URI: 
       # taz.de -- Was passierte in Bottrop?: Anschlag, Amoklauf oder Terror?
       
       > Bei Gewalttaten entscheiden Medien schnell, wie sie das Ereignis nennen.
       > Manche Redaktionen haben dafür Regeln, andere entscheiden spontan.
       
   IMG Bild: Was war das in Bottrop? Und: Wie nennen wir es?
       
       Wie wir eine Gewalttat nennen, bestimmt, wie wir sie politisch bewerten. In
       Bottrop und Essen fuhr ein Mann in der Silvesternacht mit dem Auto in
       Menschengruppen, verletzte dabei acht Personen. Die Frage, ob Nachrichten
       dies bloß als „Anschlag“ oder gar als „Terror“ bezeichnen, ist nicht
       trivial.
       
       Die Wortwahl, das sogenannte [1][Framing], bestimmt, welche Teile der
       Wirklichkeit wir wahrnehmen. Nachrichtenagenturen und Medienmacher haben
       daher eine besondere Verantwortung: Sie müssen Ereignisse von Anfang an
       korrekt bewerten. Der Fall von Bottrop und Essen zeigt, wie jede Redaktion
       das Geschehen anders einschätzt und so andere Worte wählt.
       
       In der taz war die Tat von Bottrop und Essen ein „[2][Terroranschlag]“. Ein
       Begriff, den die Deutsche Presseagentur dpa in ihren Berichten bewusst
       nicht benutzte. Die Agentur titelte in der ersten Eilmeldung am
       Neujahrstag: „Mann fährt in Fußgänger – möglicherweise fremdenfeindlicher
       Anschlag“. Bottrop wird zum „Anschlag“, nicht zum „Terror“.
       
       Denn bevor die Agentur von „Terror“ spricht, müssen dort zwei Bedingungen
       erfüllt sein, erklärt Nachrichtenchef Froben Homburger auf Anfrage: „Der
       Täter muss zum einen politisch-ideologisch oder politisch-religiös
       motiviert gehandelt haben und zum anderen entweder einer extremistischen
       Organisation oder Zelle angehören oder sich zumindest einer solchen
       Organisation oder Zelle verbunden fühlen.“ Eine Verbindung zu einer
       Terrorgruppe sei bislang aber nicht bekannt. Daher bleibt die dpa beim
       „Anschlag“.
       
       ## Was genau ist passiert?
       
       Exakte Definitionen wie die der dpa gibt es am Newsdesk von Spiegel Online
       hingegen nicht. „Es kommt auf den Einzelfall an“, sagt Oliver Trenkamp,
       geschäftsführender Redakteur der Nachrichtenseite. „Eine allgemeingültige
       Definition für jede Eventualität kann es aus meiner Sicht nicht geben,
       zumal es auch in der Wissenschaft dazu unterschiedliche Auffassungen gibt.“
       Stattdessen gehöre die angemessene Einordnung zum „tagtäglichen Handwerk in
       der Redaktion“.
       
       Selbst wenn es schnell gehen muss, wie bei Eilmeldungen, bestehe der
       journalistische Anspruch, Vorgänge angemessen zu bezeichnen. Im Zweifel
       gelte bei Spiegel Online immer, so Trenkamp: „Korrektheit und Akkuratesse
       gehen vor Tempo.“
       
       Für die Redaktion der „Tagesschau“ wiederum war die Nachrichtenlage am
       ersten und zweiten Januar unsicher, sodass man weder von einer „Amoktat“
       noch von „Terror“ sprach. Man wolle vermeiden, sagt Chefredakteur Kai
       Gniffke, Ereignisse zu schnell in eine Schublade zu stecken, die sich
       anschließend als falsch erweist. Dafür prüfe man Fakten von allen Seiten:
       „Wir verlassen uns dabei nicht nur auf die Polizei, sondern prüfen alle
       Quellen, die wir anzapfen können, wie Bekennervideos oder ähnliches“, so
       Gniffke.
       
       Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus? 
       
       Wieso der mutmaßliche Täter in genau diese Menschengruppen fuhr, war ebenso
       umstritten. „Rassist fährt Menschen um“, titelte die taz demonstrativ am
       Donnerstag. Die Polizei Münster hatte zuvor aber in ihrer Pressemitteilung
       von einer „fremdenfeindlichen Einstellung des Fahrers“ gesprochen.
       „Fremdenfeindlichkeit“ geisterte fortan durch die Medien, von vielen
       kritisiert, weil die Opfer nur aus Tätersicht „Fremde“ im Land sind.
       
