# taz.de -- Wehrdienst: Nur Verlierer in dieser Lotterie
> SPD, Union und das Verteidigungsministerium zerstreiten sich über die
> Ausgestaltung des neuen Wehrdienstes. Dabei schien eine Lösung zum
> Greifen nah.
IMG Bild: Tarnen und wegducken kann die Bundesregierung von diesen Soldaten lernen: bei einer Übung in Hammelburg
Berlin taz | Am Tag danach ist die schwarz-rote Koalition bemüht, den
Schaden zu reparieren, den sie mit ihrer demonstrativen Uneinigkeit bei der
Wehrdienstreform angerichtet hat. In der Union ist der Ärger groß über die
bereits angekündigte und dann doch [1][noch geplatzte Verständigung mit dem
Koalitionspartner]. In der SPD würden sie dagegen den gestrigen Tag am
liebsten so schnell wie möglich vergessen – in der Hoffnung, dass sich auch
alle anderen nicht mehr an den peinlichen Fauxpas erinnern.
„Ja, die Absage einer Pressekonferenz, da kann man darüber diskutierten, ob
das gut ist oder nicht“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der
SPD-Fraktion, Dirk Wiese, am Mittwoch. „Ich bin, was das angeht,
entspannt.“ Weniger lässig sah das die versammelte Hauptstadtpresse, die am
Vorabend extra eingeladen wurde, weil die Regierungsfraktionen eine
Einigung bei dem neuen Wehrdienst angekündigt hatten.
Stattdessen fanden die Journalist:innen vor: einen Sitzungssaal im
Bundestag ohne Gastgeber. Fernsehsender konnten live nur berichteten, wie
die Pressekonferenz zwanzig Minuten nach ihrem anvisierten Beginn abgesagt
wurde. Die Einigung war wieder hinfällig.
Bei der Auseinandersetzung geht es im Kern um eine gesellschaftlich
zentrale Frage: Unter welchen Bedingungen sollen und können junge Menschen
für einen Dienst bei der Bundeswehr verpflichtet werden? Über diesen Punkt
hatten sich Unterhändler:inen aus Union und SPD in der vergangenen
Woche den Kopf zerbrochen, um am Ende eine etwas eigentümliche Lösung zu
präsentieren: Künftig solle „mittels eines Zufallsverfahrens bestimmt“
werden, „wer zur verpflichtenden Musterung erscheinen muss“.
So steht es in einer Presseerklärung, die für den Dienstagabend bereits
vorbereitet war, dann jedoch nie versendet wurde. Dort heißt es auch:
Sollten sich nicht genügend Freiwillige finden, könnten „durch ein
Zufallsverfahren ausgewählte Männer für den Wehrdienst verpflichtet
werden“.
Wie das praktisch aussehen sollte? Unklar. Auch insgesamt sind diese
Überlegungen nun erst einmal vertagt. Es war wohl
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der letztlich eine Einigung
der Regierungskoalition durchkreuzte.
## Koalition bemüht sich um Normalität
„Wir hatten eine kontroverse Diskussion in der Bundestagsfraktion“, sagte
SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wiese. Er bemüht sich, die Vorgänge als
normale Arbeitsweise in der Koalition darzustellen. „Dass man auch vor
ersten Lesung zwischen den Fraktionen Eignungskorridore auslotet, ist
nichts Ungewöhnliches.“ Das Wichtigste sei nun, dass an diesem Donnerstag
die erste Lesung stattfinde.
[2][In Pistorius‘ Gesetzentwurf], den das Bundeskabinett im August
beschlossen hatte und um den es jetzt erst mal im Bundestag geht, ist die
Rede davon, dass ab Juli 2027 alle 18-jährigen Männer eines Jahrgangs zur
Musterung geladen werden sollen. Sein Ziel lautet dabei: Möglichst viele
junge Menschen erst mal bei der Bundeswehr zu erfassen, unabhängig davon,
ob sie einen Dienst an der Waffe leisten möchten oder nicht. Denn damit
würden zunächst einmal die – nicht wenigen – Untauglichen aussortiert.
