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       # taz.de -- Wo Friedenspläne scheiterten: Frieden auf Papier
       
       > Zahllose Friedenspläne waren erfolglos. Sie scheiterten an komplexen
       > Gemengelagen oder blieben für immer in der Schublade. Einige Beispiele.
       
   IMG Bild: Der indische Premierminister Manmohan Singh, hier bei einer Friedensgeste mit seinem pakistanischen Kollegen Yusuz Raza Gilani
       
       Indien und Pakistan: Ein Anschlag macht alle Mühen zunichte
       
       Delhi Der damalige indische Premier Manmohan Singh von der Kongresspartei
       unterbreitete im März 2006 ein überraschendes Friedensangebot an Erzfeind
       Pakistan. Der „Vertrag über Frieden, Sicherheit und Freundschaft“ sollte
       die [1][Beziehungen zwischen beiden Nachbarländern] normalisieren. Der
       kürzlich verstorbene Singh, der auf heute pakistanischem Boden geboren
       wurde und 1947 die blutige Unabhängigkeit Indiens und Pakistans miterlebte,
       wollte als Regierungschef ein versöhnliches Erbe hinterlassen.
       
       Doch die Mühen waren vergebens. Denn gut zwei Jahre nach seinem Vorstoß kam
       es in Mumbai zu Terroranschlägen. 175 Menschen starben, etwa doppelt so
       viele wurden schwer verletzt. Es war nicht die erste [2][Serie tödlicher
       Anschläge in Mumbai], die interreligiös motiviert waren, und auch nicht die
       erste Einmischung Pakistans oder Indiens in das jeweils andere Land.
       Dennoch markierte der 26. 11. 2008 eine Zäsur in den bilateralen
       Beziehungen, nachdem bekannt wurde, dass die Attentäter mutmaßlich in
       Pakistan für ihre Tat ausgebildet worden waren.
       
       Bis dahin gab es in Mumbai einen regen Austausch in der Musikszene rund um
       Bollywood, der heute fast unmöglich ist. Eine weitere Folge der Anschläge
       ist, dass Länderspiele wie im Cricket nur noch in Drittländern stattfinden.
       Für indische und pakistanische Staatsbürger:innen ist es gleichermaßen
       schwer, ins jeweils andere Land zu reisen. Ausnahmen gibt es nur für
       religiöse Pilger:innen. Das gegenseitige Vertrauen ist schwer beschädigt.
       
       Die Erbfeindschaft geht auf die britische Kolonialzeit zurück. Nach dem
       Ende des Zweiten Weltkriegs zogen sich die Briten allmählich aus Südasien
       zurück, doch hatte die Grenzziehung der Kolonialmacht durch
       „Britisch-Indien“ katastrophale Auswirkungen. Pakistan sollte das Land der
       Muslime werden; Indien die säkulare und multireligiöse, sozialistische,
       demokratische Republik. Doch der blutige Beginn der Nationalstaaten wirkt
       bis heute nach.
       
       Nachdem die Ländergrenzen festgelegt wurden, brach Gewalt aus.
       Abwanderungen und Vertreibungen begannen. Millionen von Menschen kamen zu
       Tode, schätzungsweise wurden 20 Millionen Menschen deportiert und
       umgesiedelt. Besonders betroffen waren Hindus, Muslime und Sikhs in
       Grenznähe. Infolgedessen gibt es die Verwaltungsgebiete Punjab und Kaschmir
       heute in Indien und in Pakistan. Um Kaschmir wurden zwei Kriege geführt.
       
       Singh wollte Feindseligkeiten hinter sich lassen. „Wir haben keine Angst
       davor, über Jammu und Kaschmir zu diskutieren oder pragmatische, praktische
       Lösungen zu finden, um auch dieses Problem zu lösen“, sagte er. Der
       damalige pakistanische Präsident Pervez Musharraf erklärte, dass eine
       Normalisierung der Beziehungen ohne Lösung der „Kaschmirfrage“ unmöglich
       sei. Sie ist bis heute ungeklärt. Denn sowohl Delhi als auch Islamabad
       [3][beanspruchen die Region Kaschmir für sich]. Zudem hat Peking die Region
       Aksai Chin am Westrand Tibets zu seinem Territorium erklärt.
       
       Die USA im Nachkriegsdeutschland: Der Plan, der nie kam
       
       Berlin Der [4][US-amerikanische Finanzminister Henry Morgenthau] sah im
       August 1944 nur einen Weg zum Frieden mit Deutschland: Es müsse in einen
       Kartoffelacker verwandelt werden. Nur mit einem komplett demilitarisierten,
       deindustrialisierten Agrarland sei gesichert, dass es nicht erneut zu einem
       Monster wird.
       
