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       # taz.de -- Vorwürfe gegen Taizé-Gemeinschaft: Kinderpornos hinter Klostermauern
       
       > Die Missbrauchsvorwürfe gegen die Taizé-Gemeinschaft in Frankreich wiegen
       > schwer. Nun ist erstmals ein Bruder schuldig gesprochen worden.
       
   IMG Bild: Vor allem im Sommer besuchen Tausende Jugendliche aus ganz Europa die internationale und ökumenische Brüdergemeinschaft Taizé
       
       Berlin taz | Es ist das erste Urteil nach einer Reihe von
       Missbrauchsvorwürfen gegen Brüder der Gemeinschaft von Taizé. Ein Gericht
       im französischen Tours hat Emmanuel C. wegen des Erwerbs von
       Missbrauchsdarstellungen schuldig gesprochen. So berichtet es die
       französische Lokalzeitung [1][La Nouvelle République].
       
       Demnach habe der 53-Jährige, sein voller Name ist der taz bekannt, während
       seiner Zeit in der Ordensgemeinschaft massenhaft Pornos aus dem Netz
       gezogen. Darunter Hunderte Bilder und Videos, die die Vergewaltigung von
       Kindern zeigten. Insgesamt hätten Ermittler:innen fünf
       2-Terabyte-Festplatten in C.s Zimmer beschlagnahmt. Die Durchsuchung im
       Kloster fand 2019 statt, nachdem eine Frau Anzeige gestellt hatte. Ihr
       Vorwurf: „sexueller Übergriff und Vergewaltigung“. Vor allem im Sommer
       besuchen Tausende Jugendliche aus ganz Europa die internationale und
       ökumenische Brüdergemeinschaft in Burgund – für Austausch, Workshops und
       niedrigschwellige Bibelarbeiten.
       
       Auch die grüne Vizepräsidentin des Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, hat
       sich in Taizé den Fragen der Jugendlichen gestellt. 2022 war
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zu Gast. Für viele
       deutsche Christ:innen ist Taizé von besonderer Bedeutung, den Zivildienst
       konnte man früher durch einen „Anderen Dienst“ in Taizé ersetzen.
       
       Ab 2019 machte die Gemeinschaft öffentlich, dass ihr Fälle sexualisierter
       Gewalt durch Brüder gemeldet wurden. Dann meldeten sich weitere Betroffene,
       [2][die taz berichtete 2022]. Mindestens fünf Brüder der Communauté wurden
       sexualisierter Gewalt beschuldigt.
       
       ## Alles Sexuelle war unter den Brüdern tabuisiert
       
       Die Vorwürfe gegen Emmanuel C. wogen besonders schwer, die Gemeinschaft
       schloss ihn während seiner U-Haft 2019 aus. Der Vorwurf der Vergewaltigung
       steht noch immer im Raum, C. wird psychiatrisch betreut. Dabei galt er in
       Taizé-Kreisen selbst als „der Psychologe“ unter den Brüdern.
       
       Sein erfolgreiches Buch „Gottes Liebe – größer als gedacht: Warum es
       notwendig ist, unsere Vorstellungen von Gott zu hinterfragen“ behandelt das
       Zusammenspiel von Psychologie und Theologie, Sexualität und Spiritualität.
       Auf Bitten Taizés hat der deutsche Patmos-Verlag den Titel aus seinem
       Programm genommen und für den Verkauf gesperrt.
       
       Mit 19 Jahren war der heute 53-jährige Franzose in die Ordensgemeinschaft
       eingetreten. Bei der Verhandlung in Tours gab er an, mit dem
       Zölibatsgelübde gehadert zu haben. Alles Sexuelle sei unter den Brüdern
       tabuisiert gewesen, die Rede davon mit Schuld verbunden.
       
       Aus Neugier habe er sich ab 2012 Pornos angesehen. Dann habe sich das
       Herunterladen zwanghaft entwickelt, sagte C. in der Verhandlung, „aller
       Sujets, auch der extremsten. Ich wusste nicht, wie mir geschah.“ „Sie
       wussten aber, dass man ein Kind nicht angreift. Das ist universell“,
       entgegnete dem Bericht zufolge der vorsitzende Richter. C.s Antwort: „Heute
       drehen sich meine Gedanken nur um die Minderjährigen. Das sind Praktiken,
       die Menschen zerstören.“
       
       Nachdem er Taizé verlassen hatte, absolvierte Emmanuel C. eine Umschulung
       im Immobilienbereich. Seine Strafe im Fall der Missbrauchsdarstellungen:
       ein Jahr Haft auf Bewährung, ein Eintrag ins Register der Sexualstraftäter
       und ein dauerhaftes Verbot des Umgangs mit Minderjährigen.
       