       Auch die „[3][Tagesschau“] verwendete den Begriff, habe damit aber alles
       richtig gemacht, verteidigt sich Gniffke: „Im Falle der Tat von Bottrop
       haben wir in unseren Berichten betont, dass die Polizei von einem
       ‚fremdenfeindlichen‘ Motiv ausgeht.“ Damit habe sich die Redaktion den
       Begriff nicht zu eigen gemacht, genauso wie beim Wort „Rassismus“: Auch da
       habe man „bewusst so formuliert, dass deutlich wird, dass der Begriff im
       Zuge der Ermittlungen verwendet wird“.
       
       Die „Tagesschau“ macht sich keinen der beiden Begriffe zu eigen,
       [4][Spiegel Online ] schon: „Wir bemühen uns, in unserer Berichterstattung
       den jeweils angemessenen Begriff zu benutzen“, sagt Trenkamp, „in diesem
       Fall ist das aus meiner Sicht ‚Rassismus‘.“ Man wolle die Wortwahl der
       Täter nicht übernehmen: „Dem mutmaßlichen Täter von Bottrop ging es ja
       darum, Minderheiten nicht mehr im Land haben zu wollen, die er als ‚Fremde‘
       bezeichnet.“ Daher sei es unangemessen, Begriffe wie „Fremdenfeindlichkeit“
       und „Ausländerfeindlichkeit“ weiter zu verwenden.
       
       Die Deutsche Presseagentur hat intern diskutiert: Soll man weiter von
       „Fremdenfeindlichkeit“ sprechen, selbst wenn man damit nur wiedergibt, was
       Polizei, Staatsanwaltschaft und das Innenministerium von
       Nordrhein-Westfalen gesagt haben? Die Journalisten einigten sich auf einen
       Kompromiss: „In unserer Berichterstattung zu Bottrop werden wir zwar auch
       weiterhin die offiziellen Formulierungen so wiedergeben, wie sie gefallen
       sind“, sagt Homburger, „werden aber zusätzlich darauf hinweisen, dass der
       Fahrer aus rassistischen Motiven handelte.“
       
       4 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Framing-in-politischen-Talkshows/!5508728
   DIR [2] /Rassistischer-Terroranschlag-in-NRW/!5562472
   DIR [3] https://www.tagesschau.de/inland/bottrop-117.html
   DIR [4] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/bottrop-und-essen-auto-attacke-interview-mit-matthias-quent-a-1246140.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Kowalski
       
       ## TAGS
       
   DIR Nachrichtenagentur
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Terrorismus
   DIR Tagesschau
   DIR Bottrop
   DIR Spiegel Online
   DIR Nachrichten
   DIR Kai Gniffke
   DIR dpa
   DIR Migration
   DIR SWR
   DIR Winnenden
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Psyche
   DIR Kolumne Habibitus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR In geschlossene Psychiatrie eingewiesen: Wahnsinn statt Terror
       
       Ein Mann steuerte in der Silvesternacht sein Auto mitten in feiernde
       Menschen. Ein Gericht schließt eine psychische Erkrankung nicht aus.
       
   DIR Kai Gniffke zum SWR-Chef gewählt: Es ist ein Mann
       
       Neuer SWR-Chef wird Kai Gniffke, bisher Chefredakteur der Tagesschau. Die
       Delegierten entschieden gegen die Frau aus dem eigenen Haus.
       
   DIR 10 Jahre nach Amoklauf in Winnenden: Schärferes Waffenrecht gefordert
       
       Winnenden-Angehörige fürchten, dass eine polarisierte Gesellschaft
       Amokläufe begünstigt. Die Grünen und die Polizeigewerkschaft wollen ein
       schärferes Waffenrecht.
       
   DIR Rechtsextremer Angriff in Bottrop: Die Aufgehetzten
       
       Mit einem Pkw versuchte ein 50-Jähriger in der Silvesternacht in Bottrop
       Migranten zu töten. Ähnliche Fälle gab es immer wieder.
       
   DIR Kommentar Terror psychisch Kranker: Eine irre Debatte
       
       Nach den Angriffen in Bottrop und Essen fragen Beobachter, ob der Täter
       Terrorist oder psychisch krank ist. Doch es ist auch beides möglich.
       
   DIR Kolumne Habibitus: Was für persönliche Betroffenheit?
       
       Rassismus ist kein Racheakt. Wer den Anschlag von Bottrop mit persönlichen
       Problemen des Täters begründet, legitimiert Rassismus.
       
   DIR Schlägerei in Bayern, Anschlag in NRW: Die populistische Dauerschleife
       
       Während Bundesinnenminister Seehofer eine Schlägerei in Amberg zum
       Politikum hochjazzt, wird der rassistische Anschlag von Bottrop
       verharmlost.