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       # taz.de -- Wie Journalisten ihr Handwerk lernen: „Kaninchen werden blind geboren“
       
       > Fast jeder junge Reporter muss als Erstes einen Bericht über den nächst
       > gelegenen Kaninchenzüchterverein verfassen. Was sagt uns das über den
       > Journalismus?
       
   IMG Bild: Tiere gehen immer
       
       Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Ohne diese fünf Wörter geht im Journalismus gar
       nichts. Und genau so gilt dort, dass man einen Text mit einem Satz beginnt,
       der den Leser so in den Artikel zieht, dass er ganz sicher bis zum letzten
       Anschlag weiterliest. Bei diesem Text ist das der Satz: Ohne die
       Kaninchenzüchtervereine wäre der deutsche Journalismus am Ende.
       
       Diese Geschichte handelt davon, dass Journalisten ihr Handwerk häufig bei
       Lokalzeitungen lernen und dort dazu verdonnert werden, über Ehrungen
       langjähriger Mitglieder von Kaninchenzüchtervereinen zu berichten, bevor
       sie – sagen wir – zum Spiegel gehen oder zur Frankfurter Allgemeinen
       Zeitung.
       
       Wer? Der Autor dieses Textes fing als Freier Mitarbeiter beim Trierischen
       Volksfreund an.
       
       Wann? Dies begab sich zu einer Zeit, in der Artikel mit elektrischen
       Schreibmaschinen auf Manuskriptpapier – mit vorgegebener Spaltenbreite –
       gehämmert und Fotos auf Schwarz-Weiß-Film gebannt wurde, bevor ein Bote
       beides in die Druckerei brachte. Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger.
       
       Wie? Die Geschichte funktioniert so: Der Autor besucht zwei
       Kaninchenzüchtervereine, die gibt es nämlich immer noch, obwohl sie unter
       Journalisten längst zu einem Running Gag verkommen sind.
       
       ## Auch in der Hauptstadt gibt es Kaninchenzüchter
       
       Wo? Besucht wird ein Kaninchenzuchtverein in der Hauptstadt des
       Hauptstadtjournalismus. In Berlin, also dort, wo man zunächst nicht mit
       Kaninchenzüchtervereinen rechnet. Der Fokus soll auf die „Frauengruppen“
       des Vereins gerichtet sein, weil das unerwartbar ist und diskursiv gut
       einzubetten. In der Redaktion sagt man: Das ist der Dreh. Und dann noch
       einen in der Kleinstadt Wittlich, Rheinland-Pfalz, heute „moderne Provinz“.
       
       Der Autor hat dort einst sein Handwerk gelernt – er schrieb genau über den
       Verein, den er nun besuchen wird. Neunzehn Jahre alt war er damals. Genauso
       alt wie der junge Lokaljournalist, den er dort treffen wird, um mit ihm
       über Kaninchenzüchtervereine, Handwerk und die Zukunft des Journalismus zu
       sprechen. Aber nicht nur. Artikel müssen sich aufblasen, es darf nicht nur
       um Hasen gehen. Sondern auch um Frau und Mann, Heimat und Ferne, Leben und
       Tod.
       
       Es fehlt nun noch ein sechstes Wort mit W: Warum? Weil Ostern ist und
       Journalisten Themen gerne aktuell aufhängen. Es ist dabei egal, ob der
       Osterhase ein Hase oder ein Kaninchen ist, weil den Unterschied kaum ein
       Mensch kennt – das wäre allerdings zu recherchieren. Die Recherche nämlich
       gilt als letzter Unique Selling Point des Journalismus in der Krise: Die
       Zeitungsauflagen sinken seit Jahren und eine ganze Branche brütet über der
       Frage, wie man mit Journalismus im Internet Geld verdienen, also
       Redakteursgehälter bezahlen kann.
       
