URI: 
       # taz.de -- Unionspolitiker gegen Seenotrettung: Menschenrettung im Mittelmeer
       
       > CDU-Politiker kritisieren, dass die Bundesregierung finanziell
       > Seenotrettung unterstützt. Das begründen sie mit einer umstrittenen
       > Behauptung.
       
   IMG Bild: Schon mehr als 2.500 Menschen haben in diesem Jahr die Flucht übers Mittelmeer mit dem Leben bezahlt
       
       Berlin taz | In der Union mehren sich die Stimmen, die sich mehr oder
       weniger deutlich dafür aussprechen, noch mehr Menschen im Mittelmeer
       ertrinken zu lassen. Die Forderung der rechtsgerichteten italienischen
       Regierung, dass die [1][Bundesregierung ihre Zuschüsse für private
       Seenotrettungsvereine] im Mittelmeer einstellt, sei „berechtigt“, sagte der
       für Außenpolitik zuständige Vizevorsitzende der Unionsfraktion, Johann
       Wadephul, der Welt.
       
       „Faktisch, wenn natürlich auch ungewollt, ermöglichen die
       Rettungsorganisationen den menschenverachtenden Schleuserbanden deren
       Geschäft“, so Wadephul. „Dafür sollte kein deutsches Steuergeld verwendet
       werden.“
       
       Ähnlich hatte sich zuvor bereits Wadepuhls Parteifreund Wolfgang Schäuble
       geäußert. Er verstehe „die Verärgerung der Italiener darüber, dass
       Deutschland Seenotrettung-NGOs im Mittelmeer staatlich unterstützt, die
       Flüchtlinge eben nicht nur retten, sondern auch nach Europa bringen“, sagte
       der frühere Bundestagspräsident in einem Interview mit Zeit Online. „Das
       ist die Geschäftsgrundlage für die Schlepperkriminalität“, so Schäuble.
       
       Als „mehr als erschütternd“ bezeichnete SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese die
       Äußerungen aus den Reihen der CDU in Sachen Seenotrettung. „Wenn es um
       Menschen geht, die man vor dem Ertrinken bewahrt, dann darf es kein Abwägen
       geben“, sagte er der Welt.
       
       ## CDU-Position „ziemlich faktenfrei“
       
       Der Sprecher der grünen Europaabgeordneten, Rasmus Andresen, wies die
       Kritik, staatliche Zuschüsse zur Seenotrettung beförderten ungewollt
       Schleusungen von Flüchtlingen, als „ziemlich faktenfrei“ zurück.
       Wissenschaftliche Studien hätten belegt, dass dies nicht der Fall sei.
       Deshalb sei es eine „sehr gute Sache“, dass der Haushaltsausschuss des
       Bundestages Zuschüsse zur Seenotrettung beschlossen habe, sagte der
       Europapolitiker dem Fernsehsender phoenix.
       
       Darüber hinaus bewertete Andresen die Verhandlungen zwischen den
       EU-Mitgliedsländern über die sogenannte Krisenverordnung im europäischen
       Asylkompromiss kritisch. Unter anderem drohe die Absenkung von
       Menschenrechtsstandards. „Eine wochenlange Inhaftierung unschuldiger
       Menschen“ führe nicht dazu, dass die großen Herausforderungen in der
       Asylpolitik gelöst würden, kritisierte Andresen.
       
       Gleichwohl würde seine Partei einen [2][europäischen Asylkompromiss nicht
       blockieren], versicherte er. Die Grünen seien vielmehr bereit, bei der
       Registrierung von Geflüchteten an den EU-Außengrenzen „lösungsorientierten
       Maßnahmen“ zuzustimmen, sagte Andresen.
       
       Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan
       Thomae, sagte der Welt: „Wir müssen die EU-Außengrenzen besser schützen und
       irregulärer Migration entgegenwirken.“ Dafür müsse die
       EU-Grenzschutzagentur Frontex weiter gestärkt werden. „Dazu gehört
       perspektivisch auch die Übernahme der Seenotrettung im Mittelmeer“, so
       Thomae. „Die Ausschiffung der Geretteten in Drittstaaten mit
       Migrationsabkommen muss der Regelfall werden.“
       
       Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger warnte hingegen vor einem solchen
       Vorgehen. Als konkretes Beispiel nannte sie den Fall Tunesiens: „Wenn zu
       befürchten ist, dass [3][Tunesien Menschen in der Wüste aussetzt], ist das
       ein schwerwiegendes Hindernis, Menschen dorthin zurückzubringen“, sagte
       sie.
       
