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       # taz.de -- Von der Leyen soll Präsidentin bleiben: Schachern für die Mehrheit
       
       > Vor dem EU-Gipfel steht bereits fest: Ursula von der Leyen soll
       > Kommissionspräsidentin bleiben. Das erfreut nicht alle.
       
   IMG Bild: Ziemliche neue beste Feinde? Giorgia Meloni neben Ursula von der Leyen beim G7-Treffen im italienischen Bari Mitte Juni
       
       Brüssel und Rom taz | Auf Ursula von der Leyen folgt – Ursula von der
       Leyen. Die CDU-Politikerin soll auch in den kommenden fünf Jahren die
       EU-Kommission führen und damit die mächtigste Frau in Europa bleiben.
       Darauf haben sich, rund zwei Wochen nach der Europawahl, sechs Staats- und
       Regierungschefs der EU geeinigt. Sie wollen [1][ihr Personalpaket] beim
       EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel präsentieren.
       
       Zu dem Deal, den Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Staatschef Emmanuel
       Macron und vier weitere EU-Politiker im Namen der drei großen
       Parteienfamilien (Konservative, Sozialdemokraten und Liberale) ausgehandelt
       haben, zählen noch zwei weitere Top-Jobs: Der Portugiese António Costa soll
       ständiger Ratspräsident werden, die Estin Kaja Kallas bekommt den Job der
       EU-Außenbeauftragten.
       
       Costa gilt als jovialer und ausgleichender Politiker; der frühere
       portugiesische Regierungschef soll künftig die EU-Gipfel vorbereiten und
       Kompromisse suchen. Kallas eilt hingegen der Ruf voraus, besonders
       kompromisslos zu sein – vor allem, wenn es um Russland und den Krieg in der
       Ukraine geht. Sie soll die Interessen der Balten und der Osteuropäer
       vertreten, Costa dürfte mehr für Südeuropa sprechen.
       
       [2][Mit dem Ergebnis der Europawahl] hat dieses Paket wenig zu tun, die
       Posten wurden nach parteipolitischem Proporz vergeben. Von der Leyen steht
       für die konservative Europäische Volkspartei EVP, Costa für die
       Sozialdemokraten, Kallas für die Liberalen. Die Rechtspopulisten der
       „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) wurden nicht
       berücksichtigt, obwohl sie stärker geworden sind.
       
       ## EU weiter auf Kurs halten
       
       Ist das demokratisch? Und kann das gut gehen? Das ist die Frage, die den
       bereits zweiten EU-Gipfel nach der Europawahl beherrschen dürfte. Beim
       ersten Spitzentreffen vor zehn Tagen waren sich die EU-Chefs noch nicht
       einig geworden. Die Konservativen hatten mehr Macht gefordert und damit
       Scholz und seine Genossen vor den Kopf gestoßen. Es herrschte dicke Luft,
       die Entscheidung wurde erst mal vertagt.
       
       Beim zweiten Anlauf stehen die Chancen besser. Denn die Sechsergruppe
       verfügt unter den 27 Mitgliedsstaaten über die nötige [3][qualifizierte
       Mehrheit]. Sie sehen sich nicht nur als Cheerleader für von der Leyen,
       sondern auch als Speerspitze der „Pro-Europäer“, die Populisten und
       Nationalisten widerstehen und die EU weiter auf Kurs halten.
       
       Doch zumindest zwei Verhandlungsführer – Macron und der niederländische
       Premier Mark Rutte – sind angeschlagen. Macron hat die Europawahl in
       Frankreich gegen die Nationalisten krachend verloren und hat deshalb
       Neuwahlen ausgerufen, die der EU große Sorgen bereiten. Und Rutte wurde am
       Mittwoch zum neuen Nato-Generalsekretär ernannt. Er kann schwerlich noch
       für die Niederlande sprechen.
       