Außerdem gilt, was häufig unerwähnt bleibt: Eine Kriegsdienstverweigerung
kann nur einreichen, wer bereits gemustert wurde.
Schon direkt nach der Einigung im Kabinett hatte die Union Bedenken an dem
Gesetzentwurf angemeldet. Mit Bundeskanzler Friedrich Merz und
Außenminister Johann Wadephul machten gleich zwei hochrangige CDU-Politiker
klar, dass ihnen der Vorschläge aus dem Verteidigungsministerium eigentlich
nicht weit genug gingen und dass sie sich stärkere Pflichtelemente
wünschen. Sie bezweifelten, dass sich über den von Pistorius
vorgeschlagenen Pfad genug junge Menschen für einen Dienst finden lassen.
Der Vorschlag des Verteidigungsministers sieht im Kern vor, dass ein
freiwilliger Dienst über einen Sold von 2.300 Euro attraktiver werden soll.
Zudem sollen von 1. Januar an alle 18-jährigen Männer ab Jahrgang 2008 dazu
gezwungen werden, in einem Brief zu beantworten, ob sie Interesse an der
Bundeswehr haben – wer ja sagt, soll dann einen sechsmonatigen Dienst
ableisten können.
## Entscheidend für SPD ist weiter die Freiwilligkeit
Das Gesetzgebungsverfahren zum neuen Wehrdienst wirft handwerkliche Fragen
auf, die kein gutes Licht auf die Arbeitsweise in der Regierungskoalition
werfen. [3][Unionspolitiker forderten eine Nachschärfung, noch bevor es im
Bundestag offiziell zur Beratung eingebracht wurde.] So entspann sich eine
Grundsatzdebatte über die Wehrpflicht, die sowohl auf Seiten der Union als
auch bei der SPD nicht mehr einzuholen war.
Dabei haben sich alle Beteiligten gegenseitig düpiert: Der
Verteidigungsminister, weil sein Gesetzentwurf von den eigenen
Kabinettskollegen zum Abschuss freigegeben wurde. Und Union und SPD, weil
sie tagelang um eine Einigung rangen, die sie dann erst ankündigten und
dann wieder zurücknehmen mussten.
Entscheidend für sie sei weiterhin das Element der Freiwilligkeit, betont
die SPD-Fraktion. Man wolle „einen modernen und gerechten Wehrdienst
schaffen, der zur Realität unserer Sicherheitslage passt und auf
Freiwilligkeit setzt“, sagte ein Sprecher der Fraktion. Man arbeite eng mit
dem Verteidigungsministerium an der Weiterentwicklung des Entwurfs.
„Das ist richtiges Kasperletheater“, kommentierte der Linken-Vorsitzende
Jan van Aken das Gerangel von Schwarz-Rot. „Alle wissen, dass diese
Regierung die Wehrpflicht will, die SPD will es nur anders nennen, um nicht
gleich so viele Wahlversprechen auf einmal zu brechen“, sagte van Aken der
taz. Als er von dem Losverfahren gehört habe, habe er sofort gedacht, das
sei doch wie russisches Roulette. Am Ende gehe es darum, „wer zieht in den
Krieg, wer muss sterben“. Er finde aber, dass niemand dazu gezwungen werden
darf. „Ich bin grundsätzlich gegen Zwangsdienste und damit auch
grundsätzlich gegen jede Wehrpflicht“, so der Linken-Chef.
Auf der Seite der Grünen sorgt das Vorgehen der Regierungsfraktionen
ebenfalls für Irritationen. „Ein Losverfahren würde es für uns einfach
machen, das Gesetz abzulehnen“, sagte die verteidigungspolitische
Sprecherin der Partei, Sara Nanni der taz. „Wir brauchen diejenigen, die
Lust haben auf einen Dienst bei der Bundeswehr.“ Bei einem Losverfahren
stellten sich zahlreiche Fragen, die sich nicht auflösten. „Das alles ist
alles kontraproduktiv, gerade wenn man das Vertrauen von jungen Menschen in
die Bundeswehr stärken will“, sagte sie.
15 Oct 2025
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## AUTOREN
DIR Cem-Odos Gueler
DIR Pascal Beucker
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