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       # taz.de -- Versorgung von trans* Männern: Ein Mann, eine Gebärmutter – und keine Arztpraxis
       
       > Für viele trans* Männer ist der Besuch bei Gynäkolog*innen eine
       > Zumutung – oder unmöglich. Doch es gibt Ausnahmen – und sie machen
       > Hoffnung.
       
   IMG Bild: Große symbolische Bedeutung: der Uterus, hier in Form von Blumen beim „Womxn's March“ in New York 2025
       
       Rauf auf den Stuhl, Beine auf die Stützen. Halb nackt und fröstelnd hofft
       man auf eine einfühlsame Behandlung. „Das Becken noch ein kleines Stück
       nach vorne, bitte.“ Was für cis Frauen schon unangenehm ist, ist für trans*
       Personen oft noch belastender.
       
       Der 20-jährige [1][trans* Mann] Nathan hat in zwei Wochen seinen ersten
       Vorsorgetermin bei einer Gynäkologin, schreibt er auf Anfrage. Der Student
       aus Chemnitz erwartet die Untersuchung mit Nervosität – aus Sorge vor
       unsensibler Sprache, fehlendem Wissen zu Testosteron und mangelndem
       Verständnis für Geschlechtsdysphorie.
       
       Menschen mit Geschlechtsdysphorie leiden, weil ihre
       [2][Geschlechtsidentität] nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen
       Geschlecht übereinstimmt. Psychotherapeut Alexander Röbisch-Naß mit
       Arbeitsschwerpunkt trans* Personen erklärt, viele von ihnen hätten
       Probleme, nackt vor dem Spiegel zu stehen oder zu duschen – eine intime
       Untersuchung werde so zur großen Belastung. Den Körper zu ignorieren,
       mildere die [3][Dysphorie]. Deshalb meiden viele Arztbesuche.
       
       Niklas ging es ähnlich. Der junge trans* Mann leistet in Chemnitz seinen
       Bundesfreiwilligendienst. Heute geht er regelmäßig zur Vorsorge. Auch der
       Hormonersatztherapie unterzieht er sich in einer gynäkologischen Praxis.
       
       Allerdings sind diese Vorsorgeuntersuchungen keine Pflicht bei der
       Hormonersatztherapie, obwohl durch die Vergabe das Krebsrisiko steigt. Zu
       Beginn verzichtete Niklas auf die Untersuchungen, ließ sich nur Testosteron
       verschreiben. Seit für ihn feststeht, dass er seine Gebärmutter behalten
       wird, lässt er sie untersuchen. „Und wenn ich jetzt nicht aktiv nach der
       Unterleibsuntersuchung fragen würde, würde meine Gynäkologin es auch nicht
       machen“, beschreibt er.
       
       Ein Mann mit Gebärmutter? Seine Ärztin frage ihn immer wieder, wann er
       weitere Operationen machen werde. Unter Druck habe er dann erklärt: „Ich
       werde keine weiteren fünf Operationen machen, meine Transition ist
       abgeschlossen.“
       
       ## Expert*innen für eigene Situation
       
       Niklas ist trotz des „veralteten Bildes“ seiner Gynäkologin zufrieden, da
       sie nicht trans* feindlich sei. Allerdings fehle ihr die nötige Expertise.
       Die zu niedrige Anfangsdosis seines Testosterongels passte Niklas nach
       Erhalt seiner Blutwerte selbst an, da es sonst zu Nebenwirkungen kommt.
       
       Betroffene müssen häufig Expert*innen für ihre eigene Situation werden.
       Es fehlt an Fachwissen und auch an sensiblen Ärzt*innen. Was das in der
       Praxis bedeutet, erleben trans* Menschen oft schon beim Versuch, einen
       Arzttermin zu vereinbaren. Nach der Nennung von Namen und Pronomen folgt
       nicht selten irritiertes Nachfragen, gefolgt von einer Absage – man
       behandle nur Frauen, wegen der Krankenkassen, so die Schilderung einiger
       Betroffener.
       
       Psychotherapeut Röbisch-Naß betont, dass es an der Bereitschaft mangle,
       sich mit trans* Patient*innen zu beschäftigen. „Fachliche
       Unsicherheiten werden oftmals weggeschoben und auf externe Themen
       verlagert, die nichts mit der Fachperson zu tun haben.“ So hören trans*
       Personen immer wieder, dass es angeblich nicht möglich sei, die
       Behandlungen abzurechnen, da Gynäkolog*innen nur Personen mit einem
       weiblichen Geschlechtseintrag behandeln dürfen.
       
       Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen stellt auf Anfrage klar:
       Für die Abrechnung sei maßgeblich, welche Geschlechtsorgane vorlägen,
       nicht, welche Eintragungen gemacht wurden.
       
       Den Mythos, womöglich auf den Behandlungskosten sitzen zu bleiben, kennt
       auch die Leipziger Gynäkologin Susan Wolf. Das Problem sei neben fehlendem
       Wissen vor allem, dass finanzielle Anreize für den höheren
       Behandlungsaufwand fehlen.
       
       Mehr noch: „Meine Kolleginnen sind da alle wenig oder gar nicht
       aufgeschlossen. Sie nehmen auch keine neuen Patientinnen an, schon gar
       nicht dann, wenn sie erahnen, dass sie vielleicht ein bisschen anders sein
       könnten, als sie es gewohnt sind“, sagt die Ärztin.
       