       Außerdem wäre da noch die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni.
       Ihre „Fratelli d’Italia“ (Fdl) haben bei der Europawahl [4][hinzugewonnen],
       ihre Parteienfamilie – die EKR – wurde gestärkt. Meloni ist deshalb mehr
       als verärgert, dass ihre Regierung bei den Verhandlungen über die
       europäischen Top-Jobs keinerlei Rolle spielte und zu keinem Zeitpunkt
       konsultiert wurde. „Wir sind EU-Gründerstaat, wir sind die dritte
       Volkswirtschaft, der zweitgrößte Industriestandort, das nach Bevölkerung
       drittgrößte Land“, sagte sie in einer Regierungserklärung zum anstehenden
       EU-Gipfel am Mittwochvormittag.
       
       Vor allem aber rechnete die Postfaschistin vor, dass in Deutschland,
       Frankreich und Spanien die Regierungen die europäischen Parlamentswahlen
       verloren hätten, während sie selbst einen klaren Sieg verbuchen konnte.
       „Eine fragile Mehrheit“ schicke sich da an, in Europa die Entscheidungen zu
       treffen, in exklusiven „Kaminrunden“, angeblich vorbei an den Bürgern, die
       ein „konkreteres und weniger ideologisches Europa“ wollten. Schluss müsse
       sein mit „jenen Führungsklassen in Europa“, die weiter versucht seien, „den
       Staub unter den Teppich zu kehren und in ihren alten, enttäuschenden
       Logiken weiterzumachen“, kommentierte die Ministerpräsidentin den
       Personaldeal scharf.
       
       ## Melonis Position auf dem EU-Gipfel unklar
       
       Nachdem Scholz, Macron und Sanchez so ihr Fett wegbekommen hatten, ließ
       Meloni offen, wie sie sich auf dem EU-Gipfel positionieren will. Als
       mögliches Szenario gilt italienischen Medien zufolge, dass sie sich bei der
       Abstimmung über die Top Jobs der Stimme enthält und so ihren Dissens
       manifestiert.
       
       Das würde den Deal erst mal nicht platzen lassen, aber es gibt noch ein
       weiteres Problem: Das Europaparlament muss von der Leyens zweiter Amtszeit
       als Kommissionschefin zustimmen. Konservative, Sozialdemokraten und
       Liberale verfügen zwar rechnerisch über eine knappe Mehrheit. Doch da es in
       der Straßburger Kammer keine Fraktionsdisziplin gibt und von der Leyen
       viele Gegner hat, könnte es eng werden.
       
       Und da kommt Meloni ins Spiel. Während die italienische Ministerpräsidentin
       und von der Leyen monatelang untereinander [5][gedeihliche Beziehungen]
       aufgebaut haben, könnte Meloni der Kommissionspräsidentin jetzt in den
       Rücken fallen. Denn Meloni ist Vorsitzende der rechtskonservativen EKR. Und
       es stellt sich die Frage, wie deren 83 Abgeordnete, darunter 24 von Melonis
       „Fratelli d’Italia“ (FdI), im Juli votieren werden, wenn von der Leyen sich
       der Abstimmung im EP stellen muss.
       
       Deshalb geht der europäische Machtkampf weiter. Die Grünen würden gern mit
       von der Leyen gehen, fordern dafür aber ein klares Nein zu
       Rechts-Bündnissen. Doch die CDU-Politikerin hält sich alle Optionen offen.
       Sie könne sich durchaus vorstellen, mit einzelnen Politkern der
       rechts-konservativen EKR zusammenzuarbeiten, hat sie im Wahlkampf gesagt.
       Auch mit Meloni wolle sie weiter kooperieren.
       
       Am Ende könnte sie sich mithilfe der Grünen wählen lassen – und mit Stimmen
       der Rechten. Dann hätten die „Pro-Europäer“ zwar ihre Wunschbesetzung
       bekommen – doch die viel beschworene Brandmauer gegen Rechts wäre
       gebrochen.
       
       26 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Streit-um-EU-Spitzenposten/!6014625
   DIR [2] /Gruende-fuer-Erfolge-bei-der-EU-Wahl/!6015067
   DIR [3] https://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/voting-system/qualified-majority/
   DIR [4] /Europawahlen-in-Italien/!6016717
   DIR [5] /Von-der-Leyen-und-Meloni/!6012542
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
   DIR Michael Braun
       
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