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       # taz.de -- Wahlen in Neuseeland: Die Konservativen wollen übernehmen
       
       > In Neuseeland dürfte am Samstag eine sechsjährige Phase progressiver
       > Politik enden. Meinungsumfragen sehen die National-Partei vorn.
       
   IMG Bild: National-Parteichef Christopher Luxon spricht bei einer Versammlung in der Hauptstadt Wellington
       
       Hawera taz | Laut Meinungsumfragen wird die seit 2017 in Neuseeland
       regierende Labour-Partei am Samstag abgewählt und durch eine Koalition der
       konservativen National-Partei mit einer der kleineren Parteien ersetzt.
       Neuer Premier dürfte dann der 53-jährige Christopher Luxon werden.
       
       Er ist Chef der National-Partei und war Vorsitzender von Air New Zealand.
       Zudem ist er Mitglied einer evangelikalen Freikirche und gilt als
       konservativer Abtreibungsgegner, der Steuern senken und die Sozialhilfe
       reduzieren will.
       
       Der noch amtierende Premier, Labour-Chef Chris Hipkins (45), hatte im
       Januar das Amt des Regierungschefs von Jacinda Ardern übernommen. Sie war
       überraschend zurückgetreten, weil sie nach knapp sechs Jahren im Amt
       „keinen Sprit mehr im Tank“ habe, wie sie sagte.
       
       Hipkins fungierte seither als Statthalter des Amtes und war oft damit
       beschäftigt, den Frust in der Bevölkerung über die „Ardern-Jahre“ zu
       glätten, mit dem Labour zu kämpfen hat.
       
       ## Kommentator: Ardern ist für Labour „toxisch“
       
       Es erstaunt nicht, dass Ardern in diesem Wahlkampf keine Rolle spielt. Im
       Gegenteil: Die einst vielleicht beliebteste Regierungschefin der Welt sei
       für ihre Partei heute toxisch, gar eine „persona non grata“, sagt ein
       Kommentator.
       
       Man muss denn auch lange suchen, um jemanden zu finden, der die
       Ex-Premierministerin mag oder auch nur ein nettes Wort über sie sagt. In
       der Regel löst ihr Name Beschuldigungen, Mutmaßungen und Spekulationen aus.
       
       Dabei hatte in den letzten Jahren kaum eine Politikerin die Welt so
       inspiriert wie die Polizistentochter. Als sie 2017 mehr durch Zufall als
       durch Ambition an die Macht kam, war die damals 37-Jährige jüngste
       Regierungschefin der Welt.
       
       Ardern zeigte, dass Politik auch mit Charme und Empathie funktioniert und
       wurde zum Vorbild für junge Frauen in aller Welt. 2018 brachte sie ihr Baby
       in die UN-Vollversammlung mit und stillte es in den Pausen. Alles schien
       möglich für Ardern bis zur Katastrophe von Christchurch am 15. März 2019.
       
       ## Ardern wurde für Konservative zum roten Tuch
       
       Da erschoss in Christchurch ein australischer Rassist in zwei Moscheen 51
       Menschen. Arderns Reaktion sei für die Premierministerin vielleicht der
       Anfang vom Ende gewesen, sagt die Politikkommentatorin Heather Ramsay. Dass
       Ardern aus Solidarität ein islamisches Kopftuch trug und ein Verbot für
       bestimmte Gewehre verhängte, hätte Konservative erzürnt.
       
       Seitdem hätten verbale und gelegentlich auch physische Angriffe gegen
       Politikerinnen zugenommen. Viele sonst vehemente Ardern-Kritiker, wie der
       gebürtige Schweizer Milchbauer Othmar Hebler bei der Molkereistadt Hawera
       an der Westküste der Nordinsel aber sagen: „Sie hat diese potenziell
       explosive Situation gut gemanagt.“
       
       Mit Covid kam die nächste Bewährungsprobe für Labour. Neuseelands
       Coronapolitik wurde zwar dank rigider Abschottung zunächst weltweit als
       Erfolg bewertet. Die harte Impfpolitik aber spaltete das Land.
       
       Die Folgen der quasi Stilllegung der Wirtschaft sind bis heute spürbar:
       schwaches Wachstum, Inflation und eskalierende Lebenshaltungskosten. Auch
       die Enttäuschung über gebrochene Wahlversprechen kosteten Ardern
       Popularität. Trotz Investitionen in Sozialprogramme blieb Kinderarmut
       endemisch und auch der Kampf gegen extreme Wohnungsnot blieb auf halber
       Strecke stecken.
       
       ## Bauern stören sich an Labours-Agrarpolitik
       
       Kritiker weisen das Argument zurück, Arderns Reformprogramm sei durch Covid
       blockiert worden. „Das Pandemieproblem hatten auch andere Länder“, sagt
       Bauer Hebler.
       
       Für die Landwirtschaft ist der wohl größte Kritikpunkt die Umwelt- und
       Klimapolitik der Ardern-Regierung. Das Land sollte zum globalen Vorreiter
       im Klimaschutz werden. Denn im Gegensatz zu Neuseelands touristischem Bild
       ist der Inselstaat alles andere als grün und sauber.
       
       Es gibt nicht nur hohe CO2-Emissionen: Gewässer sind vergiftet von der
       Jauche von sechs Millionen Kühen. Sie sind die Basis für lukrative Exporte.
       Doch Bauern klagten über Vorschriften und Kosten unter Ardern und lehnen
       Pläne zur weiteren Drosselung landwirtschaftlicher Klimagase ab. Eine
       Wiederwahl Labours sei für sie ein Albtraum, sagt die Milchbäuerin Clare
       Bishop aus Hawera. „Mein Sohn hat schon gesagt: ‚Wenn das passiert, wandere
       ich aus.‘“
       
       Der Favorit Luxon hielt sich im Wahlkampf bedeckt mit konkreten Aussagen zu
       seiner künftigen Politik. Er könnte Programme aus der Ära Ardern
       abschwächen oder gar rückgängig machen.
       
       11 Oct 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Urs Wälterlin
       
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