# taz.de -- Untersuchungsausschuss Neukölln Komplex: AfD sorgt für Komplexe
> Beschuldigter Tilo P. im Neukölln Komplex war Kreisvorstand in der AfD
> und es gibt mehr Verbindungen. Ließe sich die AfD aus dem Ausschuss
> ausgrenzen?
IMG Bild: Tilo P. ist Hauptverdächtiger im Neukölln-Komplex und war Vorstand der AfD Neukölln
Berlin taz | In einigen Wochen beginnt der Untersuchungsausschuss zum
Neukölln Komplex: Behördenversäumnisse bei der Aufklärung der
rechtsextremen Anschlagsserie sollen dann ausgeleuchtet werden, sowie die
Neonazi-Szene Neuköllns generell. Im Ausschuss sitzt voraussichtlich auch
die AfD mit am Tisch. Das ist nicht unproblematisch, denn der Kreisverband
der AfD Neukölln war nicht nur am Rande vernetzt mit den Hauptverdächtigen
in dem Komplex.
Die Behörden schreiben der rechten Terrorserie seit 2016 rund 70 Taten zu,
darunter Brandanschläge, Sachbeschädigungen und Drohungen. Die Opfer sind
vor allem Menschen, die sich gegen rechts engagieren. Die Indizienlage ist
dabei recht eindeutig, der Täterkreis auf wenige Neuköllner Neonazis
eingegrenzt. Ob die erhobene Anklage für eine Verurteilung reicht, ist
unterdessen unklar – auch aufgrund vieler offener Fragen und möglicher
Ermittlungsversäumnisse.
Einer der Beschuldigten, Tilo P., war als Beisitzer im Vorstand der AfD
Neukölln aktiv während die Anschlagsserie lief. Ein weiteres AfD-Mitglied
aus Neukölln, der Polizist Detlef M., teilte sensible Polizeiinformationen
über den Anschlag am Breitscheidplatz in einer AfD-Chatgruppe und tauschte
sich per Mail mit Tilo P. auch über eine Veranstaltung eines Neuköllner
Buchhändlers aus, dem zehn Tage später die Scheiben eingeschmissen wurden.
Tilo P. ist laut AfD Berlin mittlerweile kein Parteimitglied mehr. Der
Polizist Detlef M. hingegen schon. Die Nähe der AfD zum Täterkreis birgt
Konfliktpotential im Untersuchungsausschuss. Inwiefern ist es zulässig,
dass die AfD an einem Gremium teilnimmt, dass eine Anschlagsserie aufklären
soll, in der sie selbst eine Rolle gespielt hat?
## Über Mitglieder wird abgestimmt
Theoretisch können einzelne Abgeordnete oder Parteien per Abstimmung im
Plenum von einem Untersuchungsausschuss ausgeschlossen werden. Ob sich
jedoch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss überhaupt konstituieren
kann, wenn eine Fraktion nicht vertreten ist, ist allerdings fraglich. Denn
[1][laut Geschäftsordnung] müssten alle Fraktionen vertreten sein.
Auf taz-Anfrage teilte die AfD nicht mit, wen sie in den Ausschuss schicken
will, versicherte aber, dass sich „die AfD-Abgeordneten strikt an
Geheimhaltungspflichten“ halten würden. Das hat in der AfD in der
Vergangenheit allerdings nicht immer gut geklappt: So teilte der
Abgeordnete Ronald Gläser 2018 einen geleakten Haftbefehl auf Twitter und
wurde danach [2][als Vorsitzender des Datenschutzausschusses abgewählt].
Für Betroffene der Anschlagsserie wäre es jedenfalls nicht das erste Mal,
dass ihre [3][Adressen in rechten Netzwerken geteilt würden]. Noch
problematischer wird es dadurch, dass die völkischen Kräfte in der AfD
Berlin zuletzt an Boden gewonnen haben.
Ansgar Hinz, Sprecher des Präsidenten im Abgeordnetenhaus, hakte gleich
mehrfach bei den Jurist*innen nach, ob und inwiefern es in
Untersuchungsausschüssen überhaupt zulässig wäre, Parteien auszugrenzen.
Zuletzt ist dies mit der AfD ja zumindest im Berliner
Verfassungsschutzausschuss geschehen.
Rechtlich dürfte dann allerdings die Konstituierung des Ausschusses
schwierig sein, so Hinz: „Laut Geschäftsordnung sind alle Fraktionen zu
beteiligen. Andererseits kann kein Abgeordneter gezwungen werden einen
anderen zu wählen.“ Bei der Nicht-Wahl von Abgeordneten sei offen, ob der
Ausschuss konstituiert wäre oder nicht – mindestens ebenso offen wie eine
erwartbare Klage der AfD.
