 11.000 Kommunen vor allem in
       Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland stehen mit ungefähr
       45 Milliarden Euro in der Kreide – Ergebnis etwa der Abwicklung der
       Kohleindustrie, von hoher Arbeitslosigkeit und steigenden Sozialkosten.
       
       Von den Schulden kommen die Städte aus eigener Kraft nicht mehr runter. Die
       Zins- und Tilgungszahlungen verhindern Investitionen. Deswegen steht das
       Problem schon lange auf der Agenda der Bundesregierung. Nun will Scholz es
       auf einen Rutsch lösen. Sein Argument unter anderem: Übernähmen der Bund
       und die Länder die Kommunalkredite je zur Hälfte, würde das beide jeweils
       weniger als 1 Milliarde Euro jährlich kosten – ein zu verschmerzender
       Betrag. Denn Bundes- und Landesregierungen müssten die Schulden ja nicht
       zurückzahlen, sondern nur die Zinsen entrichten. Trotzdem kommt von den
       Ländern teilweise Widerstand, vor allem aus Bayern.
       
       Eine entscheidende Frage bei der Angelegenheit ist diese: Wie lässt sich
       verhindern, dass die Kommunen in den nächsten Jahren gleich wieder in die
       Schuldenfalle rutschen? In Scholz’ Vorschlag heißt es dazu: „Die an der
       Entschuldungsmaßnahme teilnehmenden Länder verpflichten sich, einen
       erneuten Aufbau übermäßiger kommunaler Liquiditätskredite zu verhindern.“
       
       Mit Verboten der Länder an die Kommunen und Kontrolle dürfte es dabei nicht
       getan sein. Schließlich wird es darum gehen, wie die Städte und Gemeinden
       mehr Geld erhalten. Diese Debatte ist im Gange. So spricht Helmut Dedy, der
       Geschäftsführer des Städtetages, von einer „Mindestfinanzausstattung der
       Kommunen“ durch die Länder. „Dann hätten auch finanzschwache Kommunen eine
       stabilere Basis, um ihre Aufgaben zu erfüllen“, so Dedy.
       
       Heißt konkret? „Eine Lösung könnte darin bestehen, den Kommunen
       Sozialausgaben abzunehmen“, sagt Martin Beznoska vom Institut der deutschen
       Wirtschaft in Köln (IW), „etwa die Kosten der Unterkunft für
       Hartz-IV-Empfänger, die sich 2018 auf rund 13 Milliarden Euro beliefen.“
       Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund und die Gewerkschaft Verdi
       forderten in einer am Donnerstag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung,
       die Kommunen sollten „von den Mehrausgaben entlastet werden, die
       pandemiebedingt für Kosten der Unterkunft und Leistungen nach SGB II
       anfallen“.
       
       Heute sind die Städte für gut die Hälfte der Wohnungskosten zuständig – ein
       dicker Brocken, der vor allem arme Städte belastet. Die Länder, aber auch
       der Bund müssten einspringen. „Zudem könnte man, wenn die wirtschaftliche
       Notlage es erfordert, die Kommunen in größerem Maße an der Einkommens- oder
       an den Umsatzsteuereinnahmen beteiligen“, rät Marius Clemens vom Deutschen
       Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
       
       Vermutlich ist diese Diskussion noch nicht abgeschlossen, wenn das
       Corona-Konjunkturpaket auf dem Tisch liegt.
       
       29 May 2020
       
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   DIR Hannes Koch
       
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