# taz.de -- Wagenknecht-Äußerung zu Flüchtlingen: Rechts blinken, dann zurückrudern
> Die Linken-Fraktionschefin bezeichnet Merkels „Wir schaffen das“ als
> leichtfertig. Dann sagt sie, sie sei falsch verstanden worden. Es hagelt
> Kritik.
IMG Bild: Ist sie noch zu retten?
Berlin taz | Am Dienstagvormittag versucht Sahra Wagenknecht zu retten, was
zu retten ist. Die Fraktionschefin der Linkspartei veröffentlicht eine
Erklärung auf ihrer [1][Facebook-Seite]. Ihre Stellungnahme zu dem
Selbstmordattentat in Ansbach habe „offenbar zu Missverständnissen
geführt“, schreibt sie. Weder sei es ihr darum gegangen, die Aufnahme von
Flüchtlingen zu kritisieren, noch alle in Deutschland lebenden Flüchtlinge
unter Generalverdacht zu stellen.
Das sind ungewohnt selbstkritische Töne für die selbstbewusste
Linken-Frontfrau. Die Frage ist, ob ihr die Richtigstellung noch hilft.
Wagenknecht hat ihre Partei in der Flüchtlingspolitik mit markigen Sprüchen
schon mehrmals gegen sich aufgebracht. Doch die Pressemitteilung, die sie
am Montag verschickte, entfachte einen wahren Sturm der Empörung, der sie
am Ende wohl nicht wegfegen, aber doch empfindlich beschädigen wird. In der
Fraktion ist die Wut groß. Ihr Kovorsitzender Dietmar Bartsch, der eng mit
ihr zusammenarbeiten muss, sagte der taz: „Ich bin froh über die
Richtigstellung von Sahra. Ihre Pressemitteilung vom Vortag teile ich
nicht.“ Das ist ein sehr kühler Satz für jemanden, der qua Amt zur
Diplomatie verpflichtet ist.
Andere werden deutlicher. „Wer Merkel von rechts kritisiert, kann nicht
Vorsitzende einer linken Fraktion sein“, [2][twitterte] der Außenpolitiker
Jan van Aken am Dienstag. „Einigen bekommt offenbar die Sommerpause nicht“,
lästerte Fraktionsvize Jan Korte. Manche in der Fraktion schimpfen hinter
vorgehaltener Hand über die Chefin. „Was Sahra da abzieht, geht gar nicht“,
sagt ein Abgeordneter. „Das kotzt mich an.“
Das Unheil nahm am Montagnachmittag seinen Lauf. Die Fraktionspressestelle
verschickte Wagenknechts Statement zu dem Terroranschlag in Ansbach. Der
Amoklauf in München und die Macheten-Attacke in Reutlingen waren gerade ein
paar Tage her. „Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme
und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit
erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels
leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte“,
schrieb Wagenknecht. Der Staat müsse alles dafür tun, „dass sich die
Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können“.
## Beifall von falscher Seite
Merkels „Wir schaffen das“ war leichtfertig? Diese These würde Horst
Seehofer sofort unterschreiben. Wagenknecht ließ außerdem Punkte, die
Linken wichtig sind, komplett weg: keine Silbe über die nötige Integration
von Flüchtlingen oder darüber, dass die Anschläge keinen Generalverdacht
rechtfertigten. Stattdessen attackierte sie die CDU-Kanzlerin in einem
Duktus, den auch Rechtspopulisten gut finden. Der Beifall von falscher
Seite kam prompt. André Poggenburg, Wortführer des völkisch-nationalen
Flügels der AfD, [3][twitterte] hämisch: „Frau Wagenknecht, kommen Sie zur
AfD!“ In den sozialen Netzwerken wurde Wagenknecht von vielen Leuten
gelobt, die sich gerne „besorgte Bürger“ nennen.
Rechts blinken, kurz darauf zurückrudern: Es ist nicht das erste Mal, dass
Wagenknecht nach diesem Muster agiert. Kurz nach den sexuellen Attacken in
der Kölner Silvesternacht sagte sie: „Wer sein Gastrecht missbraucht, der
hat sein Gastrecht eben auch verwirkt.“ Wenig später erklärte sie, dass es
natürlich „Kapazitätsgrenzen“ gebe.
