URI: 
       # taz.de -- „Zero Dark Thirty“: Die Frau in der Fahne
       
       > Der aktuelle Spielfim von Kathryn Bigelow hat in den USA eine heftige
       > Kontroverse ausgelöst: Idealisiert der Film die Verhörmethoden der CIA?
       
   IMG Bild: Die junge CIA-Agentin Maya im Kreis von Soldaten.
       
       Politisch ist „Zero Dark Thirty“ gefährlich, auch wenn er künstlerisch
       gelungen sein mag – so lautet die Mehrheitsmeinung auf den Kommentarseiten
       angloamerikanischer Zeitungen.
       
       In den Kulturteilen derselben Medien ist das Lob dagegen einhellig: 95 von
       100 Punkten erreicht der Film über die zehnjährige Jagd auf Osama bin Laden
       bei metacritic.com, einer Internetseite, die Kritiken aus
       englischsprachigen Publikationen in Punkte umwandelt – die höchste Wertung
       für einen Film aus dem Jahr 2012.
       
       Die Diskussion hat sich an der Frage entzündet, ob Kathryn Bigelows
       neuestes Werk die Wirksamkeit von Folter im Kampf gegen den internationalen
       Terror propagiert. „Ich wette, Dick Cheney wird diesen neuen Film lieben“,
       beginnt etwa Frank Bruni – eigentlich Restaurantkritiker der New York Times
       – seinen Kommentar.
       
       Um später etwas unsicherer festzustellen: „Kein Waterboarding, kein bin
       Laden, scheint der Film zu behaupten.“ Im Guardian feuert die
       Schriftstellerin und Feministin Naomi Wolf in einem offenen Brief an
       Bigelow mit noch schwererem Geschütz: „Wie [Leni] Riefenstahl bist du eine
       große Künstlerin. Aber jetzt wirst du für immer erinnert werden als
       Dienstmädchen der Folter.“
       
       Wolf liegt falsch, sowohl was die Deutsche als auch was die Amerikanerin
       anbelangt. Das Problem mit Riefenstahl ist ja nicht einfach nur, dass sie
       williges Dienstmädchen Hitlers war, sondern dass ihre filmische Ästhetik,
       ihre angeblich so „große Kunst“, wunderbar dem faschistischen Menschenbild
       in die Hände spielte – ein Vorwurf, der bei Bigelow absurd ist. Die
       Amerikanerin macht sich aber auch nicht zur willigen Propagandistin von
       Folter. Ein Vorwurf, der spätestens zusammenfällt, wenn man ihren Film bis
       zum Ende sieht.
       
       ## Telefonate aus dem brennenden World Trade Center
       
       Zu Beginn von „Zero Dark Thirty“ bleibt die Leinwand schwarz. Zu hören ist
       lediglich ein schockierender Zusammenschnitt von Originalanrufen aus dem
       World Trade Center vom Morgen des 11. September 2001 („Es ist so heiß, ich
       verbrenne“). Bilder sind nicht nötig, jeder kennt sie.
       
       Gleich die zweite Sequenz zeigt die brutale Realität der – im CIA-Neusprech
       – „erweiterten Befragungstechniken“. Ein Folterknecht versucht einem
       Gefangenen Informationen zu entreißen, unter anderem mit Hilfe von
       Waterboarding. Eine junge Agentin, die unbedingt das blutige Geschäft Auge
       in Auge verfolgen will, und nicht über einen Monitor, schaut zu. Sie hat
       ihre Kaltblütigkeit überschätzt, wie ihr schockierter Blick zu erkennen
       gibt. Diese zierliche rothaarige Frau, Maya (Jessica Chastain), ist die
       Protagonistin des Films – nur noch zwei weitere Mal wird sie über ihre
       Mimik einen tieferen Blick in ihr Innenleben gestatten.
       
       Anders, als man aus manchen Kommentaren zum Film erwarten könnte, folgt aus
       dieser Folter unmittelbar kein Geständnis, keine Erkenntnis, die zum
       Versteck bin Ladens führen könnte. Stellen die bildlose erste und die
       zweite Sequenz eine klare Folge von Ursache und Wirkung her – die in ihrer
       Verkürzung sicherlich angreifbar ist –, wird diese Kette nun unterbrochen.
       Es folgt stattdessen mehr vom Gleichen: eine weitere Folterung des
       Verdächtigen Ammar. Dieses Mal wird er in eine winzige Box gesperrt. Er
       weint, fleht, stammelt, verrät aber nichts.
       
       Es folgen direkt im Anschluss Bilder von einem Al-Qaida-Anschlag auf ein
       Wohnquartier von Ausländern in Riad, Saudi-Arabien, aus dem Jahr 2003.
       Trotz Folter wurden also keine Ermittlungserfolge erzielt. Oder wie es die
       Filmkritikerin Manohla Dargis in der New York Times formuliert: „Diese
       Gegenüberstellung von Missbrauch und Massaker legt mit filmischen Mitteln
       nah, dass Folter keine Leben rettet.“
       
       Ammar wird einen (Deck-)Namen verraten, allerdings erst wesentlich später
       bei einem Gespräch ohne jede Gewaltanwendung. Diese Spur wird nach Jahren
       der milliardenteuren Ermittlungen neben anderen Spuren zu einem Mann
       führen, der wiederum zu bin Ladens Haus in Abbottabat, Pakistan, verfolgt
       werden kann. Es lässt sich also durchaus behaupten, „Zero Dark Thirty“
       zeige, dass Folter mittelbar zu verwertbaren geheimdienstlichen
       Erkenntnissen führen kann – wenn man davon ausgeht, dass Ammar ohne die
       vorhergehende Folter den Namen nie genannt hätte.
       
