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       # taz.de -- Verdeckt wohnungslos: Von Couch zu Couch
       
       > Sie finden keine Wohnung, schlafen bei der Familie oder Freunden:
       > verdeckt Wohnungslose. Unsere Autorin war eine von ihnen.
       
   IMG Bild: Verdeckte Wohnungslosigkeit: Wer Glück hat, kann bei Freunden unterkommen
       
       Niemals hätte ich gedacht, dass es auch mich treffen kann. Dass ich auf der
       Straße landen würde. Doch jetzt stehen mein Freund und ich in
       Berlin-Treptow auf dem Parkplatz vor dem Selfstorage, in dem wir gerade die
       Kisten mit unserem Hab und Gut verstaut haben. Und sind wohnungslos. Beide
       berufstätig, keine Mietschulden, keine Haustiere, bei einem gemeinsamen
       Mietbudget von 1.200 Euro im Monat.
       
       Vor knapp zwei Jahren war ich zu ihm gezogen, kurz darauf meldete der
       Wohnungseigentümer Eigenbedarf an. Wir hangelten uns von Zwischenmiete zu
       Zwischenmiete, mal für ein halbes Jahr, mal für zwei Monate. In einer der
       Wohnungen, zwei Zimmer, bezahlbar, war es „ziemlich sicher“, dass wir sie
       übernehmen könnten. Das meinte jedenfalls unser Untervermieter bis sechs
       Wochen vor Auslaufen des Vertrags. Dann beschloss er, doch selbst wieder
       einzuziehen. Wir hatten also nur diese sechs Wochen, um uns was Neues zu
       suchen. Utopisch.
       
       Und nun stehen wir auf diesem Parkplatz. Ich rufe einen Freund an und frage
       ihn, ob er uns für ein paar Tage Unterschlupf bei sich auf der Couch
       gewährt. Natürlich macht er das. Anschließend ziehen wir zur nächsten
       Freundin in ein leer stehendes WG-Zimmer, dann weiter zu einem befreundeten
       Paar, auf zwei Matratzen im Wohnzimmer.
       
       Offiziell gelten wir jetzt als „verdeckt Wohnungslose“. Laut der
       [1][Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung e. V.]
       fallen darunter die „Menschen, die durchgängig weder institutionell
       untergebracht sind noch zu den Wohnungslosen ohne Unterkunft zählen“, aber,
       da sie keine Miet- oder Eigentumswohnung haben, „vorübergehend Zuflucht bei
       Bekannten oder Familienangehörigen suchen“. Der vom Bundesministerium für
       Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen in Auftrag gegebene
       Wohnungslosenbericht 2024 zählt deutschlandweit rund 60.400 solche verdeckt
       wohnungslose Personen.
       
       ## Wir fallen nicht auf
       
       Die Dunkelziffer müsste deutlich höher liegen. Allein in Berlin erzählen
       mir viele, dass sie schon mal Ähnliches erlebt hätten. Wenn es nicht die
       Couch eines Freunds war oder die ein oder andere Nacht im Büro, dann waren
       es mehrere einmonatige Zwischenmieten nacheinander. Ist das nicht auch
       verdeckte Wohnungslosigkeit? Vor allem, wenn die Miete bar auf die Hand
       gezahlt wird und eine Anmeldung nicht möglich ist?
       
       Während unserer Zeit als verdeckt Wohnungslose fallen wir nicht als solche
       auf. Wir bleiben gemeldet an alten Adressen, die Post lassen wir uns über
       einen Nachsendeauftrag auf die Arbeit schicken. Jeden Morgen fahren wir zur
       Arbeit, abends wieder ins aktuelle Zuhause und fragen uns, ob wir das bald
       wieder haben werden: ein Zuhause.
       
       Es ist zum Verzweifeln. Wir sind durchgehend müde vom Schlafen auf dem
       Boden und davon, immer zu unserem Lagerraum rausfahren zu müssen, wenn wir
       mal die Klamotten wechseln wollen. Die restliche freie Zeit verbringen wir
       auf Wohnungsportalen. Wir zahlen Geld für Premiumaccounts und für die
       Schufa. Wir schreiben Hausverwaltungen an, wenn wir hören, dass irgendwo
       eine Wohnung leer stehen soll.
       
       Davon gibt es genug: mehr als 40.500 allein in Berlin. Hinzu kommen die
       Wohnungen, die als Airbnb oder Ähnliches zweckentfremdet werden. Auch der
       Leerstand von Büros ist riesig, in Berlin sind es heute 1,6 Millionen
       Quadratmeter. Das entspricht 32.000 Zweizimmerwohnungen mit 50
       Quadratmetern Wohnfläche.
       
       Auf unsere Hunderte Anfragen bekommen wir vielleicht bei jeder fünften eine
       Rückmeldung, ab und an werden wir zu einer Besichtigung eingeladen. Unsere
       Ansprüche sinken immer weiter. Den ein oder anderen Mietvertrag könnten wir
       bekommen, fehlten uns da nicht die 5.000 Euro Abschlag für die drei
       Möbelstücke vom Vormieter. Bei einer Besichtigung fragt man uns, wie viel
       Provision wir zu zahlen bereit wären, ein anderes Paar habe schon 8.000
       Euro geboten.
       
       Wir gehen, zurück zu unserem Matratzenlager, frustriert, wütend über die
       unangenehme Situation, „bedürftig“ zu sein und unseren Freunden auf die
       Pelle zu rücken. Und dabei haben wir das Glück, Menschen zu haben, die uns
       aufnehmen, ganz ohne Hintergedanken. Es gibt so viele verdeckt und auch
       offen Wohnungslose, die das nicht haben.
       
       Nach zwei Monaten auf fremden Sofas finden wir eine bezahlbare
       Einzimmerwohnung mit unbefristetem Mietvertrag: 40 Quadratmeter,
       Hochbett, Küche, Bad. Keine Dauerlösung, aber immerhin ein eigenes Zuhause.
       
       4 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.giss-ev.de/articles/1288/erstmals-wohnungslose-ohne-unterkunft-und-menschen-in-verdeckter-wohnungslosigkeit-gezaehlt/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ruth Lang Fuentes
       
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