Im März, vor den Wahlen in drei Bundesländern, stellte sich Parteichefin
Katja Kipping offen gegen Wagenknecht und sah sich gezwungen zu betonen,
die Linke lehne Obergrenzen ab. Danach fanden jeweils turbulente
Fraktionssitzungen statt, in denen Wagenknecht von Kollegen scharf
angegangen wurde. Abgeordnete wiesen sie darauf hin, dass sie in diesem
Punkt nicht für die Fraktion spreche. Doch der Effekt auf die
selbstbewusste Frontfrau ist offenbar überschaubar. Hinter Wagenknechts
Rhetorik steckt ein Kalkül. Sie geht davon aus, dass in Linkspartei-Milieus
Menschen Angst vor zu viel Zuwanderung haben – und versucht, dieses Gefühl
zu bedienen.
Die Linkspartei steckt in einem Dilemma: Alle wissen, dass Wagenknecht für
viele Menschen eine linke Ikone ist. Messerscharf argumentierend, mit
kerzengeradem Rücken und gut aussehend sitzt sie in Talkshows, bekommt
Interviews in der FAZ und bringt bei Podiumsdiskussionen selbst
konservative Banker ins Schwärmen. Unter den vier Führungsfiguren – neben
ihr in der Fraktionsspitze Dietmar Bartsch, dann die beiden Parteichefs
Katja Kipping und Bernd Riexinger – ist sie das prominenteste Gesicht.
„Sahra ist wichtig, unbestritten“, räumt ein Vertreter des Reformer-Flügels
ein. „Sie hat einen riesigen Fanblock.“
## Wagenknecht isoliert sich in der Fraktion
Viele in der Partei würden über Wagenknechts rhetorische Ausrutscher
deshalb am liebsten schweigen. Ein Stratege bittet per SMS, die Causa nicht
kommentieren zu müssen – er sei im Urlaub. Riexinger und Kipping
verschicken am Montag eine lange, auf Wagenknecht gemünzte Pressemitteilung
– in der sie ihren Namen nicht erwähnen. Eine gefährliche Stimmungsmache
gegen Geflüchtete führe nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu „einer
Brutalisierung des gesellschaftlichen Klimas“.
Wagenknecht, das sagen viele in der Partei, ist dieses Mal zu weit
gegangen. Schließlich formuliert sie Positionen, die sie in der Fraktion
isolieren – und die dem Parteiprogramm widersprechen. „Schutzsuchende
dürfen nicht abgewiesen werden“, heißt es darin unmissverständlich. „Wir
fordern offene Grenzen für alle Menschen.“ Besonders in den Landesverbänden
in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern kam die Äußerung schlecht an. In
beiden Ländern stehen im September Landtagswahlen an. „Unsere Basis reibt
sich in der Flüchtlingsarbeit auf“, erzählt ein Berliner Linker. „Da wirken
solche Sätze von ganz oben zerstörerisch.“
Wagenknecht und Bartsch wurden im Oktober 2015 an die Fraktionsspitze
gewählt – als Duo, das den linken mit dem Reformer-Flügel versöhnen sollte.
Wagenknechts Alleingänge könnten diesen Pakt auf Dauer gefährden. Ihre
Richtigstellung hat sie nach taz-Informationen auch deshalb so deutlich
formuliert, weil ihre Kollegen intern Tacheles sprachen. Dieses Mal gab es
nur eine Rücktrittsforderung aus der Fraktion. Beim nächsten Mal könne es
viele geben, droht ein Reformer. „Wenn Sahra so ein Ding noch mal bringt,
dann ist sie weg.“
26 Jul 2016
## LINKS
DIR [1] https://www.facebook.com/sahra.wagenknecht/posts/1369615796389147
DIR [2] https://twitter.com/jan_vanaken/status/757845109815644160
DIR [3] https://twitter.com/PoggenburgAndre/status/757676860494970880
## AUTOREN
DIR Ulrich Schulte
## TAGS
DIR Ansbach
DIR Flüchtlinge
DIR Die Linke
DIR Sahra Wagenknecht
DIR Schwerpunkt AfD
DIR Konservative
DIR Sahra Wagenknecht
DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
DIR Die Linke
DIR Flüchtlinge
DIR Schwerpunkt Angela Merkel
DIR Schwerpunkt Angela Merkel
DIR Schwerpunkt Rassismus
DIR Die Linke
DIR Flüchtlinge
DIR Volksentscheid
DIR Die Linke
DIR Die Linke
DIR Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Interview mit Wagenknecht und Petry: Ein rechtes Konsensgespräch
Sahra Wagenknecht und Frauke Petry haben der „FAS“ gemeinsam ein Interview
gegeben. Bei vielen Themen klingen die Positionen sehr ähnlich.
