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       # taz.de -- Verfassungsreform in Russland: Putin forever
       
       > Die wichtigste Änderung ist eine Verlängerung der Amtszeit des
       > derzeitigen Staatspräsidenten. Das sehen einige mit sehr gemischten
       > Gefühlen.
       
   IMG Bild: Einsamer Protest gegen die Verfassungsänderung in Moskau
       
       Moskau taz | Die Klinikleiterin Iwana Fjodorowna war aus dem Häuschen.
       Mitte der Woche hatte [1][Russlands Staatschef Wladimir Putin] überraschend
       angekündigt, dass er der Nation als Präsident noch erhalten bleiben möchte.
       Auch nach dem Ende der Amtszeit, die 2024 ausläuft.
       
       Wie immer sagte er es nicht konkret. Doch die Möglichkeit besteht, dass der
       Kremlchef noch einmal zwei Durchgänge auf der „Galeere“, wie Putin seine
       Arbeit gelegentlich beschreibt, auf sich nimmt. Vorausgesetzt, alle
       Institutionen stimmen dem zu. Daran zweifelt niemand.
       
       Fjodorowna hatte Putins Verheißung die Sprache verschlagen. „Keine
       Entwicklung mehr bis mindestens 2036“, meinte sie. Das sei das Ende, schon
       jetzt gingen gut ausgebildete junge Leute scharenweise ins Ausland.
       Fjodorowna stammt nicht aus Moskau. Die Eltern sind Rentner und leben in
       der Provinz. „Sie waren begeistert von Putins Auftritt in der Duma diese
       Woche.“ Fjodorowna ist übrigens nicht ihr richtiger Name. Sie soll der
       Klinik erhalten bleiben.
       
       Dass Eltern und ältere Bürger Anhänger Putins sind, ist nicht selten. Meist
       sind sie auch Rentenbezieher, deren Pensionsanpassungen mit der am 22.
       April angesetzten Abstimmung über Änderungen der Verfassung von 1993 auch
       im Grundgesetz festgeschrieben werden.
       
       ## Erinnerungen auffrischen
       
       Im Umbruch nach dem Kommunismus gab es häufiger Verzögerungen bei
       Rentenzahlungen. Viele Russen haben das nicht vergessen. Putin und die
       Kremlpartei frischen die Erinnerungen daran gerne auf.
       
       Der Kreml geht davon aus, dass rund 75 Prozent der Wähler den Änderungen
       zustimmen. Dazu gehört auch die Annullierung der bisherigen Fristen für den
       Präsidenten. Ab 2024 könnte die Zählung wieder bei null anfangen. Es sind
       auch nur noch zwei Durchgänge erlaubt.
       
       Im Januar hatte Putin das Volk mit [2][der Ankündigung der
       Verfassungsänderung] und Auswechslung der Regierung überrascht. Danach
       vernebelten Vorschläge zur Verfassung das Verständnis der Bürger. Auch das
       schien geplant zu sein. Am Vorabend der Parlamentsabstimmung soll es Putin
       dann nicht mehr ausgehalten haben.
       
       Er wollte endlich wissen, woran er ist, meinen Beobachter. Auch wollte er
       Gerüchten ein Ende bereiten, vier Jahre vor dem Fristende 2024 sei er eine
       „lahme Ente“. Der Analyst Kyrill Rogow glaubt, der Kremlchef habe sich
       gescheut, den „Coup“ öffentlich anzukündigen, und sich vor
       Großdemonstrationen gefürchtet. Nirgends kam es jedoch dazu. Nur wenige
       Demonstranten wurden in Sankt Petersburg, Tula und Jekaterinburg
       vorübergehend festgesetzt.
       
       ## Sowjetische Dauerwelle
       
       Der Stab schaltete die hochverdiente Kosmonautin Walentina Tereschkowa ein.
       1963 war sie im All. Die 83-jährige Politikerin hatte schon Putins
       Vorgängern seit den 1960er Jahren Treue geschworen.
       
       Auch äußerlich hält sie sich an die Mode jener Zeit: sowjetische Dauerwelle
       für Buchhalterinnen der 1960er Jahre. Sie forderte die Abgeordneten auf,
       die Fristen für den Präsidenten zu annullieren.
       
       Kaum gesagt, stand auch schon Wladimir Wladimirowitsch in der Duma. Dieses
       Schauspiel gilt als Beweis, dass diese Übung vorher einstudiert worden war.
       Das kokette Herumeiern des Kremlchefs war jedoch eine an Zynismus nicht zu
       überbietende Live-Einlage.
       
       Auch der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin soll hier nicht vergessen
       werden. Vor längerer Zeit hatte er sich schon mit der Glaubensformel
       verewigt: Putin ist Russland; kein Putin, kein Russland. Diesmal
       aktualisierte Wolodin das Bekenntnis: „Weder Öl noch Gas bieten
       verlässliche Vorteile. Sie fallen im Preis. Unser Vorteil ist Putin, ihn
       müssen wir verteidigen“.
       
       Die Regionalparlamente mussten den Änderungen auch noch zustimmen. Nur zwei
       Prozent der Abgeordneten lehnten den Vorschlag ab. In der Moskauer Duma
       machte die Abgeordnete Darja Beseda von sich reden. Sie trug ein T-Shirt
       mit der Aufschrift „Annullieren“, wurde aber daran gehindert, ihre 50
       Vorschläge zur Grundgesetzkorrektur vorzutragen. Darunter die
       Festschreibung eines Mausoleumsbaus für Wladimir Putin.
       
       14 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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