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       # taz.de -- Video von IS-Terrorist Baghdadi: Und er lebt doch noch
       
       > Das neue Video des IS-Chefs zeigt: Die Zerschlagung des Kalifats ist nur
       > ein Etappensieg. Doch warum ließ Baghdadi so lange auf sich warten?
       
   IMG Bild: Wohlgenährt und gealtert: Abu Bakr al-Baghdadi
       
       Berlin/Istanbul taz | Fünf Jahre lang hat die Gallionsfigur des sogenannten
       „Islamischen Staats“ mit Videobotschaften auf sich warten lassen. In den
       Jahren, in denen die Extremisten eine Niederlage nach der anderen
       einstecken mussten, meldete sich Abu Bakr al-Baghdadi nur noch per
       Audio-Botschaft zu Wort. Mehrfach wurde er für tot oder schwer verletzt
       erklärt.
       
       Doch der 48-jährige Iraker lebt – und erfreut sich offenbar guter
       Gesundheit. Das zeigt das neue Video, das die IS-Propagandaabteilung am
       Montag über ihre einschlägigen Online-Kanäle verbreitete. „Ich habe keine
       Zweifel, dass das Video von ihm ist und dass es in den vergangenen zwei
       Wochen aufgenommen worden ist“, erklärt Peter Neumann, Terrorismusforscher
       am King's College in London, gegenüber der taz.
       
       Neumann weist auf einen entscheidenden Unterschied zu Baghdadis letztem
       öffentlichen Auftritt in der Nuri-Moschee in Mossul im Jahr 2014 hin:
       „Anders als damals zeigt sich Baghdadi nicht mehr in einer Moschee als
       Anführer der Muslime, sondern als Kriegsfürst mit einer Kalaschnikow.“ Der
       neue Clip richte sich in erster Linie an die verbliebenen Anhänger des IS.
       Der Krieg, so interpretiert Neumann die intendierte Botschaft, gehe weiter,
       werde sich aber verändern.
       
       In dem Video räumt Baghdadi die [1][Niederlage in Baghus] ein, der letzten
       IS-Hochburg in Syrien, wo die Extremisten mit Luftunterstützung der
       Anti-IS-Koalition von syrischen Kurden und ihren Verbündeten geschlagen
       wurden. Auf seine Weise bestätigt Baghdadi damit, was Experten schon lange
       sagen: Die Zerschlagung des Kalifats ist nur ein Etappensieg im Kampf gegen
       den IS. „Die Betonung“, sagt Neumann, „liegt jetzt nicht mehr auf dem
       territorialen Kalifat, sondern auf dem transnationalen Netzwerk des IS.“
       
       ## Audio-Sequenz wurde offensichtlich hinzugefügt
       
       Ausdrücklich erwähnt Baghdadi mehrere IS-Führungsfiguren, die im Kampf in
       der Region um Baghus getötet wurden, neben Extremisten aus Saudi-Arabien,
       Ägypten und dem Irak auch mehre Dschihadisten aus Australien, Belgien und
       Frankreich – etwa das französische Bruderpaar Fabien und Jean-Michel Clain,
       das als maßgeblicher Drahtzieher hinter den Anschlägen in Paris im November
       2015 gilt.
       
       Indem Baghdadi die ausländischen Dschihadisten sowie die IS-Ableger in
       Libyen, Ägypten, Afghanistan oder Bangladesch erwähnt, unterstreicht er den
       globalen Anspruch der Extremisten. Der Dschihad gegen die Kreuzfahrer werde
       lange dauern, sagt er. Die Glaubenskrieger sollten diesen mit allen Mitteln
       fortsetzen.
       
       Wie er sich das vorstellt, macht er am Ende des Videos deutlich, wo
       Baghdadi nur zu hören ist: In der offensichtlich nachträglich hinzugefügten
       Sequenz reklamiert er die [2][Anschläge in Sri Lanka] sowie einen kleineren
       Anschlag am selben Tag in Saudi-Arabien für den IS.
       
       Die Anschläge in Sri Lanka, die mindestens 250 Tote gefordert haben,
       bezeichnet er als Vergeltung für Baghus und gratuliert den
       Selbstmordattentätern zu dem Massaker. Dies sei es, was die Kreuzfahrer und
       ihre Schergen erwarte.
       
       ## Kein PR-Mann wie Osama bin Ladin
       
       Dass Baghdadi mit der neuen Videobotschaft so lange auf sich warten ließ,
       erklärt Neumann mit einem Zusammenspiel zweier Faktoren: „Zum einen ist
       Baghdadi kein PR-Mann wie Osama bin Ladin. Er sieht sich selbst nicht als
       charismatischer Führer.“ Zum andern sei es ihm möglicherweise nicht anders
       möglich gewesen: „Ich gehe davon aus“, sagt Neumann, „dass Baghdadi unter
       starkem Druck stand und es nicht einfach war, ein Video aufzuzeichnen.“
       
       Wann und wo das rund 18-minütige Video nun aufgenommen wurde, ist nicht
       klar. Die Iraker glauben, dass Baghdadi irgendwo im Euphrat-Tal im
       irakisch-syrischen Grenzgebiet untergetaucht ist, andere vermuten ihn in
       Syrien. Das Video ist sorgfältig inszeniert. Die Rolex, die Baghdadi
       während seines Auftritts in Mossul trug und ihm den Spottnamen Abu Rolexi
       eintrug, ist verschwunden. Die Falten in dem weißen Hintergrund deuten
       darauf hin, dass das Video in einem Zelt gedreht wurde.
       
       In einer dunklen Dischdascha, dem arabischen Männergewand, und einer hellen
       Militärweste sitzt der IS-Chef auf einer einfachen Matratze am Boden. Den
       buschigen Bart hatte er vor nicht allzu langer Zeit offensichtlich mit
       Henna gefärbt. Mit beidem, dem einfachen Setting und dem Henna,
       signalisiert er den Anhängern: „Ich führe ein einfaches und gottgefälliges
       Leben in der Tradition des Propheten Mohammed.“
       
       In ruhigem Ton spricht Baghdadi zu drei vermummten Männern, deren Gesichter
       verpixelt sind. Nacheinander händigen ihm die Gefolgsleute dünne
       Plastikmappen von den „Provinzen“ des Kalifats aus, darunter neben Ländern
       im Nahen Osten auch Libyen, der Sinai sowie Tschetschenien – und neu auch
       die Türkei. Und er akzeptiert die Treueschwüre von Extremisten in Mali und
       Burkina Faso.
       
       ## Die Legitimationskrise des IS
       
       Während seine Anhänger am Ende halb verhungert Baghus verließen, hat
       Baghdadi an Gewicht zugelegt. Doch die wichtigste Botschaft für seine
       Anhänger ist, dass er überhaupt noch lebt. „Der IS“, sagt Neumann, „steckt
       in einer Legitimationskrise. Auch die Anhänger fragen sich, ob es ihn noch
       gibt. Für sie ist dieses Video wichtig.“
       
       Die große Frage allerdings, über die sich auch Geheimdienstler stritten,
       sei, ob Baghdadi lediglich eine Symbolfigur ist oder beim IS tatsächlich
       noch die Strippen zieht. Dies sei weniger für die Anhänger entscheidend als
       für die Gegner des IS. „Sollte er nur eine Symbolfigur sein, wäre es
       militärisch unbedeutend, ihn zu töten“, sagt Neumann. Die Amerikaner haben
       ein Kopfgeld von 25 Millionen US-Dollar ihn ausgesetzt.
       
       30 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Inga Rogg
   DIR Jannis Hagmann
       
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