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       # taz.de -- Unterstützerin von Gisèle Pelicot: „Für mich sind diese Männer keine Menschen mehr“
       
       > Bei ihrem Vergewaltigungsprozess erhält Gisèle Pelicot Unterstützung von
       > den feministischen „Amazones d’Avignon“. Die Gründerin spricht über den
       > Fall.
       
   IMG Bild: Blandine Deverlanges und ihre „Amazonen“ bei einer Kundgebung für Gisèle Pelicot
       
       taz: Frau Deverlanges, erinnern Sie sich an das erste Mal, als Sie [1][von
       den] [2][„] [3][Vergewaltigungen von Mazan“] gehört haben? 
       
       Blandine Deverlanges: Es war bei einem Treffen meines feministischen Chors
       im Frühling 2021. Eine der Frauen las uns einen Zeitungsartikel darüber aus
       La Provence vor. Bei dem Treffen haben wir dann nicht mehr gesungen,
       sondern nur noch darüber gesprochen. Wir wussten, dass es sich um etwas
       Unsägliches handelte. Aber gleichzeitig war uns das Ausmaß von Dominique
       Pelicots Verbrechen überhaupt nicht klar.
       
       taz: Er hat seine Frau mit Lorazepam betäubt, sie dann vergewaltigt und
       anderen zur Vergewaltigung angeboten, und das viele Male. Wurden Sie bei
       diesem Treffen Ihres Chors zur feministischen Aktivistin? 
       
       Deverlanges: Ich bin als Feministin geboren. Ich kann mich an keinen Moment
       in meinem Leben erinnern, in dem ich keine Feministin war. Allerdings war
       ich nicht immer Aktivistin. Mit etwa 47 oder 48 Jahren fing ich damit an.
       2019 habe ich die „Amazones d’Avignon“ gegründet.
       
       taz: Was machen die „Amazones d’Avignon“? 
       
       Deverlanges: Wir sind eine radikalfeministische Gruppe, die gegen
       männliche Gewalt kämpft. Am Anfang lag unser Fokus [4][auf Femiziden], nach
       und nach haben wir unseren Aktionsradius auf alle Formen männlicher Gewalt
       ausgeweitet. Wir haben gesprüht und Banner im öffentlichen Raum geklebt.
       Erst waren wir sehr naiv und wurden oft von der Polizei erwischt. Heute
       lassen sie uns meistens in Ruhe. Vor etwa einem Jahr haben wir dann
       erfahren, dass der Pelicot-Prozess hier in Avignon stattfinden würde.
       
       taz: Die „Amazonen“ waren vom ersten Tag des Prozesses an im Gerichtssaal
       anwesend. 
       
       Deverlanges: Ja, wir sind immer da. Wir wechseln uns ab und machen Notizen,
       damit wir darüber, was wir gehört haben, diskutieren können. Wir sind auch
       oft im Gerichtsfoyer und sprechen mit den Frauen, die erschüttert aus den
       Anhörungen kommen, denn was dort beschrieben wird, ist äußerst gewalttätig.
       Wir sind auch da, um Gisèle zu applaudieren. Ich war es, die damit
       angefangen hat. Seitdem ist es zu einem Ritual geworden. Nachts kleben wir
       dann unsere Transparente. Und zwischendurch arbeiten wir, denn wir haben
       natürlich auch Jobs.
       
       taz: Was machen Sie beruflich? 
       
       Deverlanges: Ich bin Lehrerin für Wirtschaft, Soziologie und
       Politikwissenschaft an einem Gymnasium.
       
       taz: Reden Sie mit den Schüler_innen über den Prozess? 
       
       Deverlanges: Natürlich. Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern gehören
       zu meinem Fach. Außerdem leben die Schüler_innen auch in Avignon: Überall
       sind Journalist_innen, und auch die Täter laufen ständig in der
       Öffentlichkeit rum. Hier herrscht eine seltsame Atmosphäre. Für die
       Schüler_innen ist es wichtig zu verstehen, was passiert ist, also nehme ich
       mir die Zeit, es ihnen zu erklären.
       
       taz: Sie waren knapp 15 Tage selbst im Gerichtssaal. Was war das für ein
       Gefühl, diese Masse der Angeklagten zu sehen?
       
