# taz.de -- Vorwurf der Apartheid an Israel: Ein Staat, nicht zwei
> Im Zusammenhang mit Israel ist immer öfter von Apartheid die Rede.
> Hintergrund ist eine weitverbreitete postkoloniale Lesart des
> Nahostkonflikts.
IMG Bild: Trump unterschreibt: Graffiti an der Mauer in Bethlehem
Berlin taz | Es ist einer der umstrittensten Begriffe im
Israel-Palästina-Konflikt: Apartheid. [1][Die Diskussion] infolge des
jüngsten [2][Berichts von Amnesty International], in dem die
Menschenrechtsorganisation Israel auf 280 Seiten „Apartheid gegenüber den
Palästinenser*innen“ vorwirft, war also zu erwarten.
Neu ist die Debatte derweil nicht, ob der Apartheidsbegriff für die von
Israel militärisch besetzten und teils annektierten Gebiete – und womöglich
auch für Kernisrael – angemessen ist, oder ob es sich lediglich um einen
Kampfbegriff handelt, mit dessen Hilfe Israel delegitimiert werden soll.
In der Debatte wird die Situation in Nahost nur teilweise mit dem einstigen
Apartheidssystem in Südafrika parallel gestellt.
Menschenrechtler*innen versuchen vielmehr, den Begriff vom
südafrikanischen Kontext zu lösen. Hierbei greifen sie auf internationales
Recht zurück, in dem Apartheid ein klar definierter Straftatbestand ist.
Verfechter*innen des Apartheidsbegriffs argumentieren, dass die
Situation in Israel/Palästina zumindest teilweise die Kriterien der
Definition des Römischen Statuts von 1998 erfüllt.
Die Kontroverse um den Begriff geht einher mit einer zunehmenden Abkehr
sowohl der palästinensischen als auch der israelischen Seite vom
jahrzehntelang verfolgten [3][Ziel einer Zweistaatenlösung]. Denn seit den
gescheiterten Oslo-Verhandlungen in den 1990er-Jahren ist es immer
unrealistischer geworden, dass die Palästinenser*innen jemals in
einem eigenen souveränen Nationalstaat an der Seite Israels leben werden.
## Unterschiedliche Rechtssysteme
Die Hoffnung auf zwei friedlich koexistierende Staaten verblasste vor dem
Hintergrund eines äußerst komplizierten Status quo in Nahost, der in
Fachkreisen als „Einstaatenrealität“ diskutiert wird. Diese ist
beispielsweise der argumentative Ausgangspunkt der israelischen
Menschenrechtsorganisation [4][B’Tselem, wenn sie schreibt]: „Mehr als 14
Millionen Menschen, etwa zur Hälfte Juden und Palästinenser, leben zwischen
dem Jordan und dem Mittelmeer unter einer einzigen Herrschaft“ – nämlich
der Regierung Israels.
Aus dieser immer mehr auf Dauer angelegten Souveränität Israels über das
gesamte israelisch-palästinensische Territorium ergibt sich die Forderung
vieler Palästinenser*innen nach gleichen Rechten für alle – was ihnen
wiederum teilweise als Antisemitismus ausgelegt wird, da die Forderung das
Selbstverständnis Israels als jüdischer Staat infrage stellt.
Die Einstaatenrealität zeichnet sich dadurch aus, dass Israel die Land- und
Seegrenzen sowie die Währungspolitik fast vollständig kontrolliert. Zudem
gelten für Menschen in Israel und den palästinensischen Gebieten
unterschiedliche Rechtssysteme abhängig von ihrer religiös-ethnischen
Zugehörigkeit, dem spezifischen Wohnort und ihrer Staatsbürgerschaft.
Außerdem ist im Westjordanland teils eine geografische Separation von
Araber*innen und Sieder*innen zu beobachten, die von israelischer
Seite mit der Sicherheit begründet wird.
## Trump stärkte postkoloniale Lesart des Konflikts
Vor allem von Palästinenser*innen, aber auch von internationalen
Wissenschaftler*innen, wird die Einstaatenrealität in Nahost mit
zunehmender Tendenz durch die Perspektive des Postkolonialismus analysiert.
Die anhaltende Siedlungspolitik spielt dabei eine zentrale Rolle, die de
facto auf eine dauerhafte Aneignung von Teilen des Westjordanlands durch
Israel hinausläuft.
Offen kolonialistische Argumentationsmuster zeigten sich während der
US-Präsidentschaft Donald Trumps, als eine offizielle [5][Annexion von
Teilen des Gebiets] mit expliziter Unterstützung der USA erwägt wurde, was
viele Beobachter*innen in ihrer postkolonialen Lesart des Konflikts
bestärkte. Neben dem Begriff Apartheid wird von Kritiker*innen der
israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik daher auch der ebenfalls
umstrittene Begriff des „Siedlerkolonialismus“ verwendet.
2 Feb 2022
## LINKS
DIR [1] /Menschenrechtsorganisation-ueber-Israel/!5829584
DIR [2] https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2022/02/israels-system-of-apartheid/
DIR [3] /Nahost-Konflikt-und-Oslo-Abkommen/!5531989
DIR [4] https://www.btselem.org/publications/fulltext/202101_this_is_apartheid
DIR [5] /Israels-Annexionsplaene/!5685573
## AUTOREN
DIR Jannis Hagmann
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