URI: 
       # taz.de -- Verhütungsmethoden für Männer: YCT529 verhüte!
       
       > Seit Jahrzehnten scheitern Forscher*innen an der Pille für den Mann.
       > Ein neuer Wirkstoff lässt nun aufhorchen – gelingt mit ihm der
       > Durchbruch?
       
   IMG Bild: Unsichere Kiste: Wenn Männer verhüten, bleiben nur Kondom, Sterilisation oder Coitus Interruptus
       
       Berlin taz | Ein Witz unter Wissenschaftler*innen, die an männlicher
       Verhütung forschen, geht so: „Geht ein Professor in Rente. Gibt er seiner
       Nachfolgerin noch einen Rat: Wenn sie dich fragen, wann kommt die Pille für
       den Mann, sag einfach: in 10 Jahren. Hab ich die letzten 50 Jahre so
       gemacht.“ Seit in den siebziger Jahren die Forschung an medikamentöser
       Verhütung für Männer begann, ist das erste Produkt, das es in die Apotheken
       schafft, immer ein Jahrzehnt entfernt. Wie die Mohrrübe, die in gleichem
       Abstand vor dem Esel baumelt.
       
       Noch in diesem Jahr soll in den USA eine klinische Studie beginnen, die
       deswegen unter besonderer Beobachtung stehen wird. Im Frühjahr haben
       Forscher*innen der University of Minnesota einen neuen Wirkstoff
       vorgestellt, der an Mäusen getestet wurde. Mittlerweile wurde eine weitere
       Tierstudie durchgeführt. Als die männlichen Mäuse einmal am Tag das Mittel
       schluckten, änderte sich zunächst nichts. Männliche und weibliche Tiere
       lebten zusammen und die weiblichen Mäuse wurden schwanger.
       
       Doch vier Wochen später hatten die männlichen Mäuse zwar weiter Sex – waren
       aber unfruchtbar. 99 Prozent der Schwangerschaften konnten vermieden
       werden. Nebenwirkungen beobachteten die Forscher keine. Etwa vier Wochen
       nach dem Absetzen des Medikaments waren die Mäuse wieder fruchtbar.
       
       Das Besondere: Es handelt sich bei dem Wirkstoff nicht um ein Hormon,
       sondern um einen Hemmstoff. YCT529, wie das Mittel heißt, setzt an dem
       Protein Retinsäure-Rezeptor alpha an. Es verhindert einerseits, dass die
       Spermien sich komplett ausbilden und andererseits, dass Spermien sich
       lösen, um potenziell ins Ejakulat zu gelangen. Den Beleg, dass sie den
       richtigen Rezeptor treffen, lieferten die Forscher*innen vorab mit einer
       sogenannten Knockout-Maus. Hier wurden durch einen Eingriff in die
       embryonalen Stammzellen gezielt Gene deaktiviert, um dieselbe Wirkung zu
       erzielen.
       
       ## Nischenforschung
       
       Gunda Georg, Professorin für medizinische Chemie an der University of
       Minnesota, ist die Leiterin der Forschungsgruppe. Sie ist Deutsche, aber
       über ihre Forschung spricht sie lieber auf Englisch, „da fehlen mir auf
       Deutsch mittlerweile die Worte“. Und schließlich geht es in ihrer Arbeit um
       Exaktheit. Über 20 Jahre forscht sie schon an männlicher Verhütung, einem
       Feld, von dem viele sagen, es sei wie eine kleine Familie. So überschaubar,
       dass selbst bei unterschiedlichen Methoden immer dieselben
       Universitätsinstitute und Stiftungen auftauchen.
       
       Ansätze, die erfolgversprechend gestartet sind und nun [1][seit Jahren bis
       Jahrzehnten feststecken], kennt man hier nur zu gut. Bisher bleibt es
       dabei: Als Verhütungsoptionen für Menschen, die Spermien produzieren,
       bleiben nur Kondom, Vasektomie, also eine Form der Sterilisation, und
       Coitus interruptus. In der New York Times äußerten sich
       Wissenschaftler*innen verhalten zu der Euphorie um die
       Forschungsergebnisse von Gunda Georg und ihren Kolleg*innen. Wenn alles,
       was in Mäusen gelte, sich auf Menschen übertragen ließe, wäre Krebs schon
       geheilt.
       
       Mittlerweile wurde eine weitere Studie mit dem Wirkstoff an Primaten
       durchgeführt. Sie war genauso erfolgreich, sagt Georg. Sie glaubt, wenn
       alles perfekt laufe, könne eine Tablette mit YCT529 in fünf Jahren auf dem
       Markt sein. „Ich versuche, optimistisch zu sein“, sagt sie. Fünf Jahre
       klingt nach einer langen Zeit, ist aber tatsächlich, was die Entwicklung
       von Medikamenten zur Marktreife angeht, fast Lichtgeschwindigkeit. Um
       zugelassen zu werden, muss ein Medikament drei Phasen klinischer Studien
       durchlaufen, von denen die zweite und dritte üblicherweise Jahre dauern.
       
       Zum Vergleich: Bei einem Hormongel, das sich bereits in der zweiten Phase
       klinischer Studien befindet und dabei momentan sehr vielversprechende
       Ergebnisse zeigt, sagt einer der Leiter der Studie: „Ich vermute, es werden
       noch mindestens 10 Jahre vergehen, bis wir es auf dem Markt sehen.“ Der
       ewige gleich lange Möhrenstab vor dem Eselsmaul.
       