DIR Debatte Neudefinition des Konservativen: Keine Sonntagsreden mehr
Anstatt sich weiter an Unisextoiletten und Doppelnamen zu reiben, sollten
sich die Konservativen der AfD stellen – auch mit Selbstkritik.
DIR Nach Kritik an Linken-Fraktionschefin: Solikommando Sahra W.
Ein Aufruf mit über 8.500 Unterschriften fordert, die
„Diffamierungskampagne“ gegen Sahra Wagenknecht zu beenden.
DIR Flüchtlingsstreit von CDU und CSU: Der Terror spaltet
Horst Seehofer ätzt wieder gegen Merkels „Wir schaffen das“. Er spricht von
der islamistischen Bedrohung und schließt seine Kanzlerkandidatur nicht
aus.
DIR Kipping über Wagenknecht: Rücktrittsforderungen unangemessen
Die Linken-Chefin stärkt der Fraktionsvorsitzenden nach deren umstrittenen
Äußerungen den Rücken. Doch Ende des Monats soll darüber noch einmal
diskutiert werden.
DIR Kommentar Sahra Wagenknecht: Lob auf eine Populistin
Sahra Wagenknecht polarisiert mit ihren Äußerungen zu Flüchtlingen. Gut so.
Sie steht für eine Linke, die das Land verändern will.
DIR Kommentar Merkels Pressekonferenz: Die Antipopulistin
Ist Angela Merkel zu wenig emotional, jetzt, da der Terror näher rückt?
Nein: Es ist nicht ihr Job, den Gefühlshaushalt der Nation zu regulieren.
DIR Bundespressekonferenz der Kanzlerin: Weiter, immer weiter
Angela Merkel bekräftigt ihre Position des „Wir schaffen das“. Dies soll
auch für den Kampf gegen den Terrorismus gelten.
DIR Öffentlicher Umgang mit Anschlägen: Vergebliche Sinnsuche
War der Münchener Attentäter rechtsextrem? Die Vorsicht der Medien, diese
Tat einzuordnen, würde auch in anderen Fällen guttun.
DIR Kommentar Sahra Wagenknecht: Mehr als ein Ausrutscher
Sahra Wagenknecht macht in Sachen Flüchtlingspolitik wieder der AfD
Konkurrenz. Die Linkspartei muss sich entscheiden, wo sie stehen will.
DIR Linken-Ko-Chef über Wagenknecht: „Das war natürlich nicht akzeptabel“
In einem Statement zu Ansbach verknüpfte Sahra Wagenknecht Terrorismus mit
Zuwanderung und Flüchtlingen. Ko-Chef Riexinger hofft auf mehr Bedacht.
DIR Sahra Wagenknechts Reaktion auf Brexit: Referenden auch in Deutschland
Linken-Politikerin Wagenknecht hält Volksentscheide auch in Deutschland für
sinnvoll. Denn zu Fragen wie einem EU-Austritt hätten die Menschen eine
Meinung.
DIR Tortenangriff auf Wagenknecht: Keine strafrechtlichen Konsequenzen
Auf dem Magdeburger Parteitag der Linken wurde der Fraktionschefin eine
Torte ins Gesicht geworfen. Sie erstattet deshalb aber keine Anzeige.
DIR Kommentar Tortenwurf auf Wagenknecht: Schlecht gezielt
Die Tortenwerfer haben sich verrechnet. Die Solidarität mit Sahra
Wagenknecht lässt jede Debatte über ihre Positionen verstummen.
DIR Parteitag der Linken in Magdeburg: Eine Torte für Sahra Wagenknecht
Obergrenzen und Gastrecht: Die Kritik an der Fraktionsvorsitzenden wird
handfest. Sie wird beim Parteitag getortet.