       Deverlanges: Es ist beängstigend, es ist ekelhaft, es ist abscheulich. Wenn
       ich diese Männer sehe, wird mir physisch schlecht. Im ersten Monat des
       Prozesses musste ich mich zu Hause oft übergeben. Meine Freundinnen
       berichteten dasselbe. Diese Männer zeigen nicht einmal Reue, außer darüber,
       dass sie erwischt wurden. Wenn es eine Entschuldigung gibt, ist sie
       erbärmlich. Sie bereuen auch nicht, Gisèle vergewaltigt zu haben. Für mich
       sind diese Männer keine Menschen mehr.
       
       taz: Sie haben unvorstellbare Dinge getan. Aber ist es nicht trotzdem
       falsch, ihnen das Menschsein abzusprechen? 
       
       Deverlanges: Ich verstehe, dass dieser Satz schockierend ist. Es kommt
       darauf an, was man unter einem Menschen versteht. Diese Männer haben eine
       Frau vergewaltigt, die den Anschein machte, tot zu sein. Und sie zeigen
       keine Reue. Das entspricht nicht meiner Definition von Menschsein, es tut
       mir leid.
       
       taz: Unter den Angeklagten befinden sich Feuerwehrmänner, Lkw-Fahrer,
       Krankenpfleger … 
       
       Deverlanges: Und sogar ein Journalist.
       
       taz: In den Medien liest man oft, dass es sich um „ganz normale Männer“
       handelt. Was sagt uns diese Beschreibung?
       
       Deverlanges: Dass Vergewaltigung keine Frage des Bildungsniveaus ist, keine
       Frage des Reichtums, nicht einmal eine Frage sexuellen „Mangels“, denn die
       meisten von ihnen waren in Beziehungen. Es gibt kein typisches Profil. Wie
       „normal“ diese Männer sind, erzählt uns eigentlich nur von männlicher
       Gewalt. Das sind Männer, die durch die Gewalt, die sie Frauen zufügen
       können, sexuell erregt werden. Was all diese Männer gemeinsam haben, ist,
       dass sie Pornos konsumiert haben. Viele von ihnen zahlten auch für sexuelle
       Handlungen, also für Prostitution – in Frankreich ist das im Gegensatz zu
       Deutschland [5][eine Straftat]. Das heißt, es sind die Freier, die eine
       Straftat begehen, und die Frauen sind die Opfer. Und wir sind sehr stolz
       auf dieses Gesetz.
       
       taz: Welche Rolle spielen Pornografie und Prostitution? 
       
       Deverlanges: Als radikale Feministin sehe ich ganz klar, dass Pornografie
       und Prostitution ein Kernaspekt des Prozesses sind. Wir haben den Beweis
       vor Augen, was sie anrichten.
       
       taz: Sehr viele Menschen [6][konsumieren Pornos] und werden trotzdem nicht
       zu Vergewaltigern. 
       
       Deverlanges: Man sollte eher fragen: Wie hoch ist der Prozentsatz der
       Vergewaltiger, die keine Pornografie konsumieren? Verschwindend klein. Ich
       habe außerdem Überlebende der Pornoindustrie kennengelernt. Für mich
       bedeuten Pornos, sich zu Vergewaltigungen einen runterzuholen. Die
       Angeklagten sind nur zur Tat geschritten, das ist alles. Das ist ein
       blinder Fleck in der feministischen Debatte. Pornos und Prostitution beuten
       Frauenkörper zur sexuellen Befriedigung von Männern aus.
       
       taz: Wobei es auch Prostituierte gibt, die sagen, sie haben diesen Beruf
       frei gewählt. 
       
       Deverlanges: Ich arbeite in einer Organisation, die Prostituierte
       begleitet. Diese Frauen sagen, dass der einzige Weg, um zu überleben, darin
       besteht, sich genau das einzureden. Selbst wenn es einige wenige Frauen
       gibt, die das freiwillig machen, würde ihre Freiheit rechtfertigen, dass
       die anderen alle unterdrückt sind? Leider gibt es auch in der
       feministischen Welt eine Reihe von Gruppierungen, die vorgeben,
       feministisch zu sein, aber Pornos und Prostitution für okay halten. Im
       Übrigen sind sie zu dem Thema im Pelicot-Prozess auffallend still.
       
       taz: Welche Rolle spielt es, dass der Prozess öffentlich gemacht wurde? 
       
