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       # taz.de -- Zu Besuch bei der Fattoria La Vialla: Satt in Olivenöl eingelegte Sehnsucht
       
       > Der Lieblings-Lebensmittelhändler der Toskanafraktion wird dieses Jahr
       > 40. Sein Erfolgsrezept? Qualität – und ein perfektes Marketing.
       
   IMG Bild: Ein Prosit auf die Authentizität: Geburtstagsgäste in der Fattoria La Vialla
       
       Auf den langen Fußweg nach La Vialla nehme ich meistens ein Roncolone mit.
       Das ist eine Machete mit einem Griff aus Leder und einer breiten, sehr
       scharfen Klinge, die an meinem Gürtel baumelt und mir ein Gefühl von
       Sicherheit gibt. Sollten Schlehen oder Ginsterbüsche den Weg versperren,
       schlage ich sie ab. Und würde mir ein wilder Eber oder ein Wolf begegnen,
       ich würde ihn mit dem Roncolone in die Flucht schlagen. Hoffentlich. Es
       gibt nämlich wieder Wölfe in diesem Teil der Toskana. Vor drei Sommern habe
       ich sie heulen gehört.
       
       Von meinem Ferienhaus im Wald dauert der Weg bis nach La Vialla knapp zwei
       Stunden. Menschen begegne ich dabei nur selten. Erst schlängelt sich der
       Pfad durch einen verwilderten Kastanienwald hinauf zum „Passo di Lupo“, dem
       Wolfspass. Von dort windet sich der Saumpfad über mehrere Kilometer wie
       eine Schlange den Hügel hinunter, vorbei an verlassenen Ruinen, immer
       wieder unterbrochen durch ausgetrocknete Bachläufe.
       
       Wenn statt der Esskastanien und Eichen die ersten Zypressen auftauchen,
       weiß ich: jetzt ist es nicht mehr weit. Dann wird mein Schritt schneller
       und schneller, denn in La Vialla erwartet mich eine köstliche Merende. So
       nennen Italiener ein Essen zwischen Mittag und Abend, das mit „Vesper“ oder
       „Brotzeit“ nur unzureichend beschrieben wäre.
       
       La Vialla. Ein Name so schön, als könnte man ihn essen. Dabei war es einmal
       nur der Name eines Bauernhauses. Jedes Haus auf dem Land hat hier seinen
       Eigennamen, Straßennamen gibt es nicht. La Signana, Cà dell’ Oro, Casale di
       Sotto, die Adressen klingen wie Opern und waren doch nur Namen versprengter
       Wohnstätten armer Bauern.
       
       ## Selbstverwirklichung eines Textilfabrikanten
       
       Die neuere Geschichte von La Vialla hat wirklich etwas von einem Märchen.
       Ein reicher Erbe einer toskanischen Textildynastie, Piero Lo Franco, hatte
       Ende der 1970er-Jahre genug von Weltmarktturbulenzen und Fabrikgestank. Er
       verkaufte seinen Unternehmensanteil und investierte das Geld, zusammen mit
       seiner Frau Giuliana, in ein kleines Landgut in der Provinz Arezzo. Die
       beiden begannen, die Olivenbäume zu pflegen, ein wenig Wein anzubauen und
       Pecorino-Schafskäse zu produzieren. Die zum Gut gehörenden Landhäuser
       wurden renoviert und an Touristen vermietet.
       
       Heute ist Fattoria La Vialla die wohl erfolgreichste italienische Bio-Marke
       auf dem deutschen Markt. Sie beschäftigt mehr als 150 Mitarbeiter und hat
       einen Kundenstamm von weit über 10.000 Menschen. Trotzdem wirkt alles auf
       dem Gelände von La Vialla, als sei man auf einem kleinen Bauernhof
       gelandet: Hühner laufen herum, es riecht nach frisch gebackenem Brot, ein
       aufgeschichteter Heuhaufen spendet Schatten und dazwischen steht pittoresk
       der alte Fiat-Lieferwagen, Baujahr 1957, mit dem die Söhne von Piero und
       Giuliana Lo Franco Ende der 80er Jahre die Lebensmittel noch persönlich
       über die Alpen transportierten.
       
       Rund um die Fattoria – italienisch für Gutshof – sind Holztische mit
       karierten Tischdecken aufgestellt. Auf grob gehobelten Bänken unter einem
       Baldachin von Ginsterzweigen sitzen schon die Gäste aus Duisburg, Dresden
       oder Dillingen, dazwischen wirbeln Frauen in weißen Schürzen und Mützen,
       sie bringen frisch gebackenes Brot, eingelegtes Gemüse, Pasten aus Tomaten,
       Paprika und Auberginen, Salami mit Fenchelsamen, Salate und natürlich Wein
       aus eigener Produktion.
       
