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       # taz.de -- Wahlrechtsreform der Ampelkoalition: Nicht nur die Linke muss bangen
       
       > Im Wahlkreis direkt Gewählte sollen nur noch in den Bundestag kommen,
       > wenn ihre Partei die Fünfprozenthürde schafft. Linke und CSU drohen mit
       > Klage.
       
   IMG Bild: Der Bundestag soll kleiner werden. Haben die Linkspartei und die CSU dort bald einen Platz mehr?
       
       Berlin taz | Muss die CSU bangen, im nächsten Bundestag mit keinem oder
       keiner einzigen Abgeordneten vertreten zu sein? Für eine Partei, die bei
       der vergangenen Wahl 45 der 46 Direktmandate erringen konnte, klingt diese
       Frage absurd. Doch genau diese Gefahr besteht, wenn die Ampelkoalition die
       von ihr geplante Wahlrechtsreform Ende dieser Woche durchs Parlament
       bringt.
       
       Kurz vor der finalen Abstimmung im Parlament haben SPD, Grüne und FDP ihren
       bisherigen Entwurf für ein neues Bundeswahlgesetz an mehreren Stellen zum
       Teil gravierend verändert. Eine Änderung in dem neuen Gesetzentwurf, der
       der taz vorliegt, betrifft die Größe des Bundestags. Der soll nun von
       derzeit 736 Abgeordneten nicht [1][wie ursprünglich geplant auf 598],
       sondern nur auf 630 Abgeordnete schrumpfen. Dabei soll die Anzahl der
       Wahlkreise mit 299 gleich bleiben. Es würde also künftig mehr über die
       jeweilige Landesliste einer Partei gewählte Abgeordnete im Parlament geben
       als direkt mit der Erststimme Gewählte.
       
       Wie bislang schon geplant sollen Überhang- und Ausgleichsmandate
       abgeschafft werden. Wenn eine Partei mehr Direktmandate holt, als ihr durch
       ihr Zweitstimmenergebnis zustehen, würden die „überschüssigen“
       Direktmandate wegfallen, die entsprechenden Wahlkreise wären also nicht
       mehr automatisch im Bundestag vertreten. Durch die Erhöhung der Gesamtzahl
       der Abgeordneten auf 630 soll allerdings die Anzahl der Direktmandate, die
       unter Umständen nicht zugeteilt werden, reduziert werden.
       
       Dramatische Folgen sowohl für die Linkspartei als auch die CSU könnten
       allerdings zwei andere Änderungen haben: Zum einen wollen die drei
       Regierungsparteien die sogenannte Grundmandatsklausel abschaffen. Danach
       würde es nicht mehr reichen, wenn eine Partei – wie aktuell die Linkspartei
       – drei Direktmandate gewinnt, um in den Bundestag einzuziehen. Sie müsste
       vielmehr auf jeden Fall die Fünfprozenthürde nehmen – außer bei ihr handelt
       es sich um eine Partei einer nationalen Minderheit, wie dem
       Südschleswigsche Wählerverband (SSW).
       
       ## Schafft eine Partei die Hürde nicht, verfallen Direktmandate
       
       Zum anderen sollen Kandidat:innen, die ihren Wahlkreis gewonnen haben, nur
       noch dann in den Bundestag einziehen können, wenn ihr Sitz auch von den auf
       die Partei entfallenden Zweitstimmen gedeckt ist. Einzige Ausnahme sind
       parteiunabhängige Bewerber:innen. Das heißt: Schafft eine Partei die
       Fünfprozenthürde nicht, verfallen alle ihre direkt gewonnenen Mandate. Um
       zu illustrieren, was das bedeutet: Als 2002 die PDS den Einzug in den
       Bundestag verpasste, schafften mit Petra Pau und Gesine Lötzsch trotzdem
       zwei PDS-Mitglieder als direkt gewählte Abgeordnete den Sprung ins
       Parlament. Das wäre künftig dann nicht mehr möglich.
       
       Noch heftigere Auswirkungen könnte die neue Regelung für die CSU haben.
       Denn die lag bei der vergangenen Bundestagswahl mit 5,2 Prozent der
       Zweitstimmen nur ganz knapp über der Sperrklausel, gewann aber mit einer
       kleinen grünen Ausnahme alle Direktmandate. Würde sie beim nächsten Mal auf
       4,9 Prozent abrutschen, würden auch alle ihre Wahkreisgewinner:innen
       nicht mehr dem Bundestag angehören können.
       
       ## CSU und Linkspartei gehen auf die Barrikaden
       
       Die Ampelparteien zeigen sich äußerst zufrieden mit ihrem Reformentwurf. Es
       handle sich um „ein einfaches, ein faires und ein transparentes Wahlrecht“,
       sagte Sebastian Hartmann, Obmann der SPD in der Wahlrechtskommission. Es
       seien „alle Parteien gleichermaßen betroffen, wie das eben bei einer gut
       funktionierenden und auch demokratisch legitimierten Verkleinerung des
       Parlaments der Fall sein sollte“, pflichtete ihm sein FDP-Kollege
       Konstantin Kuhle bei. Auch Grünen-Obmann Till Steffen zeigte sich
       zuversichtlich: „Wer das Gericht anrufen mag, wie das manche schon
       ankündigen, kann das gerne tun, hat auch ausreichend Zeit dafür vor der
       nächsten Bundestagswahl“
       
       Die Opposition schäumt hingegen. Von einer „Attacke auf die Demokratie“,
       sprach CSU-Chef Markus Söder. „Die Abgeordneten werden nicht mehr gewählt,
       sie werden zugeteilt“, empörte er sich. „Bis zur letzten Sekunde“ werde die
       CSU dagegen vorgehen, sagte Söder nach einer Sitzung des Parteivorstands am
       Montag in München. Notfalls werde es eine Verfassungsbeschwerde geben.
       
       „Es kann nicht angehen, dass eine Partei drei oder mehr Direktmandate holt
       und die aber allesamt wegfallen, weil die Fünfprozenthürde gerissen wurde“,
       sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte,
       der taz. Solange es kein reines Verhältniswahlrecht gebe, müssten die
       Erststimmen der Wähler:innen auch Berücksichtigung finden. Außerdem
       werde die Linkspartei „genau prüfen, ob der Wegfall der Grundmandatsklausel
       gegen die Verfassung verstößt“. Das Ampelvorhaben bezeichnete Korte als
       „unstrittig undemokratisch und ein klarer Angriff auf uns“. Das sei ein
       „atemberaubender Vorgang“.
       
       13 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Was-will-die-Wahlrechtsreform/!5907463
       
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   DIR Pascal Beucker
       
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