Der als Opfer betroffene Ferat Kocak sitzt mittlerweile selbst für die
Linke im Abgeordnetenhaus. Er sagt: „Ich habe schon Bedenken, dass Infos in
Gruppen gelangen könnten, in denen auch gewaltbereite Rechte sind, und dazu
genutzt werden könnten, den Terror fortzuführen“, sagt er. Gleichwohl müsse
die Aufklärung schnell vorangebracht werden.
Wenn das mit sich bringe, dass die AfD Teil des Ausschusses wird, gäbe es
zumindest die Möglichkeit, sie mit ihren Verbindungen zum Neukölln Komplex
zu konfrontieren, so Kocak. Die wichtigsten Fragen sind für ihn die nach
Verstrickungen der Sicherheitsbehörden. „Wir Betroffenen haben massiv an
Vertrauen in staatliche Institutionen verloren“, so Kocak. Um eventuell
wieder Vertrauen aufbauen zu können, müssten sie verstehen können, was
genau passiert sei.
Offene Fragen im Neukölln Komplex gibt es jedenfalls genug: Führte mit dem
mittlerweile abgezogenen [4][Oberstaatsanwalt F.] jahrelang ein
AfD-Sympathisant die Ermittlungen? Spielte ein IT-Forensiker vom BKA,
ebenfalls [5][Mitglied der AfD Neukölln], eine Rolle? Warum hielt sich ein
[6][LKA-Beamter in einer rechten Szenekneipe] auf – möglicherweise sogar
zusammen mit dem Hauptverdächtigen Sebastian T.?
Warum wurde [7][Kocak vor dem Brandanschlag auf sein Auto nicht gewarnt],
obwohl es behördliche Erkenntnisse gab, dass die mutmaßlichen Täter ihn
überwachten? Wieso hielten die Beschuldigten immer dann die Füße still,
wenn sie observiert wurden? Und warum war vor 2016 mit dem Polizisten
Stefan K. jemand für den Kontakt zu Betroffenen zuständig, der selbst
offenbar eine rechte Agenda hat? K. schlug 2017 [8][offenbar aus
rassistischen Motiven einen Afghanen zusammen], der Fall geht am 16.
Februar vor Gericht.
Direkt Betroffene demonstrieren [9][seit Mai 2019] als [10][Basta
Initiative] immer donnerstags vor dem LKA – 25.000 Unterschriften haben
zivilgesellschaftliche Gruppen für einen Untersuchungsausschuss gesammelt.
Nun soll die parlamentarische Aufarbeitung endlich kommen – und zwar so
schnell wie möglich und unter Beteiligung von zivilgesellschaftlichen
Aufklärungsinitiativen wie Neukölln Watch, Basta und NSU-Watch.
Aus deren Sicht sollte der [11][Untersuchungszeitraum des Ausschusses
möglichst weit gefasst werden]: Sie sehen die jüngsten Taten in einem
deutlich längerem Zusammenhang. Denn Neonazis terrorisierten Neukölln schon
deutlich länger. Bereits die Ermittlungsgruppe Rex hatte vor 2016 eher
erfolglos rechtsextreme Taten aufklären wollen. In diese Zeit fällt auch
der unaufgeklärte Mord an Burak Bektaş und der wohl rechtsmotivierte Mord
an Luke Holland.
Adresslisten, die bei Hausdurchsuchungen bei Sebastian T. gefunden wurden,
stammten zum Teil noch aus Zeiten des Nationalen Widerstands, einer
Berliner Neonazi-Organisation, die Anfang der 2010er Jahre mobilisierte. T.
war bereits einmal wegen Gewaltverbrechen im Knast. Nachdem er frei
gekommen war, begannen erneut Anschläge – mittlerweile organisiert T. sich
bei der rechtsextremen Organisation III. Weg.
Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen, will auch auf
Kontinuitäten in der rechten Szene den Fokus legen: „Neben den
Sicherheitsbehörden wollen wir auch den Blick auf die Entwicklungen in der
rechtsextremen Szene in Berlin seit den 2000er Jahren lenken“, sagt Franco.
Hinsichtlich möglicher behördlicher Versäumnisse erkenne er zwar die
umfangreichen Ermittlungen an, fragt aber auch: „Wo sind warum
Informationen nicht weiter gereicht worden? Wie lief der Einsatz von
Observationsteams und V-Personen? An welchen Stellen haben die Behörden
nicht so gearbeitet wie sie sollen?“
Abgeordnete der verschiedenen Fraktion haben bereits einem Treffen mit
Initiativen zugestimmt – dieses wird am 24. Januar wird stattfinden. Wenn
alles glatt läuft, kann der Ausschuss möglicherweise Ende März beginnen.
19 Jan 2022
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