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       # taz.de -- Untersuchungsausschuss zu Dieselgate: Staatsversagen vs. vorbildliche Politik
       
       > Zum Ende der Ausschussarbeit sieht die Opposition „Kumpanei von Politik
       > und Industrie“. Die Koalition dagegen lobt ihre Regierung.
       
   IMG Bild: Flower-Power, Peace & Love? Nicht im Untersuchungsausschuss zum Abgasskandal
       
       Sie haben zusammen 13 ermüdende Sitzungen durchgestanden und Dutzende
       Zeugen befragt. Aber die 16 Abgeordneten des Bundestags im
       Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Abgasaffäre waren offenbar
       neun Monate lang auf zwei verschiedenen Veranstaltungen. Zum Abschluss der
       Arbeit sahen am Mittwoch die Vertreter der Opposition in der Diesel-Affäre
       ihren Vorwurf vom „organisierten Staatsversagen“ und der „Komplizenschaft
       zwischen Politik und Industrie“ bestätigt. Die zwölf Abgeordneten von
       CDU/CSU und SPD dagegen fanden den Ausschuss unnötig, er habe keine neuen
       Erkenntnisse gebracht. Ihr Fazit: „Das Handeln der Bundesregierung war
       nicht zu beanstanden“.
       
       Seit September hatte der Ausschuss untersucht, wer wann was in der Affäre
       um manipulierte Abgaswerte bei Diesel-Pkws wusste. Die Abschlussberichte
       zeigen völlig verschiedene Sichtweisen: Während die Koalition erklärt,
       Kritiker hätten niemals Beweise für Tricksereien vorgelegt, moniert die
       Opposition, die Behörden seien ernsthaften Hinweisen nicht nachgegangen.
       Für eigene Recherchen aber, so die Koalition, habe die Rechtsgrundlage
       gefehlt – die dann aber für die Untersuchungskommission des Ministeriums
       ganz schnell gefunden wurde.
       
       Während Grüne und Linke Bußgelder für die Betrügerfirmen fordern, ist für
       die Regierungskoalition schon der freiwillige Rückruf Strafe genug. Während
       die Opposition darauf verweist, dass die EU in der Abgasaffäre ein
       Verfahren gegen Deutschland führt, sieht die große Koalition die
       Hauptschuld für die Misere in Brüssel – die Regeln seien nicht eindeutig
       genug, um die Schummeleien zu unterbinden.
       
       Es gebe „belastbare Hinweise, dass die Bundesregierung von den
       Abschalteinrichtungen gewusst habe“, erklärte der Linke Herbert Behrens,
       aber die Regierung entlasse „die Hersteller aus der Verantwortung für die
       Einhaltung der Vorschriften“. Für den Grünen Oliver Krischer fehlt im
       Bericht der Koalition „jeder Anflug von Selbstkritik bei Tausenden Toten,
       Millionen von betrogenen Kunden und einer Autoindustrie, die unter Druck
       geraten ist“.
       
       ## Schätzungsweise jährlich 10.000 Todesfälle durch NO2
       
       Für die SPD-Unions-Mehrheit im Gremium dagegen hat die Regierung schnell
       und angemessen gehandelt und das Problem unbürokratisch durch freiwillige
       Rückrufaktionen entschärft. Die Mehrheit fordert klarere EU-Regeln, eine
       bessere Ausstattung des Kraftfahrtbundesamts, neue Messungen am Auspuff und
       die Offenlegung der Motorsoftware. Die Opposition wiederum will das
       Kraftfahrtbundesamt entmachten, neue Prüfzyklen einführen, die „blaue
       Plakette“ durchsetzen und die Hersteller verpflichten, eine mögliche
       Abschaltung der Abgasreinigung technisch und nicht allgemein mit
       „Motorschutz“ zu begründen.
       
       Für große Aufregung sorgten die Passagen im Koalitionsentwurf zur
       Gesundheitsbelastung: Es gebe in Deutschland „keine toxikologisch
       bedenklichen NO2-Werte“ und „keine wissenschaftlich erwiesenen Zahlen“ über
       Tote oder Kranke durch zu hohe NO2-Belastung, heißt es. Dem widerspricht
       das Umweltbundesamt mit Verweis auf eigene Messergebnisse und
       internationale Studien.
       
       Die Schätzung von jährlich 10.000 zusätzlichen Todesfällen durch NO2 in
       Deutschland kommt von der Europäischen Umweltagentur und kann – wie alle
       Abschätzungen der Epidemologie – keine „adäquate Kausalität“ zeigen, wie es
       der Bericht verlangt. Bedeutsam für die Belastung der Bevölkerung sind auch
       nicht toxikologische, sondern diese epidemologischen Daten. Die
       Epidemologie-Expertin Annette Peters vom Helmholtz-Zentrum München, die als
       Zeugin aufgetreten war, erklärte, sie werde in dem Bericht falsch zitiert.
       
       10 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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