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       # taz.de -- Unterbringung von Flüchtlingen: Beschweren soll einfacher werden
       
       > Eine unabhängige Beschwerdestelle soll das Leben in Flüchtlingsheimen
       > leichter machen. Klar ist: bei vielen Problemen wird sie nicht helfen
       > können.
       
   IMG Bild: Am Tag der offenen Tür in der Unterkunft für Flüchtlinge in der Haarlemer Straße in Neukölln
       
       Der „Flüchtlingssommer 2015“ ist lange vorbei, niemand muss mehr in
       Turnhallen wohnen oder zugigen Flugzeughangars. Doch noch immer leben rund
       19.000 Geflüchtete in 77 Gemeinschaftsunterkünften – und für viele werden
       die Heime angesichts des leer gefegten Wohnungsmarkts wohl auf Jahre ihr
       „Zuhause“ bleiben.
       
       Das Heimleben aber schafft Probleme: etwa weil die Zimmer sehr klein sind
       (rechnerisch stehen jedem Flüchtling 6 Quadratmeter zu), die Hausordnung
       streng (Besucher müssen um 22 Uhr gehen). Manche Küchen haben zu wenige
       Herde für zu viele Familien, manche Security-Mitarbeiter behandeln
       BewohnerInnen respektlos, manche Kinder bekommen keinen Kitaplatz, manche
       Männer schlagen ihre Frauen.
       
       Ab dem kommenden Jahr können sich Flüchtlinge mit derartigen Problemen an
       eine behördenunabhängige Beschwerdestelle – kurz: UBS – wenden. Vorbild ist
       die Stadt Köln, wo es eine solche Einrichtung in Trägerschaft einer
       sozialen Organisation schon länger gibt. In der UBS sollen
       SozialarbeiterInnen die Klagen von HeimbewohnerInnen aufnehmen, zusätzlich
       Geflüchtete als „mobile LotsInnen“ in die Heime gehen und dort die Menschen
       befragen. Die Beschwerden werden an die zuständigen Stellen – etwa das
       Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), den Betreiber oder Bezirk –
       weitergeleitet; nach zwei Wochen soll es eine Rückmeldung geben, ob und was
       in der Sache passiert ist.
       
       Wie genau die Stelle ausgestaltet werden sollte und was in einem solchen
       Prozess, an dem viele Akteure beteiligt sind, zu beachten ist, war
       Gegenstand eines einjährigen Pilotprojekts, dessen Ergebnisse am Mittwoch
       vorgestellt wurden. Ziel sei, „ein Gesamtbild zu erhalten über die Zustände
       und Probleme in den Heimen“, sagte Senatorin Elke Breitenbach (Linke) – und
       so die Qualität der Heimunterbringung, wenn man schon nicht auf sie
       verzichten kann, zu verbessern.
       
       ## „Zu nah an der Behörde“
       
       Nun ist es nicht so, dass Geflüchtete bislang keine Möglichkeit haben, sich
       zu beschweren. Die meisten Heime haben „Briefkästen“ – aber fragt man
       BewohnerInnen, wissen sie oft nicht, wofür sie gut sind. Auch kontrolliert
       das LAF, teils unangekündigt, ob die Betreiber die vertraglich vereinbarten
       Qualitätsstandards einhalten. Allerdings reden sie dabei primär mit
       Heimleitung und MitarbeiterInnen, sagen Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer.
       
       Zudem gibt es eine Beschwerdestelle beim LAF, aber die zuständige
       Sachbearbeiterin ist nur per E-Mail erreichbar. 2018 wurde das Amt auf
       diesem Weg laut LAF-Sprecher Sascha Langenbach 50-mal kontaktiert, 2019
       bislang 27-mal. An diesem System „gibt es mehrere Kritikpunkte“, sagte
       Breitenbach – vor allem, dass die LAF-Stelle „zu nah an der Behörde“ sei,
       nur per Telefon erreichbar und nur auf Deutsch ansprechbar.
       
       Wenig verwunderlich kam der Anstoß für eine unabhängige Stelle denn auch
       von Geflüchteten selbst. Die Monitoring Group, ein Zusammenschluss von
       Dutzenden Flüchtlingsfrauen, die seinerzeit in überfüllten Turnhallen leben
       mussten, haben seit Jahren den Senat zum Handeln gedrängt. Daraus entstand
       das Pilotprojekt, an dem einige der Frauen selbst als LotsInnen
       mitgearbeitet haben.
       