       Deverlanges: Es verändert alles. Dass das auf ausdrücklichen Wunsch des
       Opfers geschah, dient dazu, Dinge sichtbar zu machen, die einige lieber
       verbergen würden. Was soll verborgen werden? Wem nützt es, etwas zu
       verbergen? Den Tätern. Sexualstraftäter zum Beispiel, die Kinder
       missbrauchen, sagen immer den gleichen Satz: „Das bleibt unser Geheimnis.“
       
       taz: Während des Prozesses [7][wurde Gisèle Pelicot zu einer Ikone der
       feministischen Bewegung]. Funktioniert diese Bewegung nur mit einer Ikone?
       
       Deverlanges: Nein, ganz und gar nicht. Zunächst einmal lehne ich den
       Begriff „Ikone“ ab, weil er eine religiöse Konnotation hat. Eine Ikone
       verlangt Verehrung. Ich bin Gisèle unendlich dankbar und bewundere sie
       zutiefst. Das habe ich ihr auch gesagt. Aber ich denke, es ist keine gute
       Idee, sie zu einer Ikone zu machen.
       
       taz: Warum? 
       
       Deverlanges: Es wäre eine weitere Last auf ihren Schultern. Sie hat uns
       bereits ein Geschenk gemacht, das sehr groß ist, nämlich das ihrer
       Geschichte. Sie hat es ermöglicht, dass wir uns ihre Geschichten aneignen.
       Aber wir werden Gisèle nicht anbeten und dann hoffen, dass sich Dinge
       ändern. Feminismus besteht in Wirklichkeit aus Frauen, die sich horizontal
       organisieren, um einen Kampf gegen Gewalt zu führen. Wir brauchen dabei
       keine Anführerin.
       
       taz: Gisèle Pelicot hat sich mit einem Ihrer Transparente fotografieren
       lassen. Darauf stand: „Seit ich in den Gerichtssaal gekommen bin, fühle ich
       mich gedemütigt.“
       
       Deverlanges: Ja, ich habe das Foto gemacht. Und das Banner geklebt.
       
       taz: Warum haben Sie dieses Zitat gewählt? 
       
       Deverlanges: Wir haben Collagen zu verschiedenen Themen gemacht. Manche
       gegen die Vergewaltiger. Auf weiteren drücken wir unsere Unterstützung für
       Gisèle aus. Und dann haben wir eine Reihe mit Sätzen aus der Anhörung
       gestaltet. Eines Tages ging Gisèle aus dem Gerichtssaal und sagte diesen
       Satz. Versuchen Sie, sich in ihre Lage zu versetzen: Sie sitzt vier Monate
       lang mit ihren Vergewaltigern im selben Raum. Ich habe die Angeklagten
       gesehen: Sie strecken uns die Zunge raus, sie werfen uns Luftküsse zu, sie
       zeigen uns den Stinkefinger – sie funktionieren wie eine Meute. Und dann
       gibt es die Anwälte der Täter, die als Verteidigungsstrategie Opfer
       belästigen und verunglimpfen. Zum Beispiel Strafverteidiger wie Nadia El
       Bouroumi. [8][Sie schikanierte Gisèle buchstäblich].
       
       taz: Was hat sie gemacht? 
       
       Deverlanges: Sie verlangte, dass Fotos im Gerichtssaal gezeigt werden, die
       die Vergewaltigungen überhaupt nicht betrafen. Fotos aus der Privatsphäre.
       Sie behauptete, Frau Pelicot sei eine Exhibitionistin. Ich werde diese
       Argumente nicht weiter ausführen. Aber El Bouroumis Ziel war eindeutig,
       Gisèle Pelicot zu demütigen.
       
       taz: Eine weitere Aggression … 
       
       Deverlanges: Und die funktioniert. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie
       Caroline, Gisèles Tochter, oder David, ihr Sohn, aus dem Gerichtssaal gehen
       mussten und im Foyer in Tränen ausgebrochen sind. Es ist unerträglich, wenn
       man Opfer solch schrecklicher Verbrechen ist, den Mut hat, Gerechtigkeit zu
       fordern, sich seinen Tätern entgegenzustellen, und dann weitere Angriffe
       ertragen muss. Wir finden das unmenschlich. Und deshalb haben wir den Satz,
       den Gisèle darüber gesagt hat, auf ein Plakat genommen.
       
       taz: Wie ist das Foto entstanden? 
       
