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       # taz.de -- Verkleinerung des Bundestags: Dunkelrote Ampel macht Druck
       
       > Linke, Grüne und FDP wollen den Bundestag über Wahlrechtsreform abstimmen
       > lassen – kein einfaches Unterfangen.
       
   IMG Bild: Wie viele Sitze gehören in den Bundestag? Letzter Umbau, 2017
       
       BERLIN taz Oft kommt es nicht vor, dass Linke, Grüne und FDP gemeinsam
       Pressekonferenzen geben. Bei diesem Thema aber sind sie sich einig: der
       Wahlrechtsreform. Die drei Oppositionsparteien haben bereits im Oktober
       einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt, wie die weitere Ausdehnung des
       Bundestags bei der nächsten Wahl verhindert werden kann. Diesen Vorschlag
       wollen sie am Freitag kommender Woche im Bundestag endlich zur Abstimmung
       stellen.
       
       „Die Zeit drängt, das Zeitfenster schließt sich“, sagte FDP-Geschäftsführer
       Marco Buschmann bei der Online-Konferenz am Mittwochvormittag. Denn ein
       Jahr vor der Bundestagswahl im Herbst 2021 sollten endlich auch die
       Spielregeln für diese Wahl feststehen. Da das Parlament nach der
       Sommerpause erst wieder im September zusammenkommt, wollen die drei
       Parteien das Thema Wahlrechtsreform also noch im Juli abräumen.
       
       Linke, Grüne und FDP schlagen vor, die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299
       auf 250 zu verringern. Die Anzahl der Gesamtsitze soll leicht steigen auf
       630. Das würde bedeuten, dass der Bundestag nicht mehr jeweils zur Hälfte
       aus Erst- und Zweitstimmen gewählt werden würde, sondern sich die
       Zusammensetzung zugunsten der Listenmandate, also der Zweitstimmen, mit 60
       zu 40 leicht verändert. Der Vorschlag sei fair, weil er alle Parteien
       treffe, und stärke die parlamentarische Demokratie, so der
       Linken-Abgeordnete Friedrich Straetmanns.
       
       Mehr als 800 Abgeordnete? 
       
       Gesetzentwürfe der Opposition werden aber normalerweise von der
       Regierungsmehrheit abgelehnt. Um dennoch die erforderliche Mehrheit im
       Parlament zu erzielen, schlagen die drei Parteien vor, den Fraktionszwang
       aufzuheben. Schließlich gingen bei diesem Thema auch Risse durch SPD und
       Union.
       
       Dass eine Reform notwendig ist, sehen auch viele PolitikerInnen aus Union
       und SPD. Im Bundestag, dem regulär 598 Personen angehören sollen, sitzen
       derzeit 709 ParlamentarierInnen. Im nächsten Jahr könnten es über 800 sein.
       Dass das Parlament immer weiter wächst liegt an den Überhangmandaten.
       Erhält eine Partei mehr Direktmandate (Erststimmen) als ihr nach ihrem
       Zweitstimmenanteil zu stünde, werden die Sitze aller Fraktionen solange
       aufgestockt, bis die Verhältnisse wieder stimmen.
       
       Von den Überhangmandaten profitiert insbesondere die CSU, die regelmäßig
       überproportional viele Direktmandate gewinnt. Sie ist daher besonders
       vehement gegen eine Reduzierung der Wahlkreise, wie sie der Vorschlag von
       Linken, Grünen und FDP vorsieht. Auch in der SPD gibt es Vorbehalte gegen
       eine Verringerung von Wahlkreisen.
       
       Eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe, geleitet von Bundestagspräsident
       Wolfgang Schäuble, CDU, die einen Kompromiss erarbeiten sollte, scheiterte
       bereits im vergangenen April.
       
       CSU: Alles soll bleiben wie bisher 
       
       Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Carsten Schneider, hatte zu
       Jahresbeginn [1][eine Übergangslösung vorgeschlagen:] Die Anzahl der Sitze
       des Bundestags solle bei 690 gekappt werden, danach sollten Überhangmandate
       nicht mehr ausgeglichen werden. Einen Vorschlag, den Britta Haßelmann, die
       parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen „reichlich unambitioniert“
       nannte.
       
       Der SPD-Ansatz sieht zudem vor, dass Direktmandate dann nicht zugeteilt
       werden sollen, wenn die Zahl der Überhänge und Ausgleichsmandate die 690
       übersteigt. Bezogen auf das Wahlergebnis 2017 hätten CDU und CSU dadurch
       auf mehrere Direktmandate verzichten müssen.
       
       Dennoch steht die CDU dem Modell offener gegenüber, sogar Schäuble soll dem
       Ansatz einiges abgewinnen können. [2][Nur die CSU sperrt sich kategorisch.]
       Sie will, dass alles so bleibt wie bisher. Dass ihr Abgeordneter Michael
       Frieser kürzlich eine ähnliche Obergrenze forderte – aber ohne den Wegfall
       von Direktmandaten, nannte der Liberale Buschmann „bloße rhetorische
       Verschleierungstaktik“.
       
       Wie geht es also weiter? Tatsächlich hat weder die SPD noch die Union einen
       ihrer Ansätze bislang in einen Gesetzentwurf formuliert. Der einzige
       Entwurf, der dem Parlament vorliegt, ist jener der drei
       Oppositionsparteien. Und die Uhr tickt, bereits in diesen Tagen beginnt die
       Phase, in der Wahlkreiskandidaten aufgestellt werden können.
       
       Wenigstens eine Debatte 
       
       Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zur Abstimmung kommt, ist
       allerdings, dass auch der Innenausschuss am kommenden Mittwoch grünes Licht
       gibt. Bislang hatten Union und SPD jedoch stets weiteren Beratungsbedarf
       angemeldet. Wie aus deren Reihen zu hören ist, wird das auch diesmal so
       sein.
       
       Die Sozialdemokraten führen dazu inhaltliche und technische Gründe an. So
       seien nach deren Einschätzung 49 Wahlkreise weniger kaum ausreichend, um
       einen Bläh-Bundestag zu verhindern. „Dazu bräuchte es eher 100 weniger“,
       heißt es aus Fraktionskreisen – wofür es erst recht keine Mehrheit gebe.
       Zudem fehle bislang ein Konzept zum Neuzuschnitt aller Wahlkreise. Und der
       Union? Geht der Oppositionsvorschlag zu weit, und ist beim SPD-Ansatz
       gespalten.
       
       Schmettert die Groko das Ansinnen der Opposition in der kommenden Woche ab,
       wollen Linke, Grüne und FDP das Thema trotzdem auf der Tagesordnung lassen.
       Dann nicht als Abstimmung, aber als Debatte. Denn, sagt Britta Haßelmann,
       „einer Debatte kann die Große Koalition nicht entgehen.“
       
       24 Jun 2020
       
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