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       # taz.de -- „Wir haben es satt“: Auf ein paar Cent reduziert
       
       > Wieder fahren am Wochenende die Trecker: Statt klimaschädlicher
       > Subventionen fordert die „Wir haben es satt“-Demo klimafreundlichere
       > Agrarpolitik.
       
   IMG Bild: Der Blick von Schweinchen Dick erwärmt auch kalte Herzen
       
       Berlin taz | Als sich die Straße des 17. Juni mit Traktoren und
       Protestbannern füllt, ist Benedikt Härlin nicht dabei. Und das, obwohl er
       die Forderungen der Bäuer:innen versteht. „Es war ein grober Fehler der
       Regierung, den Bauern aus heiterem Himmel so viel Geld wegzunehmen“, sagt
       der Aktivist von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft zur taz. „Aber ich bin
       nicht bereit, großen Maschinen mit Deutschlandfahnen zuzujubeln.“
       Verständnis und Unverständnis zugleich: So geht es einigen Landwirt:innen.
       
       Viele von ihnen werden am Samstag auf der Demonstration „Wir haben es satt“
       zusammenkommen. Der Protestmarsch findet alljährlich zum Beginn der Grünen
       Woche in Berlin statt. Ein Bündnis aus über 100 Landwirtschafts-, Umwelt-
       und Entwicklungsorganisationen fordert dabei eine sozial gerechte
       Agrarwende. Die diesjährige Demonstration ist allerdings etwas in
       Vergessenheit geraten, weil der Deutsche Bauernverband die Hauptstadt seit
       Wochen von Traktoren lahmlegen lässt.
       
       Die zwei Aktionen könnten unterschiedlicher nicht sein. Anders als der
       Bauernverband lehnt die „Wir haben es satt“-Demo die Beteiligung von
       rechten Gruppen strikt ab. „Wir haben Nazis, Rassist*innen und rechte
       Hetze satt!“, schreiben die Organisator:innen der Bewegung.
       [1][Vielfalt und Internationalität seien ausdrücklich gewünscht.]
       
       Viele Landwirt:innen, die am Samstag auf die Straße gehen werden, sehen die
       Forderungen des Bauernverbandes kritisch. „Die gesamte Agrarpolitik kann
       nicht darauf reduziert werden, wie viele Cent Dieselabgabe es noch gibt“,
       sagt auch Benedikt Härlin. „Es muss mehr um eine klimafreundliche
       Landwirtschaft gehen.“
       
       ## Katastrophale Tierpolitik
       
       Der Bauernverband und seine Unterstützer:innen konzentrieren sich zu
       sehr auf eine Maßnahme: die Dieselsubvention. Dabei würde deren Kürzung
       kaum das Hofsterben beschleunigen. Der Durchschnittsbetrieb wird durch die
       Subvention um nur 2.900 Euro pro Jahr entlastet. Für die meisten eine
       überschaubare Summe.
       
       Ein viel größeres Loch in die Tasche reißt dagegen die tiergerechte
       Umstellung der Betriebe – und die ist längst überfällig. Denn die
       Tierhaltung ist in den vergangenen Jahren stark unter Druck geraten. Die
       Zahl der Schweinezuchtbetriebe ist seit Jahrzehnten rückläufig. Große
       Betriebe setzen auf Massentierhaltung – ein System, das nur Verlierer
       hervorbringt. [2][„Gerade die Tierpolitik ist eine Katastrophe“, sagt
       Härlin.]
       
       Das ist auch keine neue Erkenntnis. Die sogenannte Borchert-Kommission, die
       im Bund noch unter der Großen Koalition eingesetzt wurde, hatte sich mit
       dem Thema auseinandergesetzt. Sie schätzte den Finanzbedarf für den Umbau
       der Ställe Anfang 2020 auf 3,6 Milliarden Euro pro Jahr. Auch ohne
       Haushaltskürzungen eine üppige Summe. Eine Tierschutzsteuer könnte für
       diese Mammutaufgabe allerdings frisches Geld in die Branche spülen.
       
       Ohne Unterstützung beim Umbau der Höfe würde das Prinzip „wachsen oder
       weichen“, das die Landwirtschaft in Deutschland seit Jahren prägt,
       weiterbestehen. Das Bündnis „Wir haben es satt“ sieht jedoch die Ursache im
       System und fordert deshalb nicht nur Maßnahmen für den Umbau der
       Landwirtschaft. Auf ihrer Forderungsliste steht zum Beispiel auch eine
       Bürgergeldreform, damit jeder Zugang zu gesunden und umweltfreundlichen
       Lebensmitteln hat.
       
       ## EU-Kommission will Gentechnik-Vorschriften lockern
       
       Für Härlin wird am Samstag in Berlin aber vor allem ein Thema im
       Mittelpunkt stehen: die Gentechnik. Der Aktivist setzt sich über die
       Initiative Save Our Seeds seit Jahrzehnten mit den Gefahren von
       gentechnisch veränderten Pflanzen und Produkten auseinander. „Die
       Gentechnikfreiheit war immer ein Standortvorteil für die deutsche
       Landwirtschaft“, sagt Härlin. Das könnte sich nun ändern.
       
       Die EU-Kommission schlägt vor, neue gentechnisch veränderte Pflanzen und
       Produkte nicht mehr zu kennzeichnen. Die Landwirt:innen müssten dann
       auch Patentgebühren zahlen. Welche Folgen die Aufweichung der
       Gentechnikregeln hat, zeigt das Beispiel der USA: „Dort sind die Landwirte
       praktisch völlig abhängig von einigen wenigen großen Saatgutchemie- und
       Gentechnikunternehmen“, sagt Härlin.
       
       Diese Aufweichung käme vor allem die kleinen Betriebe teuer zu stehen.
       Härlin kritisiert die fehlende Solidarität mit den Kleinbäuer:innen bei
       den Demonstrationen der vergangenen Wochen. „Der Bauernverband macht
       Politik im Interesse der großen Bauern und gegen die kleinen“, sagt der
       Aktivist. Kleine Höfe sind von der Dieselsubvention weniger betroffen als
       Großbetriebe: Weniger Verbrauch bedeutet auch weniger Subvention. „Der
       Fokus der Agrarpolitik muss auf einer klimafreundlichen Landwirtschaft
       liegen – nicht auf pauschalen Subventionen pro Hektar.“
       
       [3][Die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland hängt von genau den
       Betrieben ab], die derzeit aussterben: den kleinen Höfen. „Die großen
       Betriebe konzentrieren sich nicht mehr auf die Lebensmittelproduktion“,
       sagt Härlin. Der Schwerpunkt liege mittlerweile auf der
       Futtermittelproduktion. „Und das bedeutet letztlich, dass wir in
       Deutschland immer weniger Lebensmittel selbst produzieren und immer
       abhängiger von Importen werden.“
       
       19 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Clara Suchy
       
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