       ## Noch zehn Jahre?
       
       „Ich würde vermuten, dass es zehn Jahre werden“, sagt Heather Vahdat auch
       in Bezug auf das neue Mittel YCT529. Vahdat ist Geschäftsführerin der Male
       Contraceptive Initiative, die Forschung auf diesem Feld fördert. „Unser
       Ziel ist es, das Ungleichgewicht an Wahlmöglichkeiten zwischen Männern und
       Frauen zu verringern.“ Gunda Georgs Ansatz hat in ihren Augen mehrere
       Vorteile. Er ist nichthormonell.
       
       Hormonelle Verhütungsmittel – meist auf der Basis von Testosteron und
       teilweise Nestoron – sind grundsätzlich am weitesten fortgeschritten.
       Mehrere Produkte sind aktuell in der Phase klinischer Studien. In den
       Hormonhaushalt einzugreifen, hat jedoch starke Wirkungen – und somit in
       einigen Fällen auch Nebenwirkungen. So ist es bei der [2][Pille für Frauen
       der Fall] und so zeigte es sich teilweise verstärkt auch bei Studien an
       Männern: etwa in Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme und
       Stimmungsschwankungen. Deswegen sind nichthormonelle Alternativen
       potenziell attraktiver.
       
       Ein weiterer Vorteil: Das Medikament kann – wie bestimmte hormonelle Mittel
       auch – als tägliche Pille eingenommen werden. Das ist laut Umfragen die
       bevorzugte Einnahmeform. Studien an täglich eingenommenen Tabletten sind
       deutlich üblicher und leichter durchzuführen als andere Ansätze wie etwa
       eine Gel-Injektion im Samenleiter oder ein Hormongel, das auf den Oberarm
       aufgetragen wird. Eine tägliche Pille könnte die Akzeptanz und damit den
       gesamten Zulassungsprozess beschleunigen.
       
       Dennoch muss Gunda Georg selbst zugeben: „Ich bin schon mal an diesem Punkt
       gewesen.“ Mit dem Mittel H2-Gamendazole, einer Carbonsäure, hatten Georg
       und ihr Team einen ähnlichen Euphoriemoment. Sie schafften es, Ratten
       unfruchtbar zu machen. Aber dann stellten sie fest: Schon eine sehr leichte
       Erhöhung der Dosis führte dazu, dass sie permanent unfruchtbar wurden. Ein
       Risiko, von dem klar war, dass es potenzielle Nutzer nicht bereit wären zu
       tragen. „Es hat uns Jahre gekostet, das herauszufinden“, sagt Georg. Auch
       deswegen, weil die Forschung in dem Feld chronisch unterfinanziert sei.
       
       ## Riskantes Investment
       
       Genau das könnte für den Erfolg von YCT529 sprechen. Im Gegensatz zu
       Methoden, die nur einmalig oder mit großen zeitlichen Abständen angewandt
       werden müssen, können Hersteller mit täglichen Pillen potenziell mehr
       Gewinne machen. Die Entwicklung von Verhütungsmitteln ist sehr teuer und
       risikoreich. Etliche Ansätze schaffen es nicht über frühe Forschungsetappen
       hinaus. Weil es um gesunde Menschen geht, die den Wirkstoff einnehmen,
       tolerieren Kontrollbehörden nur geringe Nebenwirkungen.
       
       Bei Frauen nimmt man zudem die gesundheitlichen Risiken einer ungewollten
       Schwangerschaft mit in Rechnung. Schon seit Langem ist kein großes
       Pharmaunternehmen mehr mit eigenen Studien zu dem Thema aktiv.
       
       Gunda Georg hat die Durchführung der klinischen Studien an ein
       Medizin-Start-up vergeben, an YourChoice Therapeutics. Die Firma hat gerade
       15 Millionen Euro Finanzierung eingesammelt, weit mehr, als Gunda Georg für
       viele ihrer Projekte bekommen hat. Tatsächlich könnten Start-ups die
       Forschung an männlichen Verhütungsmitteln beschleunigen. Wenn sie das
       Risiko eingehen, die unsicheren ersten Phasen zu stemmen, übernehmen
       Pharmakonzerne vielleicht die dritte Phase. Dann ist die grundsätzliche
       Wirksamkeit schon bewiesen.
       
       Bei den jährlichen Konferenzen zum Thema sehen Heather Vahdat und Gunda
       Georg in den letzten Jahren wieder häufiger Mitarbeiter von Firmen wie
       Bayer. Sie haben wieder angefangen, sich umzuschauen.
       
       28 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-Pille-fuer-den-Mann/!5525508
   DIR [2] /60-Jahre-Pille/!5703222
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Luise Strothmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Sex
   DIR Verhütung
   DIR Wissenschaft
   DIR Anti-Baby-Pille
   DIR GNS
   DIR Verhütung
   DIR Zukunft
   DIR Kolumne Hot und hysterisch
   DIR Verhütung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Verhütungsmethode vor Comeback?: Mit einem heißen Hodenbad verhüten
       
       In den 80ern hat eine kleine Gruppe von Männern angefangen, durch
       Hodenbaden zu verhüten. Jetzt könnte die Methode ein Comeback erleben.
       
   DIR Die Verständnisfrage: Bitte, bitte kein Kind
       
       Sterilisationen bei Frauen sind meist irreversibel. Wie fühlt es sich an,
       sich 100 Prozent sicher zu sein, fragt ein Leser. Eine Frau antwortet.
       
   DIR Über die Verantwortung der Verhütung: Männer, nutzt euren Einfluss
       
       Oftmals handeln Männer sehr sorglos, wenn es um das Thema Verhütung geht.
       Dabei wäre es doch nicht nur woke, sich damit endlich auseinanderzusetzen.
       
   DIR Die Pille für den Mann: Da kommt noch was
       
       Seit Jahrzehnten tüfteln Forscher an Verhütungsmethoden für den Mann. Doch
       wann kommt sie endlich, die Pille für ihn?