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       # taz.de -- Vorfall bei Kundgebung in Ingolstadt: AfD-Chef im Krankenhaus
       
       > Vor einem Auftritt in Ingolstadt muss AfD-Chef Chrupalla medizinisch
       > behandelt werden. AfD spricht von Stich, Polizei ist zurückhaltend.
       
   IMG Bild: Musste im Krankenhaus behandelt werden: AfD-Chef Tino Chrupalla
       
       Berlin taz | Der Vorfall bleibt noch nebulös. Am Mittwochnachmittag musste
       der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla noch vor einem Wahlkampfauftritt auf dem
       Ingolstädter Theaterplatz medizinisch behandelt werden. Er wurde danach in
       ein Krankenhaus gebracht, wo er sich noch am Donnerstag befand. Inzwischen
       ermitteln die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft Ingolstadt zu dem Fall
       – wegen des Verdachts der Körperverletzung und gegen unbekannt. Chrupalla
       habe noch vor seiner Wahlkampfrede am Mittwochnachmittag Selfies mit
       mehreren Personen gemacht, bei denen es zu leichtem Körperkontakt gekommen
       sei, teilten beide Behörden mit.
       
       Dass Chrupalla dabei angegangen oder angegriffen worden sei, dafür gebe es
       jedoch „keinerlei Erkenntnisse“. Auf dem Weg zur Bühne habe der Politiker
       dann aber Schmerzen im Oberarm verspürt, so die Staatsanwaltschaft.
       Aufgrund weiterer gesundheitlicher Beschwerden sei er ins Klinikum
       Ingolstadt gebracht worden. Am Oberarm sei eine Schwellung und
       oberflächliche Rötung festgestellt worden. Weitere Untersuchungen verliefen
       „unauffällig“.
       
       Laut Polizei wurden bisher Chrupalla selbst, seine Personenschützer, eine
       Ordnerin und Teilnehmende der Kundgebung befragt. Einen konkreten Angriff
       auf den AfD-Vorsitzenden konnte dabei offenbar niemand schildern. Die
       Staatsanwaltschaft verwies noch auf ausstehende Ergebnisse von Blutproben
       und Untersuchungen der Kleidung von Chrupalla. Auch hatte sie Teilnehmende
       der Kundgebung aufgerufen, Fotos und Videos zu übermitteln. Schon in einer
       ersten Stellungnahme hatte die Polizei zwar bestätigt, dass Chrupalla
       hinter der Kundgebungsbühne medizinisch versorgt wurde.
       
       Gleichzeitig hatte sie aber betont: „Wobei eine offensichtliche Verletzung
       zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar war.“ Ein AfD-Sprecher sagte am
       Donnerstag der taz dagegen, Chrupalla werde „intensivmedizinisch
       behandelt“. Er habe bei der Kundgebung „einen Stich“ erlitten. Weiter
       führte der Sprecher das nicht aus. Alle Termine Chrupallas am Donnerstag
       seien abgesagt. Auch Bayerns AfD-Chef Stephan Protschka sprach von einem
       „tätlichen Angriff“ auf Chrupalla. In der AfD sorgt der Vorgang bereits für
       Aufruhr. So erklärte Sachsens AfD-Vorsitzender Jörg Urban: „Wenn es sich
       tatsächlich um einen Angriff gehandelt hat, ist das ein Mordversuch.“ Der
       Vorfall müsse „schnellstens aufgeklärt werden“. Urban beklagte eine
       „ausufernde Gewalt gegen Politiker meiner Partei“.
       
       ## Fragezeichen auch um „Vorfall“ von Alice Weidel
       
       Noch allerdings bleiben viele Fragezeichen. So wie auch zu einem zweiten
       „sicherheitsrelevanten Vorfall“ um [1][AfD-Chefin Alice Weidel], den die
       AfD erst am Dienstag vermeldete. Am Tag der Deutschen Einheit sollte Weidel
       in Mödlareuth auftreten, das halb in Bayern, halb in Thüringen liegt – war
       aber nicht erschienen.
       
       Der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter sagte auf der Bühne, dass
       Weidel und ihre Familie von der Polizei aus ihrer privaten Wohnung
       evakuiert und „in ein Safe-House“ gebracht worden seien und das Haus nicht
       verlassen könnten – „Hausarrest für einen politisch missliebigen
       Kandidaten!“, rief Kleinwächter im Wahlkampfmodus, um den größtmöglichen
       Effekt zu provozieren. Aus der AfD verlautete es unterdessen, es gebe
       Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag auf Weidels Familie. In
       Mödlareuth hielt Weidel eine kurze Videoansprache vor einem weißen
       Hintergrund, in der sie bedauerte, leider nicht vor Ort sein zu können.
       
       Blöd nur, dass Alice Weidel am selben Tag mit ihrer Lebensgefährtin auf der
       Ferieninsel Mallorca gesichtet wurde. Der taz liegen entsprechende Fotos
       vor, auf denen Weidel lächelnd in einem Strandrestaurant mit einer
       schwarzen Kappe und Sonnenbrille sitzt, offenbar ein Getränk genießend. Auf
       einem anderen Foto scheint sie die Sonne auf einer öffentlichen Promenade
       am Meer zu genießen. Zuerst berichtete der [2][Spiegel] über Weidels
       Mallorca-Aufenthalt.
       