       Journalisten beschäftigen sich gerne mit sich selbst, deshalb geht es in
       dieser Geschichte nicht bloß um Kaninchen, sondern auch um den
       Journalismus. Und nach diesem komplett unzulässigen Einstieg geht es jetzt
       richtig los mit der Geschichte, wieder mit einem tollen Einstiegssatz:
       
       In Berlin tätowiert man Kaninchen den Buchstaben D in die Innenseiten ihrer
       Ohren. (Gut, oder?) Das D steht unerklärlicherweise für den Landesverband
       Berlin-Brandenburg, in dem sämtliche Kaninchenzüchtervereine der Region
       vereint sind und ist ein Teil der Kaninchenkennzeichnung.
       
       ## Es geht um perfekte Kaninchen
       
       Es sind nicht irgendwelche Kaninchen, sondern hochgezüchtete
       Rassekaninchen. Sie müssen perfekt gewachsen sein, sie müssen Wettbewerbe
       bestehen und Auszeichnungen gewinnen. Wenn sie zum Beispiel ein Doppelkinn
       haben, dann wird ihnen das Fell über die Ohren gezogen und sie kommen in
       den Kochtopf: So wird es in ganz Deutschland gemacht, und so macht man es
       auch in Berlin-Lichtenrade, einem Einfamilienhäuser-Viertel am Rande des
       alten Westberlin.
       
       In einem dieser Häuser wohnen Karin Seipp, Jahrgang 1944, und Harald Seipp,
       Jahrgang 1941. Beide sind im Kleintierzuchtverein D 380 Buckow – und Karin
       Seipp leitet dessen Frauengruppe: „Wir sind vierzehn Frauen – der
       Altersdurchschnitt liegt allerdings bei 68 Jahren. Es ist schwer für uns,
       Nachwuchs zu finden – und das ist schade, weil so Know-how verloren geht.
       Man braucht Geschick. Und es ist eben Arbeit“, erzählt Karin Seipp am
       Esstisch, während ihr Mann den Kaffee macht.
       
       Heute soll sie die Hauptperson sein, was eigentlich machen diese
       Frauengruppen? „Bei uns zum Beispiel Angorapullover. Das Fell der
       Angorahasen wird zu Fäden versponnen – das aber machen wir nicht selbst, in
       Westdeutschland gibt es noch Frauengruppen, die das können.“
       
       Sie selbst kam durch ihren Mann zu den Kaninchen – der ehemalige Beamte
       hatte sich die Zucht zum Hobby für die Rente auserkoren, und Karin Seipp,
       sie arbeitete früher als Angestellte im Bezirksamt, klinkte sich im Jahr
       2001 ein. „Eigentlich stamme ich aus Recklinghausen – zu Hause hatten wir
       keine Kaninchen, man hatte dort eher Tauben. Und das mit den Kaninchen, da
       ging es ja ursprünglich ums Essen, um die Gewinnung von Nahrungsmitteln.
       Kaninchen schmeckt auch sehr gut, in Sahne- oder Tomatensoße, man kann
       alles mögliche mit dem Fleisch machen.“
       
       ## Kaninchen kommen aus der Mode, Journalismus nicht
       
       Stricken, braten, basteln – die Männer züchten und misten, die Frauen
       verarbeiten und kochen? „Nein“, sagt Frau Seipp, „es gibt auch
       Züchterinnen. In den Verbänden gibt es auch Frauen im Vorstand.“ Ihr Mann
       ergänzt: „In Brandenburg gibt es sogar einen Mann in einer Frauengruppe!“
       
       Auch bei den Kaninchenzüchtern sind überkommene Rollenbilder anscheinend
       aus der Mode gekommen – doch leider auch die Kaninchenzüchter selbst: „Die
       Leute haben heute kleinere Grundstücke und Freizeitgärten. Die Nachbarn –
       Kaninchen sind zwar nicht so laut wie Hähne, sie klopfen aber. Und der
       Geruch, man muss streng darauf achten, dass es nicht zu
       Geruchsbelästigungen kommt. In Brandenburg, da ist es besser, die sind
       längst führend. Und in Westdeutschland, da ist noch mehr los“, erklärt
       Harald Seipp.
       