       Acht dieser auch „Turnhallenflüsterer“ genannten Männer und Frauen gingen
       einmal wöchentlich in zwölf ausgesuchte Heime, befragten Flüchtlinge mit
       einem vorbereiteten Fragebogen nach ihrer Zufriedenheit und nahmen
       Beschwerden auf. 292 Fragebögen und 449 Beschwerden kamen so zusammen. Die
       allermeisten bezogen sich auf Probleme der Kategorie „Wohnbereich“ (etwa zu
       kleines Zimmer), „hausinterne Angelegenheiten“ (zum Beispiel Angebotszeiten
       für Sozialberatung) „Miteinander/Zusammenleben“ (Sauberkeit der
       Gemeinschaftsküchen). Es gab relativ wenige Beschwerden über das Personal,
       etwa zu diskriminierendem Verhalten – und diese hätten sich meist im
       Gespräch klären lassen, sagte Projektleiter Max Krieger der taz.
       
       ## Anonymität gewährleistet
       
       Die große Überraschung: Kein einziger Geflüchteter hat sich über Gewalt,
       sexueller oder anderer Natur, beklagt. Dass es die in Heimen nicht gibt,
       könne natürlich nicht sein, so Krieger. Tatsächlich berichtete der taz eine
       der Lotsinnen, Rajaa Alkhlefawi aus dem Irak, ihr hätten mehrere Frauen von
       sexueller Gewalt durch ihre Männer berichtet – aber nicht in der
       Sprechstunde, sondern erst, als sie sie außerhalb des Heims erneut
       getroffen habe.
       
       Amira Ahmad, wie Alkhlefawi eine der Frauen von der Monitoring Group,
       forderte daher für die künftige Beschwerdestelle einen „sicheren Ort. Das
       kann nicht der Tatort sein, da trauen sich die Menschen nicht zu sprechen.“
       Die Koordinatorin des Projekts bei der Sozialverwaltung, Sybill Schulz,
       sagte, man habe das Problem erkannt. Es sei ja auch geplant, zusätzlich zu
       den aufsuchenden LotsInnen eine zentrale Anlaufstelle einzurichten,
       außerhalb der Heime, so dass auch Anonymität gewährleistet ist.
       
       Überhaupt ist Vertrauen ein zentrales Erfordernis für das Gelingen der
       künftigen UBS. Das ist eine der Erkenntnisse der wissenschaftlichen
       Begleitung der Alice-Salomon-Hochschule. Die LotsInnen hätten berichtet,
       erklärten die StudentInnen am Mittwoch, dass manche Geflüchtete nicht am
       Projekt hätten teilnehmen wollen aus Angst vor negativen Folgen. Zudem
       hätten die Lotsinnen das mühsam über Wochen aufgebaute Vertrauen vieler
       Geflüchteter wieder verloren hätten – weil Probleme eben nicht immer gelöst
       worden seien. Und auch Alkhlefawi sagte: „Anfangs waren die Flüchtlinge so
       froh, dass wir kamen, aber es gab keine Lösung für viele Probleme.“ So sei
       in einem Heim die Küche wochenlang gesperrt gewesen, da der Herd kaputt war
       – eine Familie mit sechs Kindern sei darüber fast verzweifelt.
       Projektleiter Krieger sagt allerdings, alle Betreiber seien sehr bemüht
       gewesen, die Probleme abzustellen.
       
       Unbestritten ist, dass es „strukturelle“ Probleme gibt, die nicht oder kaum
       lösbar sind, etwa die Zimmergröße. Aber, so befand Flüchtlingshelfer
       Christian Lüder von „Berlin hilft“: Die Verwaltung könne durchaus mehr „von
       den Bedürfnissen der Menschen ausgehen, nicht von den Erfordernissen der
       Verwaltung“. Stichwort hier zum Beispiel: Lockerung des
       Übernachtungsverbots für BesucherInnen.
       
       ## Keine Anordnungsbefugnis
       
       Lüder forderte zudem, dass die UBS auch die Kompetenz bekommen muss, Druck
       zu machen, falls in einer Sache nichts passiert. „Wir brauchen eine Stelle,
       die Probleme lösen kann“, sagte er. Schulz stellte allerdings auf
       taz-Nachfrage klar: Die UBS wird keine Anordnungsbefugnis – etwa gegenüber
       womöglich unwilligen Betreibern – bekommen. Heißt: Sie kann nur auf
       Kooperation setzen.
       
       Klar ist zudem: Perspektivisch soll die Beschwerdestelle auch auf die Heime
       für Wohnungslose in den Bezirken ausgeweitet werden. Dort seien die
       Zustände teilweise viel schlimmer als in Flüchtlingsheimen, weil es oft gar
       keine Verträge mit den Betreiben und darin festgelegten Qualitätsstandards
       gebe, sagte Breitenbach. „Dem muss der Hahn abgedreht werden. Alle Menschen
       haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.“
       
       15 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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