       Bünger sprach sich für den Umbau von Frontex in eine europäische
       Seenotrettungsagentur aus. „Die Bundesregierung sollte sich für eine
       staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer
       einsetzen, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde“, sagte die
       fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Außerdem bräuchte es
       „sichere Fluchtwege, damit niemand mehr ertrinken muss“. Sie rief die
       Politiker:innen aller demokratischen Parteien auf, „die
       unverantwortliche Stimmungsmache gegen die Aufnahme von Geflüchteten sofort
       zu beenden“.
       
       Laut [4][Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR] sind bislang etwa
       186.000 Flüchtlinge in diesem Jahr im Süden Europas angekommen. Davon
       sollen mehr als 102.000 von Tunesien aus die gefährliche Fahrt übers
       Mittelmeer gewagt haben, mehr als 45.000 seien von Libyen aus gestartet.
       Die Zahl der Vermissten und Toten im Zeitraum von Anfang Januar bis zum 24.
       September liegt laut UNHCR bei mehr als 2.500 Menschen. Die UN-Organisation
       für Migration (IOM) bezifferte mit Stand 25. September die Zahl der Toten
       und Vermissten im Mittelmeer auf 2.778.
       
       2 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /EU-Asylkompromiss-von-Italien-blockiert/!5960872
   DIR [2] /Gruene-und-EU-Asylrecht/!5964210
   DIR [3] /Tunesien-deportiert-Migrantinnen/!5947548
   DIR [4] /Flucht-ueber-das-Mittelmeer-im-Jahr-2023/!5963191
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Geflüchtete
   DIR Seenotrettung
   DIR CDU
   DIR Eisenhüttenstadt
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Seenotrettung
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Abkommen
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Seenotrettung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Seenotrettung im Mittelmeer: Insgesamt 175.000 Menschen gerettet
       
       Seit zehn Jahren sind private Seenotretter auf dem Mittelmeer im Einsatz.
       Nun zogen die Organisationen Bilanz – und forderten endlich sichere
       Fluchtwege.
       
   DIR Kriminalisierung von Seenotrettung: Zweifel sind nicht angebracht
       
       Das Innenministerium bestreitet, dass es Seenotretter:innen
       kriminalisiere. In anderen Ländern Europas ist das längst Alltag.
       
   DIR Flucht nach Europa über Kanaren: Über 1.100 Menschen erreichen Küsten
       
       Der spanische Rettungsdienst Archipel vermeldet die Ankunft von mehreren
       Booten auf den Kanarischen Inseln. Die Zahl der Fliehenden ist deutlich
       gestiegen.
       
   DIR Gelderstreichung war Technik-Versehen: Bund finanziert Seenotretter doch
       
       Erst distanzierte sich der Kanzler, dann tauchte der Posten nicht mehr im
       Haushaltsentwurf auf. Jetzt heißt es: Bis 2026 werden Bundesmittel in die
       Rettung Geflüchteter fließen.
       
   DIR Abkommen zu Migration: Tunesien lehnt EU-Finanzhilfe ab
       
       Die EU will 127 Millionen Euro dafür geben, die Flucht nach Europa
       einzudämmen. Doch Präsident Saied sieht darin einen Widerspruch zu früheren
       Absprachen.
       
   DIR Elon Musk hetzt gegen Seenotrettung: Post vom Auswärtigen Amt
       
       Elon Musk teilt den Tweet eines rechtsextremen Accounts zur Seenotrettung
       im Mittelmeer. Das Auswärtige Amt kontert – und Musk antwortet erneut.
       
   DIR Grüne und EU-Asylrecht: Grüne im Regen
       
       Die SPD feiert sich für das angebliche Machtwort des Kanzlers in der
       EU-Asylpolitik. Die Grünen müssen wider ihre Überzeugung klein beigeben.
       
   DIR Seenotretter über Lampedusa: „Die Boote sinken sofort“
       
       An der Überforderung auf Lampedusa ist auch die italienische Küstenwache
       Schuld, sagt Seenotretter Gorden Isler. Denn die blockiert
       Rettungsmissionen.