       Ob er bei Facebook ist? Könnte man doch zur Gewinnung neuer Mitglieder
       nutzen? „Nein, ich habe keine Freunde, und ich will dort nicht nur meine
       Kinder nerven.“ Apps? „Ich habe ein Handelsblatt-App für mein i-Phone, aber
       das ist so klein, ich kann es nicht gut lesen.“ Und berichten die Berliner
       Lokalzeitungen noch über Kaninchenzüchtervereine? „Ja, manchmal. Aber wenn,
       dann hauptsächlich an Ostern.“
       
       Da macht man dann mal eine bunte Reportage. Schön mit Freistellern, also
       mit ausgeschnittenen Hasen ohne Bildhintergrund, die man irgendwo in den
       Text pappt, damit die Zeitung lebendig und nach Internet aussieht, aber
       draufklicken nützt dann gar nichts.
       
       ## Ihm wird schlecht vom Schlachten
       
       Herr Seipp ist nunmehr ganz unauffällig zur Hauptfigur des Gesprächs
       geworden, Gender-Alarm – wir verlassen die gemütliche Sphäre des
       Wohnzimmers und gehen zu den Kaninchen. Schwarze Fellhügel hinter grünen
       Gitterstäben. In seinem kleinen Stall erzählt Seipp, dass er nicht mehr
       gerne schlachtet: „Nach spätestens drei Stück wird mir komisch zumute.“
       
       Im Garten der Seipps hängt überall Osterschmuck. All das – die Gartenmöbel
       mit den gepolsterten Auflagen, die Lesebrille neben der Zeitung auf dem
       Tisch – illustriert das Rentner-Glück zweier Kriegskinder, denen es am Ende
       doch noch gut gegangen ist. Ein eigenes Haus, Kinder, sie nennt ihn
       zärtlich „Dicker“. Sie erinnern mich an meine Eltern: Zwei liebenswürdige
       ältere Herrschaften, die ein Hobby haben. Einfach nur so.
       
       Es wird nicht so weit kommen, dass die beiden YouTube-Kaninchen-Videos
       drehen, um D 380 Buckow im 21. Jahrhundert zu verankern. Und wenn man es
       nicht besser wüsste, so fühlte man sich hier am Rande der Hauptstadt
       genauso wie in einer Kleinstadt irgendwo in Westdeutschland, dort, wo es
       den Kaninchenzüchtern angeblich noch gut geht, dort, wo noch immer meine
       Eltern wohnen.
       
       ## Zurück in der Zeit im Lokaljournalimus
       
       Mit dem Zug braucht man fast acht Stunden von Berlin bis nach Wittlich in
       Rheinland-Pfalz. 15.000 Einwohner und ein Hauptbahnhof, der aussieht wie
       ein heruntergekommener Berliner S-Bahnhof. Die Stadt liegt in einem Tal,
       hinter dessen Bergen es an die Mosel, in die Eifel und in Richtung Hunsrück
       geht. Heimat. „Und du besuchst den Festus?“, fragt meine Mutter, als sie
       mich am Bahnhof abholt, sich womöglich darüber wundernd, ob Journalisten in
       Berlin nichts anderes zu tun haben. Über Wulff berichten, Eurokrise, die
       SPD und Angela Merkel.
       
       Festus, so lautete der Spitzname des Hausmeisters an meinem
       Bildungsreform-Gymnasium, also einer Schule, an der man sich aussuchen
       konnte, ob man Latein lernen will oder nicht. Und er war und ist
       Vorsitzender des Wittlicher Kaninchenzuchtvereins RN 64. RN, das steht für
       Rheinland-Nassau und wird ebenfalls in Ohren tätowiert – was ich aber
       seinerzeit, als ich seinen Stallungen zum ersten Mal einen Besuch
       abstattete, noch nicht auf dem Schirm hatte.
       
