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       # taz.de -- Wahlrechtsreform beschlossen: Schrumpfkur für den Bundestag
       
       > Erhitzt debattieren die Abgeordneten am Freitag über die
       > Wahlrechtsreform. Union und Linke werfen der Ampel jetzt Manipulation
       > vor.
       
   IMG Bild: Bei der Debatte zur Änderung des Bundeswahlgesetzes ging es hoch her
       
       Ganz am Ende der Debatte im Bundestag versucht Unionsfraktionschef
       Friedrich Merz, das neue Wahlrecht doch noch abzubiegen. In einer
       Kurzintervention wendet er sich direkt an die Fraktionsvorsitzenden der
       Ampel und fordert sie auf, die Abstimmung um zwei Wochen zu verschieben.
       
       Der zuletzt vorgelegte Änderungsantrag verändere die Mechanik des
       Wahlrechts so grundsätzlich, dass er das Vertrauen in die Demokratie
       beschädige, sagt Merz. Er hatte sich in der erhitzen Debatte zuvor nicht zu
       Wort gemeldet, was angesichts ihrer Bedeutung ungewöhnlich ist. Stattdessen
       redete zunächst CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unter – was noch
       ungewöhnlicher ist – lautem Beifall der Linksfraktion.
       
       ## Dobrindt poltert
       
       „Das ist keine Reform, das ist ein Akt der Respektlosigkeit gegenüber den
       Wählerinnen und Wählern, gegenüber der Opposition und gegenüber der
       Demokratie an sich“, polterte Dobrindt. „Durch das Nichtzuteilen von
       Wahlkreisen wollen sie der CDU/CSU schaden, durch die Abschaffung der
       Grundmandatsklausel wollen sie die Linke aus dem Parlament drängen und mit
       einer offensichtlichen Freude das Existenzrecht der CSU in Frage stellen.“
       
       Jan Korte, der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, stand Dobrindt
       nicht nach. Er warf der Ampel eine Reform „im Geiste Orbans und Kaczyńskis“
       vor, sprach von einem „Anschlag auf die Demokratie“ und einem
       „hingerotzten“ Änderungsantrag, mit dem die Ampel zwei Oppositionsparteien
       eliminieren wolle.
       
       ## Gesetzentwurf weiter verschärft
       
       In der Tat hatten SPD, Grüne und SPD ihren Gesetzentwurf am Wochenende noch
       einmal verschärft. Ab der nächsten Wahl soll der Bundestag demnach
       dauerhaft von jetzt 736 auf 630 Sitze verkleinert werden. Allein die
       Zweitstimmen sollen in Zukunft die Verteilung der Mandate bestimmen.
       Überhang- und Ausgleichsmandate fallen weg. Das kann dazu führen, dass
       jemand, der in seinem Wahlkreis bei den Erstimmen auf dem ersten Platz
       liegt, trotzdem nicht in den Bundestag einzieht – [1][was besonders die CSU
       auf die Barrikaden treibt.]
       
       Die CSU hat von der bisherigen Regelung stark profitiert und schreit nun
       laut „Wahlmanipulation“. Konstantin Kuhle, FDP-Fraktionsvize, konterte im
       Bundestag: „Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein
       Wahlkreismandat.“ Das Erlangen hänge eben vom Wahlrecht ab.
       
       Am Wochenende hatte die Ampel auch die so genannte Grundmandatsklausel
       [2][aus ihrem Entwurf fürs Wahlrecht entfernt]. Bislang sitzen Parteien,
       die unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben, in der Stärke ihres
       Zweitstimmenergebnisses im Bundestag, wenn sie mindestens drei
       Direktmandate gewonnen haben. Das hat die Linke bei der letzten
       Bundestagswahl gerettet. Konsequenzen könnte das aber auch für die CSU
       haben, die 2021 bundesweit 5,2 Prozent bekam. Würde sie unter fünf Prozent
       rutschen, würde sie trotz vieler Wahlkreissiege aus dem Bundestag fliegen.
       „Ich wusste nicht, dass die CSU die Fünf-Prozent-Hürde fürchtet“, bemerkt
       dazu die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann süffisant.
       
       Sebastian Hartmann von der SPD dagegen betont, dass der Bundestag nun die
       „eigene Reformfähigkeit“ unter Beweis stelle. Zehn Jahre und einige
       Kommissionen lang war das gescheitert – vor allem an der CSU.
       
       Merz' Intervention am Ende bleibt erfolglos. Das neue Wahlrecht wird mit
       400 Ja-Stimmen, 261 Nein-Stimmen und 23 Enthaltungen angenommen. Letztere
       kommen von der AfD. Die Union wird wohl vor dem Bundesverfassungsgericht
       klagen, auch Jan Korte kündigte an: „Wir sehen uns in Karlsruhe.“
       
       17 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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