       Deverlanges: Wir haben für das Banner einen Ort ausgesucht, an dem Gisèle
       Pelicot oft vorbeigeht. Einen Tag nachdem wir es aufgeklebt hatten, war ich
       wieder dort. Als ich überprüfte, ob der Klebstoff hält, kam sie vorbei. Sie
       las den Satz laut vor und sagte: „Aber ja, ich erinnere mich, wann ich das
       gesagt habe.. Sie bedankte sich bei uns und sagte: „Grâce à vous, je suis
       debout.“ – „Dank Ihnen stehe ich noch.“ Es sind diese Momente, in denen ich
       das Gefühl habe, dass die Dinge an ihrem Platz sind, dass sich all das
       lohnt.
       
       taz: Sie haben die Anfeindungen im Gerichtssaal erwähnt. War Ihre Gruppe
       auch direkten Angriffen ausgesetzt?
       
       Deverlanges: Einmal habe ich vorm Gerichtsgebäude mit der Presse
       gesprochen, als die Angeklagten herauskamen. Einer fing an, sich zu
       beschweren, dass es seiner Mutter wegen der Berichterstattung schlecht
       gehe. Jemand sagte zu ihm: „Sie hätten doch auch nicht gewollt, dass man
       Ihrer Mutter so etwas antut.“ Da rastete er aus. Aus zehn Meter Entfernung
       schrie ich rüber: „La honte!“, also: „Schäm dich!“ Er geriet vollkommen
       außer sich und rief zu mir: „Du wirst sehen, deine Mutter werde ich auch
       vergewaltigen.“ Vor der Polizei, vor den Anwälten, vor den Medien.
       
       taz: Wie gehen Sie mit so etwas um? 
       
       Deverlanges: Natürlich macht das etwas mit mir. Ich bin autistisch. Das ist
       vielleicht wichtig zu wissen, auch wenn ich selbst erst seit Kurzem davon
       weiß. Aber vielleicht erklärt das, warum ich so sensibel für Dissonanzen
       und Ungerechtigkeiten bin. Ich denke, dass mein Feminismus auch daher
       kommt.
       
       taz: Avignon ist nicht groß. Kannten Sie einen der Täter schon davor? 
       
       Deverlanges: Ich persönlich kenne keinen der Angeklagten, aber es gibt
       viele Frauen, die einen der Täter schon davor kannten oder sogar selbst
       Opfer waren. Eine Freundin wurde vom Vater eine der Angeklagten
       vergewaltigt. Sie hat nie Gerechtigkeit erfahren. Ich kenne diese Männer
       erst seit dem Prozess: Auf der Straße und auf dem Weg zum Gericht zum
       Beispiel – man ist ständig von ihnen umgeben. Und da sie mich mittlerweile
       erkennen, machen sie Fotos, filmen und verfolgen mich. Es gibt ständig
       Einschüchterungsversuche.
       
       taz: Welche Erwartungen haben Sie an den Prozess? 
       
       Deverlanges: Wir erwarten, dass die Gesellschaft endlich sagt: Es reicht!
       Stoppt Vergewaltigungen und stoppt die Vergewaltigungskultur. Wir wollen,
       dass jeder der Angeklagten eine exemplarische Strafe erhält. Das
       Strafgesetzbuch sieht für Vergewaltigung 15 Jahre Gefängnis vor und 5
       Jahre für erschwerende Umstände. Und es gibt mindestens zwei davon für
       jeden von ihnen.
       
       taz: Welche? 
       
       Deverlanges: In manchen Fällen war es Gruppenvergewaltigung, in anderen die
       Verabreichung von Substanzen oder die Aufnahme von Bildern mit sexuellem
       Inhalt ohne das Wissen des Opfers. Bisher liegen die Anklageschriften weit
       unter dem, was wir erhoffen.
       
       taz: Nämlich? 
       
       Deverlanges: Wir fordern die Höchststrafe, also 20 Jahre für jeden.
       
       taz: So viel, wie die Staatsanwaltschaft für Dominique Pelicot fordert? 
       
       Deverlanges: Das ist doch das Minimum. 20 Jahre für Dominique Pelicot
       wirken sehr mild für das, was er begangen hat. Aber weil er 20 Jahre
       bekommt, schlagen die Staatsanwälte im Umkehrschluss niedrigere Strafen für
       die anderen Angeklagten vor. Es ist zwar wahr, dass das Ausmaß ihrer
       Verbrechen im Vergleich zu Pelicots geringer ist, aber das macht ihre
       Gewalttaten nicht weniger schwerwiegend. Es bleiben immer noch
       Vergewaltigungen.
       
       taz: Bringen härtere Strafen denn etwas? 
       