       Es ging bei dem Artikel damals eher um Mitglieder als um Kaninchen, mehr um
       einen Bericht als um eine Geschichte. „Man muss bitte, bitte, bitte sagen,
       wenn der Volksfreund mal was schreiben soll“, sagt Wolfgang Zurgeißel,
       Festus, und ich habe fast ein schlechtes Gewissen, so wie damals in der
       Schule, wenn ich ordnungswidrig mit dem Fahrrad die Rampe zum Fahrradkeller
       hinunterfuhr, anstatt zu schieben.
       
       ## Kaninchen schulen das Handwerk des Journalisten
       
       Aber ich bin ja heute im Auftrag einer Zeitung hier, die damals von
       konservativen Lehrern misstrauisch beäugt in der Schulbibliothek auslag,
       während eher liberale oder linke Lehrer es degoutant fanden, dass ich für
       den Volksfreund schrieb, der als reaktionär und spießig galt, aber die Zeit
       suchte damals einfach keine freien Mitarbeiter im Einzeitungskreis
       Wittlich.
       
       Es ging darum, das Handwerk des Journalismus zu erlernen: Weinköniginnen
       interviewen, Bundesverdienstkreuzverleihungen, Schwimmbadbegehungen mit dem
       Bürgermeister. Und eine einzige Kaninchenzüchtergeschichte in all den
       Jahren: RN 64.
       
       Damals mümmelten die Kaninchen im Garten der Dienstwohnung von Wolfgang
       Zurgeißel, direkt neben der Rampe des Fahrradkellers: „Wenn ich mal einen
       guten scheckigen Wurf hatte, habe ich dem Bio-Lehrer Bescheid gesagt, und
       der kam dann mit der Klasse – Mendelsche Vererbungslehre!“ Heute ist
       Wolfgang Zurgeißel längst in Rente, er wohnt nicht mehr neben der Schule,
       in seiner Dienstwohnung werden nun „Mediationsräume für die Schüler“
       eingerichtet, er sagt das so lakonisch, das man auch irgendwie gleich
       Bescheid weiß, was er davon hält.
       
       ## Ausweitung auf Kleintierzucht
       
       Hat der RN 64 eigentlich eine Frauengruppe? „Nein, die wurde aufgelöst,
       keine Mitglieder mehr. Im Westerwald ist es besser, auch in Idar-Oberstein.
       Und natürlich in Baden-Württemberg und in Bayern. Wir haben Altersprobleme
       – ich selbst habe gesundheitliche Probleme und will den Vorsitz jetzt
       abgeben, ich mache das ja jetzt seit 1973.“
       
       „Seitdem ich nicht mehr so kann, fehlt der Leithammel. Wir brauchen
       Nachwuchs – und heißen deshalb jetzt Kleintierzüchterverein RN 64, damit
       mehr Mitglieder kommen. Die Kaninchenzucht, das macht Arbeit, die Leute
       haben weder Zeit noch Platz in ihren Freizeitgärten. Man braucht
       Idealismus.“
       
       Seine Frau kommt und setzt Kaffee auf, geht wieder. Wir sitzen in der Küche
       – man darf rauchen – und ich will von dem Mann, der mir so vertraut
       vorkommt und den ich eigentlich gar nicht kenne, wissen, was es nun mit
       diesem Idealismus, dieser Leidenschaft für die Kaninchenzucht auf sich hat.
       