       Anne Terlongou war selbst als Jugendliche in Taizé zu Besuch, später blieb
       sie als Freiwillige ein Jahr dort. Sie hat einen anderen Bruder wegen
       sexueller Nötigung angezeigt, das aktuelle Urteil treibt sie um. Terlongou
       sorgt sich vor allem um die jungen Gäste, die im Sommer nach Taizé reisen.
       „Warum hat er nicht die Reißleine gezogen?“, fragt sie im Gespräch mit der
       taz. „Warum hat kein Bruder etwas bemerkt?“
       
       In seiner Aussage mache C. sich zum Opfer einer Gemeinschaft, die er
       gewählt habe. Auch Terlongou sieht Handlungsbedarf bei der Gemeinschaft:
       „Der Umgang mit der eigenen Sexualität sollte grundsätzlich Teil der
       Ausbildung der Brüder sein.“ Man solle sich zum Urteil positionieren, auch
       wenn C. nicht mehr Mitglied sei.
       
       Taizé-Bruder Francis Demar stammt aus Hessen und ist Sprecher der
       Gemeinschaft. Auf Anfrage der taz schreibt er: „Wir sind erleichtert, dass
       die zuständigen Behörden Straftaten klar benennen und ein Urteil fällen.
       Der Strafbestand war uns nicht bekannt, wir haben ihn über die Presse
       erfahren.“
       
       ## Klares Beispiel von mangelndem Urteilsvermögen
       
       Auf die Frage, welche Maßnahmen in der Gemeinschaft getroffen würden,
       antwortet Demar: „Das Strafrecht ist klar! Darüber hinaus sind uns
       christliche Werte Richtlinien, an denen wir uns orientieren.“
       Präventionskurse machten die Brüder jetzt auf die verschiedenen Formen von
       Gewalt aufmerksam. „Sie konfrontieren uns mit unserer eigenen Sexualität
       und machen uns der Verantwortung bewusst, die wir den Menschen gegenüber
       haben, die nach Taizé kommen.“
       
       Ein ausgestiegener Taizé-Bruder, der von 1997 bis 2007 in der Gemeinschaft
       lebte und heute als hoher EU-Beamter in Brüssel arbeitet, sagt im Gespräch
       mit der taz: „Der Fall Emmanuel ist ein klares Beispiel von mangelndem
       Urteilsvermögen derjenigen, die über die Aufnahme von neuen Brüdern
       entschieden und diese jahrzehntelang spirituell begleiteten.“
       
       Dass der Leiter der Gemeinschaft früher als charismatische
       Führungspersönlichkeit allein entscheiden konnte, dass einzelne Mönche ihre
       Probe- oder Ausbildungszeit abkürzen oder überspringen konnten, sei
       problematisch.
       
       Damit spielt der 50-jährige Ex-Bruder auf den Taizé-Gründer Roger Schutz
       an, der Emmanuel C. 1990 in die Gemeinschaft aufgenommen hatte. Nach
       Schutz’ gewaltsamen Tod 2005 übernahm der gebürtige Deutsche Alois Löser
       die Leitung der Gemeinschaft, [3][die er 2023 an den gebürtigen Briten
       Andrew Thorpe übergab]. Thorpe, Bruder Matthew genannt, will den anderen
       Brüdern mehr Mitspracherecht geben und in Taizé Strukturen etablieren, die
       sexualisierte Gewalt verhindern.
       
       Bei den Vergewaltigungsvorwürfen gegen C. sowie mindestens drei weiteren
       zur Anzeige gebrachten Fällen sexualisierter Gewalt kommt es nun auf die
       ermittelnden Behörden an.
       
       12 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.lanouvellerepublique.fr/indre-et-loire/indre-et-loire-la-justice-condamne-un-ancien-membre-de-la-communaute-de-taize
   DIR [2] /Christliche-Gemeinschaft-von-Taize/!5901344
   DIR [3] /Prior-Alois-Loeser-tritt-ab/!5946107
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hunglinger
       
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