       Deverlanges: 99,4 Prozent der Vergewaltigungen führen in Frankreich zu
       keiner Verurteilung. Wenn Männer wüssten, dass sie ins Gefängnis kämen,
       hätte das auf jeden Fall eine abschreckende Wirkung. Dass so viele
       Vergewaltigungen ungestraft bleiben, hat eher einen Anreizeffekt. All diese
       Männer gingen zu Gisèle, um sie zu vergewaltigen, weil sie dachten, dass
       sie damit davonkommen. Sie haben sich zwar geirrt – aber dass sie vor
       Gericht stehen, ist sehr außergewöhnlich. Eine Frau, die vergewaltigt
       wurde, hat ihr ganzes Leben damit zu kämpfen. Man kann nicht
       ent-vergewaltigt werden. 20 Jahre Haft sind dagegen lächerlich. Ob diese
       Männer leiden, ist uns egal. Ich hoffe, dass sie leiden. Ich gehe sogar so
       weit zu sagen, dass sie sich von mir aus umbringen können, umso besser.
       
       taz: Puh. 
       
       Deverlanges: Es ist schrecklich, das zu sagen. Aber ich habe ein Maß an
       Abscheu erreicht, das mich einfach nur wünschen lässt, dass sie
       verschwinden. Wir Frauen wollen zu Hause, auf der Straße und bei der Arbeit
       sein, ohne vergewaltigt zu werden. Gisèle Pelicot zeigt uns, dass es selbst
       in den eigenen vier Wänden, wo man sich sicher fühlt, ein Risiko gibt: Aus
       weniger als zehn Kilometer Entfernung kamen mehr als 100 Männer, um sie zu
       vergewaltigen. Und Mazan liegt auf dem Land. Stellen Sie sich das Szenario
       in der Stadt vor. Dieser Prozess muss ein Prozess der Bewusstwerdung sein,
       dass viele Männer de facto Prädatoren sind. Wir müssen endlich anfangen,
       uns für die Würde der Frauen zu interessieren.
       
       taz: Hat der Prozess Avignon bereits verändert? 
       
       Deverlanges: Er hat viel Aufsehen erregt. Es kamen immer mehr Menschen, um
       dem Prozess beizuwohnen. Und dazu werden die Straßen Avignons von uns
       geschmückt. Aber es geht nicht nur um Avignon. Es geht um Frankreich, sogar
       um die Welt. Es geht um die Frage der Vergewaltigungskultur. Dazu gehört
       auch die Vorstellung, dass Männer sexuelle Bedürfnisse haben, die
       befriedigt werden müssen. Das stimmt nicht. Man stirbt nicht an Sexmangel.
       Wir müssen die Beziehung zwischen Frauen und Männern hinterfragen. Oder
       vielmehr den Glauben der Männer, dass es legitim ist, Frauenkörper zu
       kolonisieren.
       
       taz: Das Urteil soll spätestens am 20. Dezember verkündet werden. Wie wird
       die Arbeit der „Amazones d’Avignon“ danach weitergehen?
       
       Deverlanges: Uns gibt es seit fünf Jahren und uns wird es weiterhin geben.
       Zum Beispiel sind wir Teil einer feministischen Koalition. Gemeinsam haben
       wir ein Gesetz zur Bekämpfung von Gewalt vorgeschlagen. Der zuständige
       Minister sagte kürzlich, es sei irrelevant. Unser letztes Wort dazu ist
       noch nicht gesprochen. Wir werden also weitermachen: auf der Straße, vor
       Gericht, aber auch gegenüber den Politikern und den Medien.
       
       taz: Und wie geht es für Sie persönlich weiter? 
       
       Deverlanges: Ich will kein Mitleid erregen, aber dieser Prozess hat mich
       traumatisiert. Ich muss das alles verarbeiten. Im Laufe der Monate habe ich
       eine sehr starke Intoleranz gegenüber Männern entwickelt. Außer meinem Mann
       und meinen Söhnen ertrage ich keine anderen. Wenn bei der Arbeit ein Mann
       neben mir Platz nimmt, stehe ich auf und gehe. Ich hoffe, davon irgendwann
       geheilt zu sein. Aber momentan habe ich das Gefühl, dass sich mein Blick
       auf die Welt verändert hat. Ich brauche erst mal Ruhe und Distanz. Der Rest
       ist offen.
       
       Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes stand, dass die
       Urteilsverkündung am 16. Dezember stattfinden soll. Das ist falsch. Das
       Urteil soll spätestens am 20. Dezember verkündet werden. Das genaue Datum
       ist unbekannt.“
       
       8 Dec 2024
       
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