       „Es ist das Tier selbst. Wenn man sieht, die Jungen kommen. Und man ist
       stolz, dass man Frohwüchsige hat, die gut heranwachsen. Ein Krüppel, das
       ist nun mal so, ist ein Krüppel. Aber wenn man abends die gesunden Tiere
       sieht, die auf ihr Futter warten, dann geht einem das Herz auf. Kein Tier
       ist wie das andere.“
       
       ## Früher ging es um's Essen, nicht um's Züchten
       
       Als wir zu den Kaninchen im Stall gehen, hinten im Garten, erzählt er, wie
       alles angefangen hat. Damals, als 15-Jähriger, hatte er den ersten
       Deutschen Riesen gekauft, Mitte der Fünfziger: „Ich wohnte bei
       Pflegeeltern, mein Vater war im Krieg geblieben, meine Mutter war bei
       meiner Geburt gestorben.“ Damals ging es noch nicht um die Rassezucht,
       sondern um Schlachttiere.
       
       Ums Überleben ging es: „Einen schlechten Ruf bekamen die Kaninchen ja erst,
       als man es nicht mehr nötig hatte, sie zu essen, das ging schon Mitte der
       Sechziger los. Arme-Leute-Essen! Aber noch heute kommt die ganze Straße an
       Weihnachten und will ein Kaninchen – andere rennen einem die Bude ein, weil
       sie ein Streicheltier für ihre Kinder wollen.“
       
       Neulich war der Verein sogar zu Gast beim Eröffnungsevent eines
       Baustoffanbieters, es ging ebenfalls darum, Streichelmöglichkeiten für
       Kinder zu schaffen. Und je mehr er erzählt, desto mehr Geschichten tun sich
       auf: Wie sich das Leben nach einer Herzoperation und einem Hirnschlag
       anfühlt („da bekommste Schiss“), warum er das Internet verschlafen hat, wie
       Lehrer an einem Gymnasium in Wirklichkeit ticken („Oberstudienrat, Haus
       gebaut, will Ruhe“).
       
       Wolfgang Zurgeißel baut gerade an einer Weihnachtskrippe, die dem Haus
       seiner Pflegeeltern nachempfunden ist – inklusive jenes Stalls, in dem er
       sich damals um den ersten Deutschen Riesen kümmerte. Ein ganzes Leben
       könnte man auffächern, aber der Platz für all die vielen Anschläge, die am
       Ende eine große Geschichte ergeben, er wird immer kleiner, auch in den
       Print-Zeitungen.
       
       ## Kein Platz mehr in der Zeitung
       
       Fotos, Infokasten, Weißraum sollen auf die Seiten. Und im Internet
       funktionieren sowieso nur kleine Textmengen, weil die Leser nicht
       weiterklicken oder zu viel scrollen wollen. Wolfgang Zurgeißel und ich
       müssen Abschied nehmen, weil kein Platz mehr in der Zeitung ist – der junge
       Kollege vom Volksfreund muss ja auch noch in den Text. Es ist nur noch Zeit
       für eine kurze Recherchefrage. Der Unterschied zwischen Kaninchen und
       Hasen?: „Kaninchen werden blind und nackt geboren, Hasen sind hingegen
       Nestflüchter.“
       
       Der Kollege heißt Sebastian Gubernator, 19 Jahre alt, freier Mitarbeiter
       der Lokalredaktion Wittlich des Trierischen Volksfreunds und wie ich einst
       Student der Geschichte. Theoretisch könnte ich sein Vater sein. Schon mal
       was von Manuskriptpapier und Agfapan 400 gehört?
       
       „Die Texte schreibe ich in eine Word-Vorlage und das geht dann direkt ins
       System, ebenso die Digitalfotos, die Blattmacher in Trier machen den Rest.
       Die Texte werden dann automatisch auch online gestellt“, erklärt er.
       