       Der Plan sah unter anderem vor, dass Deutsche nie wieder Luftfahrzeuge
       führen oder Uniformen tragen dürfen und jeglicher Großgrundbesitz unter den
       Bauern aufgeteilt wird. Im September 1944 wurde das Memorandum öffentlich
       und von den Nazis ausgeschlachtet, die es einen „Plan des Weltjudentums zur
       Versklavung der Deutschen“ nannten.
       
       Churchill und Roosevelt unterzeichneten im selben Monat ein Abkommen über
       die Verlängerung der US-Militär- und Wirtschaftshilfe, in dem auch die
       Demilitarisierung Deutschlands und ein Satz aus Morgenthaus Memorandum
       festgehalten wurde: „Dieses Programm zur Ausschaltung der Kriegsindustrie
       in Ruhr und Saar soll Deutschland in ein Land mit vorwiegend agrarischem
       und ländlichem Charakter verwandeln.“
       
       Die Kritik an diesem Satz war so groß, dass sowohl Churchill als auch
       Roosevelt sich davon distanzierten. Im April 1945 trat Morgenthau von
       seinem Amt zurück, veröffentlichte das Buch „Germany is our problem“ und
       setzte sich weiterhin für einen „harsh peace“ ein.
       
       Die neue amerikanische Regierung unter Harry S. Truman entschied sich für
       eine andere Idee, die [5][als Marshallplan bekannt wurde]: Europa und
       Westdeutschland wurden massiv finanziell und beim Aufbau einer blühenden
       Wirtschaft unterstützt. Dahinter steckte die Überzeugung, wer genügend
       Unterhosen und Tupperdosen kaufen könne, werde kein Nazi, aber vor allem:
       kein Kommunist. Deutschland gehörte zur Hälfte schon Stalin und die USA
       hatten null Interesse daran, auch noch den Rest Europas an ihn zu
       verlieren.
       
       Bis heute wird der Morgenthauplan als Vorwurf gegen die amerikanische
       Besatzungspolitik im Nachkriegsdeutschland gerichtet – die Amis hätten die
       Deutschen ausbluten lassen wollen. Das Gegenteil aber war der Fall. Die
       Deutschen bekamen die Chance, sich zu resozialisieren. Das hat Deutschland
       geschafft – und ist heute eines der letzten Länder im klassischen Westen,
       das noch nicht von Rechtspopulisten regiert wird.
       
       Kriege im Kongo: Rohstoffreichtum lockt zu viele Akteure
       
       Kampala Um Frieden in der Demokratischen Republik Kongo herzustellen,
       wurden in den vergangenen 30 Jahren unzählige Abkommen ausgehandelt, zum
       Teil unterzeichnet – und dann letztlich nicht umgesetzt.
       
       Während der Erste Kongo-Krieg 1997 mit dem Sturz des langjährigen mächtigen
       [6][Diktators Mobutu Sese Seko] endete, versuchte man bei sämtlichen
       Folgekriegen, sie durch internationale Verhandlungen zu beenden. Doch dies
       war nie einfach, denn umso mehr Akteure in einen Konflikt involviert sind,
       desto komplexer ist die Gemengelage und desto unmöglicher wird es, durch
       Verhandlungen Frieden herzustellen.
       
       Im Zweiten Kongo-Krieg, der 1998 begann, waren allein neun afrikanische
       Länder involviert. Der Rohstoffreichtum des gewaltigen Landes im Herzen
       Afrikas lockte viele Akteure an, die alle ein Stück vom Kuchen abbekommen
       wollten. Dementsprechend langwierig und komplex waren die
       Friedensverhandlungen, die 1999 mit einem vereinbarten Waffenstillstand
       begannen und bis 2002 vier weiterer Friedensabkommen bedurften, um den
       Krieg zu beenden. 2003 begann in Kongos Hauptstadt Kinshasa eine
       Übergangsregierung, in welcher zahlreiche Rebellengruppen mit an der Macht
       beteiligt und deren Kämpfer in die Armee integriert wurden.
       
       Die Gewaltspirale beendete dies nicht. Eine Gruppe Offiziere der
       kongolesischen Tutsi-Minderheit verweigerte die Integration. Mit
       militärischer Unterstützung von Ruandas Tutsi-Regierung eroberten sie weite
       Teile des Ostkongo. Die frisch aus Milizen zusammengewürfelte Armee war
       schlicht unfähig, dagegen vorzugehen. Dies zwang Kongos Regierung, sich
       erneut an den Verhandlungstisch zu begeben. 2009 wurden die Tutsi-Rebellen
       durch ein Friedensabkommen in die Armee integriert, doch das Misstrauen
       innerhalb der Einheiten gegen die Tutsi blieb. Ein Großteil der
       Tutsi-Offiziere desertierte 2012 und zettelte einen erneuten Krieg an. Sie
       [7][gründeten die Bewegung des 23. März] (M23) und eroberten die
       Handelsmetropole Goma im Ostkongo. Damit zwangen sie die Regierung wieder
       einmal zu Verhandlungen.
       