       Mittlerweile widersprach auch das BKA auf taz-Anfrage der Darstellung, dass
       Weidel wegen Sicherheitsbedenken nicht an der Veranstaltung hätte
       teilnehmen können: „Die Absage der Teilnahme an der gestrigen Veranstaltung
       durch MdB Frau Alice Weidel geschah nicht auf Veranlassung oder Empfehlung
       des BKA“. Darüber hinaus könne man zu taktischen Maßnahmen oder
       Gefährdungsmomenten keine Auskunft geben.
       
       Weidels Sprecher bestätigte am Mittwoch der taz, dass die Partei-Chefin
       seit Sonntag auf Mallorca sei und „zeitnah auf dem Rückweg“ sein werde.
       Weidel habe sich zu der Reise unter dem Eindruck eines
       sicherheitsrelevanten Vorfalls am 23. September (zehn Tage vor dem
       kurzfristig abgesagten Auftritt) entschieden, dass sie „Zeit mit der
       Familie, an einem entfernteren Ort verbringen wollte.“ Laut Sprecher sei
       die Familie an besagtem Tag von der Schweizer Polizei an einen sicheren Ort
       gebracht worden und hätte sich dort bis zum Folgetag aufgehalten. Die
       Schweizer Polizei bestätigte bislang nur einen Einsatz am 23. September,
       ohne nähere Details zu nennen.
       
       ## Opfer-Rolle kein Einzelfall
       
       Von einem dauerhaften Aufenthalt, gar Hausarrest kann hingegen keine Rede
       sein: Selbst laut ihrem Sprecher war Weidel in der Woche nach dem Ereignis
       mit ihrer Familie daheim und man wollte durch eine frühzeitige Absage des
       Wahlkampfauftritts „keinen Staub aufwirbeln“. Offen ist bislang, inwiefern
       der Besuch eines öffentlichen Restaurants mit angeblicher Bedrohungslage
       und etwaigen Sicherheitsmaßnahmen im Einklang steht. Der Sprecher sagte,
       dass die Reise „selbstverständlich nicht direkt als ‚Versteck‘ oder
       ähnliches“ gedacht war. Auch hatte Weidel am 29. September schon wieder an
       einer Sitzung des Bundestags teilgenommen.
       
       Dass es AfD-Politiker*innen im Zusammenhang mit vermeintlichen Angriffen
       oder Bedrohungslagen mit der Wahrheit nicht immer allzu genau nehmen, ist
       kein Einzelfall. So verlautbarte die AfD nach einem Schubser gegen den
       [3][Ex-Parteichef Bernd Lucke] bei einer Wahlkampfveranstaltung bereits
       2013 von 20 bis 25 Linksextremisten und „Schlägertrupps wie in der Weimarer
       Republik“, von denen acht maskiert die Bühne gestürmt hätten, sogar von
       einem Messerangriff und einer Pfeffergas-Attacke war die Rede. Vor Gericht
       stellte sich raus: Nichts davon stimmte. Außer einem Schubser von einer 70
       Zentimeter hohen Bühne von zwei Gegendemonstrierenden gab es kein
       Tatgeschehen, Lucke fiel nicht einmal hin.
       
       In Bremen instrumentalisierte die AfD 2019 eine Attacke auf den damaligen
       Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz ganz bewusst und erfolgreich: Zunächst
       hieß es, der AfD-Politiker sei mit einem Kantholz niedergeschlagen und noch
       am Boden liegend getreten worden. Doch das stimmte nicht. Videoaufnahmen
       zeigten später: Magnitz wurde von hinten angesprungen und ist daraufhin
       ungebremst zu Boden gestürzt, die Täter flüchteten direkt. Die AfD postete
       ein Foto des Verletzten, sprach von „Mordanschlag“ als „Ergebnis rot-grüner
       Hetze“, Magnitz gab ob der bundesweiten Aufmerksamkeit noch vom Krankenbett
       Interviews. In einer später [4][bekannt gewordenen internen Mail] schrieb
       er, dass er ein Foto von dem Angriff bewusst geteilt habe, um „mediale
       Betroffenheit“ und „Aufmerksamkeit“ zu erzeugen.
       
       Die AfD befindet sich derzeit im [5][Wahlkampf zu den Landtagswahlen] in
       Bayern und Hessen. Chrupalla sollte eigentlich am Samstag nochmal für die
       AfD in Niederbayern auftreten. Am Sonntag wird dann in beiden Bundesländern
       gewählt.
       
       5 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Volksfest-Gillamoos/!5956405
   DIR [2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-und-alice-weidel-wirbel-um-eine-wahlkampf-absage-a-37cb6af1-5ffa-4bc5-b41a-413df8d122e0
   DIR [3] /AfD-Propaganda-vor-Gericht-entlarvt/!5488925
   DIR [4] /Frank-Magnitz-Medienstrategie-geleakt/!5563270
   DIR [5] /Landtagswahl-in-Bayern/!5958386
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
   DIR Gareth Joswig
       
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