       Ich erzähle ihm Geschichten aus der Zeit vor dem Internet wie Opa aus dem
       Krieg. Von Telefonlawinen, Thermofaxpapier. „Ich glaube an die Zukunft des
       Journalismus, aber nicht mehr unbedingt an die Zukunft der Zeitung“, sagt
       er, der es trotzdem total schön findet, seine Texte gedruckt zu sehen, „ich
       habe schon mit vierzehn Krimis geschrieben, wollte eigentlich
       Schriftsteller werden. Aber es ist eigentlich viel interessanter, über das
       richtige Leben zu schreiben.“
       
       ## Mit großem Objektiv nimmt man dich ernster
       
       Er tritt an in einer Zeit, in der alle irgendwas mit Medien machen wollen,
       denen es eigentlich schlecht geht. Viele in seiner Altersgruppe studieren
       gleich „Internetjournalismus“, während er darüber nachdenkt, sich eine
       größeres Objektiv zu kaufen, damit er bei Terminen ernst genommen wird:
       „Man braucht schon eine ordentliche Kamera – ich sehe einfach total jung
       aus, achte darauf, immer ein Hemd anzuziehen. Keinen Kapuzenpulli.“
       
       Journalismus, das ist noch immer – theoretisch – ein offener Beruf. Es
       reichen ein Hemd, eine Kamera, ein Block und eine gute Schreibe. „Ich bin
       einfach ins kalte Wasser geworfen worden, und das war wohl auch gut so.
       Angefangen habe ich mit dem Redigieren von Polizeimeldungen.
       
       Der Rest war Learning by Doing – obwohl ich mir am Anfang gewünscht hätte,
       erst mal mit einem Kollegen mitzugehen bei einem Termin. Ich wusste ja
       überhaupt nicht, wie ich auf die Leute zugehen sollte.“ War er schon mal
       bei einem Kaninchenzüchterverein? „Ehrlich gesagt: Nein.“
       
       ## Viel Resonanz dank Internet
       
       Stattdessen schrieb er neulich sogar über einen kleinen Skandal: Die
       Deutsche Bahn weigert sich, auf dem Hauptbahnhof Behindertentoiletten
       einzubauen. „Aber ansonsten glaube ich nicht, dass ich hier groß etwas
       aufdecken werde. Darauf ist der Lokaljournalismus nicht wirklich
       eingerichtet.“ Dennoch: „Der Artikel über den Bahnhof zum Beispiel wurde
       anschließend im Netz verlinkt, von Behinderten-Foren. Da gab es dann eine
       Resonanz über das Lokale hinaus“, sagt er begeistert.
       
       Sebastian Gubernator macht einfach weiter, lernt, demnächst will er
       zusammen mit Freunden einen politischen Blog aufmachen, „obwohl ich gar
       nicht weiß, wie das geht“. Und genauso wird es wohl gelingen; einfach
       weiterschwimmen im kalten Wasser, in dem ab einem bestimmten Punkt
       Haifische herumschwimmen. Er träumt vom Besuch einer Journalistenschule,
       später würde er gerne mal bei der Süddeutschen arbeiten oder beim Spiegel –
       oder bei der taz.
       
       Den Journalismus jedenfalls wird es auch in Zukunft geben, dafür steht
       Sebastian Gubernator, der junge Mann, der Geschichten erzählen möchte und
       dem es eigentlich egal ist, auf welchem Vertriebsweg diese publiziert
       werden. Er weiß längst, wie das geht mit dem Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Aber
       noch eine Frage an Sebastian Gubernator: Darf man beim Volksfreund in
       Texten mit dem „Ich“ arbeiten? „Ja, einmal durfte ich das – es ging um eine
       Reportage über das Wittlicher Nachtleben. Regeln und Handwerk finde ich
       gut, aber sie sollten nicht zum Zwang werden.“
       
       Der deutsche Journalismus ist noch nicht am Ende, im Lokalen schon gar
       nicht. Aber um die Kaninchenzüchtervereine wird man sich in Zukunft Sorgen
       machen müssen.
       
       Martin Reichert, 39, ist sonntaz-Reporter. Journalismus war und ist sein
       Traumberuf.
       
       9 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Reichert
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