       ## Folter als unproduktiver Nebenschauplatz
       
       Man kann aber genauso zum Schluss kommen, dass Folter bei der Suche nach
       bin Laden „zum grotesken und unproduktiven Nebenschauplatz wurde, der die
       Arbeit blockiert hat und normalere Formen der Überwachung, des Zwangs und
       der Täuschung zur Informationsbeschaffung verlangsamte“, wie Andrew
       O’Hehir, Filmkritiker des Onlinemagazins Salon schreibt.
       
       Ob durch Folter in der Realität irgendwelche verwertbaren Informationen
       gewonnen wurden, die zur Entdeckung und Erschießung des Al-Qaida-Kopfes
       geführt haben, ist umstritten. Der Geheimdienstuntersuchungsausschuss des
       Senats verneint dies, der Ex-CIA-Chef und heutige Verteidigungsminister
       Leon Panetta dagegen behauptete kurz nach bin Ladens Tod das Gegenteil.
       Selbst wenn es so wäre, ließe sich nicht klären, ob die „erweiterten
       Fragetechniken“ zu irgendwelchen Erkenntnissen geführt haben, die mit
       anderen Methoden nicht zu erreichen gewesen wären. Geschichte lässt sich
       nicht zurückdrehen, Folter nicht ungeschehen machen.
       
       Letztlich geht die gesamte Diskussion auch am Kern von „Zero Dark Thirty“
       vorbei. Denn im Zentrum des Filmes stehen nicht die Folgen der CIA-Arbeit
       für Ammar, sondern für Maya – und damit die USA. Eine Gleichsetzung, die
       Bigelow in einer Schlüsselszene auf visueller Ebene „explizit“ vornimmt:
       Maya steht im Hauptquartier der CIA in Langley, Virginia, und wartet auf
       ihre Vorgesetzten, während die Silhouette ihres Oberkörpers sich gut
       sichtbar im Bildvordergrund in einer riesigen gerahmten US-Flagge spiegelt.
       
       ## Tränen um das verlorenene Selbst
       
       Maya bleibt den ganzen Film über undurchdringlich. Emotionen deutet die
       Agentin, wie bereits geschildert, lediglich in der ersten Folterszene an,
       außerdem noch in der Mitte von „Zero Dark Thirty“, als eine Arbeitskollegin
       bei einem Bombenanschlag umkommt, am Ende zeigt sie jedoch nur noch
       Mitgefühl, als bin Laden tot ist. Ihre Tränen vergießt sie in dieser Szene
       natürlich nicht aus Respekt vor ihrem Feind – sondern nur für sich selbst.
       
       Ihr wird plötzlich bewusst, dass ihr Leben nur noch eine leere Hülle ist,
       die gerade in sich zusammenfällt, da ihr ihre einzige Triebfeder
       abhandengekommen ist. Es ist der aus Zeichentrickfilmen bekannte
       Augenblick, in dem eine Figur realisiert, dass sie längst über den Rand
       eines Abgrundes hinausgesprintet ist und nur noch Luft tritt. Mit diesem
       Moment des Absturzes endet der Film.
       
       „Zero Dark Thirty“ suggeriert, dass die USA im tabulosen Kampf gegen den
       Terrorismus vielleicht mit dem Tod bin Ladens einen Etappensieg errungen,
       aber dabei ihre Seele verloren haben. Oder zumindest, wie Manohla Dargis es
       formuliert: „Er lässt uns entscheiden, ob der Tod bin Ladens den Preis wert
       war, den wir gezahlt haben.“
       
       Die Beispiele zeigen, dass die Filmkritiker den politischen Gehalt von
       „Zero Dark Thirty“ wesentlich differenzierter beurteilen als die
       Politikjournalisten. Vielleicht schätzen sie aber aus einem
       Verteidigungsreflex für eine bewunderte Filmemacherin heraus die filmische
       Qualität des Werks zu hoch ein.
       
       ## Schematisch und inkonsequent
       
       Im Vergleich zu Bigelows letztem Film „The Hurt Locker“ wirkt „Zero Dark
       Thirty“ zugleich schematisch und inkonsequent. Ersteres lässt sich
       besonders am Vergleich der beiden Hauptfiguren festmachen. Wie die
       Geheimdienstagentin Maya lebt William, der Spezialist für
       Bombenentschärfungen der US-Armee, der im Mittelpunkt von „Hurt Locker“
       steht, nur für seinen Beruf und ist nicht mehr geeignet für ein ziviles
       Leben. Doch Bigelow gelingt es, ihn als mehrdimensionalen Menschen zu
       zeichnen. Maya dagegen bleibt ein Chiffre.
       
