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       # taz.de -- Verteilung von Lebensmitteln: Alle wollen altes Essen
       
       > Neben den Tafeln gibt es auch Initiativen und Start-ups, die Essen
       > verteilen. Sie konkurrieren nicht unbedingt um Lebensmittel, aber um
       > Personal.
       
   IMG Bild: Lebensmittel in der Essener Tafel
       
       Berlin taz | Die Posse um die Essener Tafel ist beendet, [1][ab Mittwoch
       nimmt der Hilfsverein wieder ausländische Kunden auf]. Die Tafeln sind ihre
       Probleme damit aber nicht los – und diese fangen nicht erst bei der Ausgabe
       der Lebensmittel an: An einigen Orten reichen die Mengen an gespendeten
       Lebensmitteln auch nicht mehr aus, um alle Kunden zu versorgen.
       
       Die Tafeln bekommen heute zwar nicht weniger Lebensmittel von Supermärkten
       und vom Großhandel als früher, die Zahl der Bedürftigen stieg in den
       letzten Jahren allerdings um 18 Prozent an. Aktuell beziehen 1,5 Millionen
       Menschen Essen von der Tafel. Der Tafel-Bundesverband stellte 2016 in einer
       Umfrage fest, dass über die Hälfte der Ausgabestellen zu wenig Waren
       erhielten, um diesen Bedarf zu decken. Die Folge: kleinere Abgabemengen pro
       Person, Wartelisten und eben Aufnahmestopps – und damit Potenzial für
       Konflikte unter den Bedürftigen.
       
       Gleichzeitig entstehen neben den Tafeln neue Projekte, die alte
       Lebensmittel einsammeln und verteilen. Sind diese Projekte auch neue
       Konkurrenten um das knappe Angebot?
       
       Bei der 2012 entstandenen Internetplattform [2][Foodsharing.de] steht der
       ökologische Aspekt im Mittelpunkt. Einzelne Personen holen kleinere Mengen
       an Lebensmitteln beim Handel ab und bringen sie dann an öffentliche
       Verteilpunkte – frei für alle zugänglich, nicht nur für Arme.
       
       ## Kooperation mit den Tafeln
       
       Nach eigenen Angaben vernetzt die unkommerzielle Plattform, die von
       Ehrenamtlichen betrieben wird, bundesweit schon 35.000 Freiwillige, die
       gezielt kleine Läden mit geringen Abgabemengen ansteuern. Dabei soll es
       jedoch nicht zur Konkurrenz mit den Tafeln kommen. Seit 2015 besteht
       deshalb eine offizielle Kooperation: Die Tafeln holen regelmäßig große
       Ladungen nicht verkaufter Lebensmittel ab, während die sogenannten
       Foodsaver von Foodsharing.de spontan Kleinstmengen einsammeln. „Eine super
       Ergänzung“, findet Sabine Werth von der Berliner Tafel.
       
       Neben den Foodsavern haben inzwischen auch kommerzielle Unternehmen den
       Markt der Lebensmittelrettung entdeckt. Apps wie „ResQ“ oder „Too Good To
       Go“ geben Restaurants die Möglichkeit, ihre letzten Mittagstische billiger
       an User in der Umgebung abzugeben. „The Good Food“ verkauft in Köln
       Lebensmittel, die es gar nicht erst in die Läden geschafft haben, weil sie
       für den Handel nicht schön genug waren. Und in Berlin betreibt „SirPlus“
       seit 2017 einen eigenen Laden, in dem krumme Gurken und krosses Brot
       verkauft werden. Wie beim Foodsharing ist auch hier die Kundschaft nicht
       auf arme Menschen beschränkt.
       
       Was SirPlus besonders macht: Das Berliner Start-up kauft die Lebensmittel
       vorher für einen geringen Betrag auf. Die Waren kommen direkt aus dem
       Handel – und damit von Unternehmen, die ihre Waren bislang allein an die
       Tafeln spendeten. Speziell bei der Berliner Tafel stellt sich deshalb die
       Frage, ob SirPlus bei der Abholung eine Konkurrenz darstellt.
       