       Die Amtssprache in La Vialla ist Deutsch. Fast alle Mitarbeiter können
       zumindest die Grußformeln und Bestellungen verstehen und mit genau jenem
       Maß an Italo-Dialekt erwidern, der das Herz und den Geldbeutel öffnet. Böse
       Zungen behaupten, La Vialla hätte auf eine sehr geschickte Art und Weise
       die Sehnsucht der Germanen nach mediterraner Lebensfreude in ein perfektes
       Marketingkonzept umgesetzt. Das mag sein, aber dann haben sie es gut
       gemacht. La-Vialla-Kunden sind die treusten Kunden der Welt.
       
       Ein Teil von „la famiglia“ werden 
       
       Inzwischen haben die drei Söhne von Piero Lo Franco das Geschäft
       übernommen, Gianni, Antonio, Bandino, jeder von ihnen zuständig für einen
       anderen Geschäftsbereich, man kann sie noch oft auf dem Hof von La Vialla
       antreffen.
       
       Unter ihnen arbeitet ein perfekt eingespieltes Logistik-Team. Denn alle
       Produkte der La Vialla gibt es nur im Postversand oder in einem der beiden
       Auslieferungslager in Frankfurt und Horb in Baden-Württemberg.
       Zwischenhändler würden das wichtigste Gut zerstören, dem Fattoria La Vialla
       den Erfolg verdankt: den persönlichen Kontakt zu ihren Kunden. La famiglia,
       das ist der zentrale Begriff des Erfolges.
       
       Wer einmal nur ein Glas eingelegter pomodori bei La Vialla bestellt und
       damit seine Adresse offenbart, wird Teil dieser „Familie“. Einmal im
       Verteiler, erhält man mehrmals im Jahr unaufgefordert Post in Form kleiner
       Liebesbeweise: Rezeptbücher, Nachrichten über die Olivenernte, ein Paket,
       in dem sich ein winziger Olivenbaum befindet.
       
       Das Wirtschaftsmagazin brandeins bringt das La-Vialla-Phänomen so auf den
       Punkt: „Sie haben die Authentizitäts-Sehnsucht einer Klientel zu erfüllen,
       die das Marketing in den vergangenen Jahren ein paarmal zu oft hinters
       Licht geführt hat. Die beispielsweise erfahren mussten, dass hinter
       ‚Wiesenhof‘ kein idyllischer Hühnerhof und hinter ‚Gutfleisch‘-Wurst kein
       kleinbäuerlicher Schweinezuchtbetrieb, sondern kühl kalkulierte
       Marketingkonstrukte stehen. Und die umso größeren Hunger auf glaubwürdige
       Produkte und Erzeuger haben.“
       
       ## Vom Verlangen nach einer heilen Welt
       
       Echt, authentisch, familiär. Zur Wein- oder Olivenernte reisen jedes Jahr
       ein paar hundert Gäste an, um ein wenig mit anzupacken, vor allem aber, um
       ihr Verlangen nach einer heilen Welt und nach Überschaubarkeit zu
       befriedigen. Dazu passt auch das Corporate Design der Fattoria, die
       Computerschrift, die wie handgeschrieben wirkt.
       
       Wenn teuer bezahlte Marketingexperten sich den Kopf zerbrechen, wie man
       Markentreue und Authentizität schafft, dann sollten sie vor den „Amateuren“
       aus La Vialla auf die Knie fallen. Die haben es hinbekommen, dass eine
       Zielgruppe, die ihren Briefkasten eigentlich mit vielen Aufklebern vor
       Gratis-Werbesendungen schützt, die Prospekte aus der Toskana wie Post von
       guten Freunden betrachtet und sie niemals einfach ins Altpapier schmeißen
       würde.
       
       Das alles funktioniert aber nur, weil das Essen, die Weine, die Zutaten
       auch wirklich gut sind. La-Vialla-Weine sind inzwischen vielfach
       preisgekrönt. Schon vier Mal hintereinander wurde die Fattoria auf der
       Nürnberger Biofach-Messe als weltweit bester Bio-Erzeuger ausgezeichnet.
       Und es schmeckt hervorragend. Nach zwei Stunden an einem Holztisch mit
       fremden Menschen bin ich satt, zufrieden und um ein paar Geschichten
       reicher.
       
       Ich schnalle mir mein Roncolone um und mache mich auf den Rückweg in die
       Berge. Noch ein paar Meter klingt das Stimmengemurmel und Gelächter mir
       hinterher, dann wird es still und stiller und ich bin wieder allein mit
       meiner Sehnsucht.
       
       16 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philipp Mausshardt
       
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