       Die Verweigerung jeglicher Emotionalisierung und Psychologisierung – ein
       eigentlich probates Mittel, dem Zuschauer Raum zu geben und
       Küchentisch-Banalitäten zu vermeiden – wirkt hier im Zusammenhang mit dem
       Aussparen fast aller privaten Momente weniger konsequent als
       schablonenhaft. Vielleicht hatten Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal auch
       einfach nur Angst, ihre Amerika-Allegorie zu positiv darzustellen –
       letztlich fehlt dem Film dadurch aber eine wirklich glaubhafte
       existenzielle Dimension.
       
       Ein weiteres filmisches Problem, das wahrscheinlich der Tatsache geschuldet
       ist, dass das Drehbuch nach bin Ladens Tötung umgeschrieben werden musste:
       Anders als in „Hurt Locker“ wird die Erzählperspektive nicht konsequent
       eingehalten. Die ersten zwei Stunden sehen wir fast nur, was auch Maya
       sieht, in der letzten halben Stunde allerdings wechselt die Perspektive
       radikal. Wie ein Film-im-Film wird der nächtliche Überfall auf bin Ladens
       Haus minutiös nachgezeichnet – ein brillant inszeniertes Stück Actionkino,
       aber ein völlig anderer Film.
       
       „Zero Dark Thirty“. Regie: Kathryn Bigelow. Mit Jessica Chastain, Edgar
       Ramírez u. a. USA 2012, 157 Min.
       
       29 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven von Reden
       
       ## TAGS
       
   DIR Folter
   DIR Osama bin Laden
   DIR CIA
   DIR Spielfilm
   DIR Kinofilm
   DIR Kino
   DIR Krieg
   DIR Terrorismus
   DIR Dokumentarfilm
   DIR Film
   DIR CIA
   DIR Folter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gaunerin in der Altenpflege: Wer ist hier der Teufel?
       
       Eine Frau, die es den Mafiamännern mal so richtig zeigt! Das könnte freuen
       in dem Film „I care a lot“. Wäre Marla nicht selbst so ein kaltes Biest.
       
   DIR Kinofilm „Die Erfindung der Wahrheit“: Die Waffen weiblicher Ermächtigung
       
       In John Maddens Polit-Thriller gibt Jessica Chastain eine eisige
       Lobbyistin. Leider fehlt der Blick für die Möglichkeiten weiblicher Macht.
       
   DIR Kinostart „Pacific Rim“: Krach im Stillen Ozean
       
       Riesendrachen bekämpfen Riesenroboter in Guillermo Del Toros Film – mit
       allen Kräften des modernen Special-Effects-Kinos. Und mit überbordender
       Liebe zum Detail.
       
   DIR Neuer Film von Terrence Malick: Aus dem Nichts, von überall her
       
       „To the Wonder“, der neue Spielfilm von Terrence Malick, schwelgt im
       Mysterium der Liebe. Es entsteht ein Gefühl des Stillstands.
       
   DIR Schwiegersohn von Osama bin Laden: Schnell vor den Kadi
       
       Der vermeintliche Al-Qaida-Terrorist Suleiman Abu Gheith soll am Freitag
       vor Gericht erscheinen. Es regt sich jedoch Widerstand gegen einen Prozess
       auf US-Boden.
       
   DIR Geheime CIA-Gefängnisse: 54 Länder spielten mit
       
       Ein Menschenrechtsorganisation berichtet, dass unter anderem Österreich und
       Deutschland den juristisch fragwürdigen Teil des Antiterrorkampfes
       unterstützen.
       
   DIR Dokumentarfilm „Vergiß mein nicht“: Einmal blickt sie in die Kamera
       
       David Sieveking porträtiert in „Vergiss mein nicht“ seine an Alzheimer
       erkrankte Mutter. Die Kamera aber bleibt unsichtbar, obwohl sie sich
       keineswegs zurückhält.
       
   DIR Jagd auf Osama bin Laden: Nachgefragt wird nicht
       
       Ex-Außenminister Joschka Fischer und der frühere BND-Chef Ernst Uhrlau
       diskutieren in Berlin über Kathryn Bigelows Film „Zero Dark Thirty“.
       
   DIR CIA soll Filmemacher getäuscht haben: Die Jagd nach Osama bin Laden
       
       Der US-Geheimdienst CIA soll die Filmproduzenten des Bin-Laden-Films „Zero
       Dark Dirty“ getäuscht haben. Es geht um die Bedeutung von Foltermethoden.
       
   DIR Film „Zero Dark Thirty“: So war das aber nicht!
       
       „Zero Dark Thirty“ zeigt die Tötung von Osama Bin Laden. US-Senatoren
       beklagen: zu viel Folter im Film. Was sagt uns das?
       
   DIR Film über die Tötung Osama bin Ladens: US-Regierung kuschelt mit Hollywood
       
       CIA und Verteidigungsministerium sollen Hollywood eine enge Kooperation
       angeboten haben. Die Republikaner sind empört – sie sehen die nationale
       Sicherheit in Gefahr.