       Monatelang saßen die Rebellen in einem schicken Hotel in Uganda, wohin sich
       die M23 zurückgezogen hatte. Nach zähen Verhandlungen und durch
       internationalen Druck unterzeichneten beide Seiten Ende 2013
       zähneknirschend ein Abkommen – was jedoch nie umgesetzt wurde. Die M23
       weigerte sich, in ihre Heimat zurückzukehren. Letztlich verschanzten sie
       sich 2017 in den Vulkanbergen entlang der Grenze, wo sie 2021 einen
       erneuten Krieg begannen, [8][der bis heute anhält].
       
       Guerilla in Kolumbien: Ein Frieden, der Krieg ist
       
       Bogotá Manchmal ist ein Friedensschluss mit einer bewaffneten Gruppe am
       Ende für die Zivilbevölkerung schlimmer als keiner. Nämlich dann, wenn
       starke Hand und breite Führung fehlen, um diesen durchzusetzen. Das ist
       eine bittere Lehre aus Kolumbien.
       
       Ende 2016, nach 50 Jahren Krieg gegen den Staat und andere bewaffnete
       Gruppen, unterzeichnete [9][die linke Farc-Guerilla ein historisches
       Friedensabkommen mit dem Staat]. Rund 13.000 Frauen und Männer legten die
       Waffen nieder. Die meisten von ihnen sind bis heute bei ihrem Versprechen
       geblieben und im zivilen Leben angekommen. Dieser Teil ist ein
       Riesenerfolg.
       
       Die aktuelle linke Regierung unter [10][Gustavo Petro] trat 2022 mit dem
       Ziel an, Frieden mit allen verbliebenen bewaffneten Gruppen zu verhandeln.
       [11][Paz total]. Die größte von ihnen ist die ELN (Nationale
       Befreiungsarmee). Sie entstand zur selben Zeit wie die Farc. Trotz
       Verstrickungen der ELN in Entführungen, Schutzgelderpressung und
       Drogenhandel sollen ihre linksideologischen Anfänge eine Einordnung als
       letzte Guerilla Kolumbiens rechtfertigen.
       
       Petros rechter Vorgänger Iván Duque war erklärtermaßen gegen das
       Friedensabkommen mit der Farc – und boykottierte die Umsetzung, so gut es
       ging. Ganz im Sinne der Eliten, die vom Krieg profitiert hatten. Der Staat
       baute nach dem Rückzug der Farc keine ausreichende Präsenz in den Regionen
       auf. So begannen die übrigen bewaffneten Gruppen und Neugründungen das
       Machtvakuum zu füllen. Wo unterschiedliche Gruppen um die Vorherrschaft
       kämpfen, ist das Leben der Zivilbevölkerung die Hölle. Wenn eine Gruppe die
       absolute Macht hat, per Schutzgelderpressung „Steuern“ kassiert, „Recht“
       spricht, bis ins Intimleben die Regeln festlegt – dann ist das zwar keine
       Freiheit, kein Frieden, keine Demokratie. Aber für die Menschen immer noch
       sicherer, als im Kugelhagel um die Vorherrschaft zu leben.
       
       Mittlerweile ist die Lage in Teilen des Landes ähnlich oder schlimmer als
       vor dem Friedensabkommen. Am Freitag legte die Regierung die
       Friedensgespräche mit der ELN zum zweiten Mal in vier Monaten auf Eis.
       Wegen des Kriegs in Catatumbo, der Grenzregion zu Venezuela. Dort kämpft
       die ELN mit einer Farc-Dissidentengruppe um die Vorherrschaft. In vier
       Tagen wurden mindestens 20.000 Menschen vertrieben. Am Montag kündigte
       Petro den Notstand an. Seit Freitag wurden mindestens 80 Menschen getötet,
       darunter zehn Demobilisierte, die das Farc-Friedensabkommen unterschrieben
       hatten. Laut der Ombudsfrau greift die ELN gezielt Menschen an, die sich
       für Frieden einsetzen. Ihnen drohen Entführung oder Tod. Die zweite bittere
       Lehre ist: Ein Frieden mit einer Gruppe, die keinen Frieden will, ist
       zwecklos.
       
       23 Jan 2025
       
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