       ## Expertise nur durch Weiterbildungen
       
       Von Susan Wolfs rund 1.000 Patient*innen pro Quartal behandelt sie etwa
       5 trans* Männer und Frauen sowie 10 bis 15 Personen mit diversem
       Geschlechtseintrag. „Wenn sie mich nicht hätten, hätten sie ja niemanden“,
       sagt die 50-Jährige.
       
       Hinweise in der Praxis sind gegendert, der Ansprachewunsch wird abgefragt.
       „Manche mit einem Vornamen, manche mit Herr, Frau oder eben gar nicht. Da
       sind sie schon so dankbar, da merke ich erst mal, das ist nicht ganz
       selbstverständlich“, erklärt Wolf.
       
       Die inklusive Praxis stößt auf gesetzliche Hürden: „Frauenärztin“ steht
       auf der Website, was Personen wie Niklas oder Nathan ausschließt. Die
       geschützte Bezeichnung lässt nur die Alternative „Gynäkologie und
       Geburtshilfe“ zu – doch Wolf bietet keine Geburtshilfe an.
       
       Wolf hat sich ihre Expertise zur Behandlung von trans* Menschen über Jahre
       durch Weiterbildungen, Seminare und das Studium anderer Medikationen
       angeeignet.
       
       Hormontherapien zu verschreiben, sei leicht: „Es ist auch nichts anderes,
       als die Pille zu verschreiben. Natürlich in einer gewissen Konzentration,
       aber es ist nicht kompliziert“, sagt sie. Die Sorge vor juristischen
       Konsequenzen bestehe jedoch, da die Wirkung der Hormone nicht
       vollumfänglich untersucht worden sei.
       
       Dies kann im Zweifel bedeuten, dass Ärzt*innen verklagt werden können.
       Wolf könnte sich vorstellen, dass Kolleg*innen aus dieser Furcht keine
       Hormone verschreiben.
       
       Wie sich Susan Wolf durch ihr Medizinstudium auf die Behandlung von trans*
       Personen vorbereitet gefühlt hat? Sie lacht: „Gar nicht. Also null.“
       
       Wolfs Medizinstudium liegt 30 Jahre zurück – doch auch die neue Generation
       fühlt sich nicht adäquat ausgebildet. „Durchs Studium? Null“, sagt Susanna,
       die seit sieben Semestern in Leipzig Medizin studiert. Selbst in der
       Endokrinologie, der Lehre der Hormone, sei Trans*gesundheit kein Thema.
       
       ## Erhebliche Lücken in der medizinischen Ausbildung
       
       Auch das Zwischenmenschliche, also wie man sensibel mit trans* Personen
       umgehen könne, stehe nicht auf dem Lehrplan, fügt ihre Kommilitonin
       Katherina hinzu. Die beiden engagieren sich an der Uni bei der
       Hochschulgruppe Kritische Medizin Leipzig, um die medizinische Ausbildung
       zu verbessern.
       
       Die Medizinische Fakultät der Universität Leipzig äußert sich schriftlich:
       In vier Lehrveranstaltungen werde Trans*gesundheit neben weiteren Themen
       behandelt. Zudem solle das Pflichtmodul zu Antidiskriminierung und
       Chancengleichheit ausgebaut werden. Erstmals habe dies im Wintersemester
       2024/25 stattgefunden.
       
       Kritisiert werden dennoch erhebliche Lücken in der medizinischen Ausbildung
       und Forschung zu Trans*gesundheit, denn die Medizin arbeitet mit
       Normvorstellungen von Körpern und Geschlecht. Abweichungen davon werden oft
       unsichtbar gemacht – oder pathologisiert.
       
       Dass es unter Ärztinnen und in der Wissenschaft viel Unwissen zu
       Trans*gesundheit gibt, überrascht daher wenig. Bereits praktizierende
       Ärzt*innen müssen zwar nachweisen, regelmäßig Weiterbildungen zu
       besuchen. Verpflichtende Themen gibt es jedoch nicht.
       
       Weiterbildungen zu Trans*gesundheit sind freiwillig und selten. Die
       Landesärztekammer Sachsen bietet wenige Kurse an, eine geplante
       Veranstaltung zu Trans*gesundheit fiel mangels Nachfrage aus. Externe
       Organisationen bieten ebenfalls Fortbildungen und Netzwerke an.
       
       Solange das Thema nicht fest im Studium und in der Weiterbildung verankert
       ist, hängt die Versorgung von der Eigeninitiative einzelner Ärzt*innen ab
       – die oft gering ist, wegen Ablehnung, fehlender Anreize und Wissenslücken.
       Sollte sich die Versorgungslage nicht bessern, könne dies gefährlich
       werden, warnt Gynäkologin Wolf: „Dann könnte es bedeuten, dass sie ins
       Ausland gehen oder sich irgendwas selber zusammen bestellen oder wo auch
       immer herholen.“
       
       Sie hofft auf mehr Engagement ihrer Kolleg*innen und will aus
       Überzeugung weitermachen: „Ich sehe mich nicht nur als Frauenärztin,
       sondern als Menschenarzt.“ Nathans erste gynäkologische Untersuchung
       verlief gut, auch wenn veraltete Begriffe wie „Frauenarzt“ gefallen seien.
       
       Die Ärztin behandle sachlich und professionell, ohne Annahmen zu
       Partnerschaften oder Geschlechtsverkehr – eine Überraschung für den
       20-Jährigen. Sein Wunsch für die Gynäkologie: „Hoffentlich mehr
       Sensibilität, was Sprache über Transition angeht.“
       
       17 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Klara Behner
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