       ## Vorrang für Tafeln
       
       Große Handelsunternehmen beteuern, an ihrer Kooperation mit den Tafeln
       festzuhalten. Diese stünden weiter „an erster Stelle“, heißt es von Rewe.
       Ein Sprecher der Metro AG sagt: „Die Tafeln haben auch künftig stets
       Vorrang. SirPlus erhält lediglich aussortierte Waren.“ Auch Raphael
       Fellmer, Geschäftsführer und Mitgründer von SirPlus, ist überzeugt, dass
       man sich keine Konkurrenz mache. „Die Verschwendung an weggeworfenen
       Lebensmitteln ist leider immer noch riesig“, so der 34-Jährige.
       
       Tatsächlich kann sein Unternehmen auf Waren zurückgreifen, die für die
       Tafeln gar nicht in Frage kommen. So können die Tafeln beispielsweise keine
       Getränke in Pfandflaschen mitnehmen oder unbegrenzt viele Orte anfahren.
       SirPlus dagegen holt die Lebensmittel von vielen verschiedenen Quellen ab.
       Backwaren kommen vom Großhandel, Obst und Gemüse von den unterschiedlichen
       Ständen des Berliner Großmarkts und andere Sachen direkt vom Produzenten.
       
       Viel eher als bei den Lebensmittel könnte es dagegen beim Personal
       Konkurrenz geben. Denn auch hier stehen die Tafeln unter Druck. „Wir suchen
       händeringend nach Freiwilligen“, sagt die Sprecherin des Tafel-Verbands,
       Stefanie Bresgott. Dieser Mangel könnte theoretisch aufgefangen werden,
       denn in Deutschland tragen inzwischen viele Tausend Menschen zur
       Lebensmittelrettung bei. Doch über Neuzugänge können sich fast nur die
       jungen Initiativen wie Foodsharing.de freuen.
       
       ## Rentner in der Suppenküche
       
       Bei den Ausgabestellen der Tafeln hingegen ist der Altersdurchschnitt sehr
       hoch, es engagieren sich überwiegend Rentnerinnen und Rentner, die der
       körperlichen Belastung zum Teil nicht mehr gewachsen sind. Gerade jüngere
       Neuzugänge wären nötig, um das das Image der Tafeln zu verbessern. „In der
       Öffentlichkeit herrscht sehr oft das Bild der Suppenküchen vor“, ergänzt
       der Vorsitzende der Leipziger Tafel, Werner Wehmer.
       
       Initiativen wie Foodsharing und Unternehmen wie SirPlus arbeiten derweil
       viel am Image – die Twitteraccounts sind hip, ansprechend und voll mit
       Fotos der letzten Sammelaktion. „Lebensmittelretten soll Mainstream werden“
       sagt SirPlus-Geschäftsführer Fellmer. Das gehe aber nicht auf
       Freiwilligenbasis, sondern nur professionell.
       
       Beim kleinen Berliner Laden soll es deshalb nicht bleiben. Inzwischen gibt
       es einen Onlineshop, zusätzlich plant SirPlus ein Filialnetz. Nicht
       verkaufte Lebensmittel will das Unternehmen von einer Stadt zur anderen
       transportieren, um sie dann dort zu verkaufen.
       
       „Das ist Gigantomanie“, findet Sabine Werth von der Berliner Tafel. Im
       Hinblick auf die langen Transportwege hat sie zudem erhebliche „ökologische
       Zweifel“ an dieser Art des Lebensmittelrettens.
       
       Die Diskussion zeigt, dass es im Kampf gegen die Verschwendung von
       Lebensmitteln viele Ansätze gibt. Dabei besteht die Gefahr, dass soziale
       gegen ökologische Forderungen gegeneinander ausgespielt werden. Die
       Wohlfahrtsverbände kritisieren schon lange, dass die Bürgerinnen und Bürger
       hier Aufgaben übernehmen, die der Staat vernachlässigt – auch in Sachen
       Lebensmittelrettung. Für David Jans von Foodsharing bedeutet dies: „Unser
       Ziel ist es, uns überflüssig zu machen.“
       
       4 Apr 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Auslaenderstopp-bei-der-Essener-Tafel/!5493345/
   DIR [2] https://foodsharing.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Kränzle
       
       ## TAGS
       
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