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       # taz.de -- Zu viel Licht und kaum Schutz: „Beleuchtung kann ganze Populationen bedrohen“
       
       > Tiere können nicht einfach die Jalousien schließen, mahnt
       > Wissenschaftlerin Sibylle Schroer. Ein Gespräch über Burn-out bei Vögeln
       > und Lösungen.
       
   IMG Bild: Lichtverschmutzung am Main-Donau Kanal
       
       taz: Frau Schroer, Sie forschen seit vielen Jahren zu den Auswirkungen von
       Lichtverschmutzung auf Tiere. Wie kann man Licht überhaupt dreckig machen? 
       
       Sibylle Schroer: [1][Lichtverschmutzung] ist ein lustiger und etwas
       verwirrender Begriff. Nicht das Licht wird verschmutzt, sondern die
       natürlichen Bedingungen der Nacht, die Dunkelheit. Ausgangspunkte sind
       künstliche Lichtquellen, die sich mehr oder weniger auf Menschen, Tiere und
       Pflanzen auswirken.
       
       taz: Welche Tiere werden von künstlichem Licht besonders bedroht? 
       
       Schroer: Vordergründig sind das nachtaktive Tiere wie Fledermäuse, Eulen,
       Kröten, Falter und viele Käfer. Sie sind besonders gefährdet, weil sie
       große Augenöffnungen haben, um viel Licht aufzunehmen. Von künstlichem
       Licht werden sie daher schnell geblendet und gestört. Durch Beleuchtung
       können sogar ganze Populationen bedroht werden.
       
       taz: Zum Beispiel? 
       
       Schroer: Empfindliche Nachtfalterarten – umgangssprachlich Motten – kommen
       in stark beleuchteten Lebensräumen mittlerweile gar nicht mehr vor. Da
       würden jetzt viele Gartenbauer natürlich sagen: Toll, die fressen uns doch
       sowieso den Kohl weg! Aber so einfach ist es nicht, denn durch den Verlust
       der Falter kommt es zu einer Verzerrung im Ökosystem.
       
       taz: Tieren, die tagaktiv sind, macht künstliches Licht nichts aus? 
       
       Schroer: Doch, eigentlich sind alle Organismen betroffen, weil wir
       evolutionär an einen Tag-Nacht-Rhythmus angepasst sind. Einige Vögel zum
       Beispiel können ihre Augenlider nicht schließen. Wir Menschen machen
       einfach die Jalousien zu, wenn es draußen zu hell ist. Das ist in
       Ökosystemen nicht möglich. Zwar können Vögel zum Teil auch im Flug
       schlafen. Allerdings brauchen sie die Nacht und die Dunkelheit zur
       Regeneration, so wie wir.
       
       taz: Was passiert, wenn Vögel unausgeschlafen sind? 
       
       Schroer: Sie geraten aus dem Gleichgewicht. Auch das ist so ähnlich wie bei
       uns Menschen. Licht ist ein Zeitgebersignal: Es löst Hormone aus, um von
       Stoffwechselprozessen, die in der Nacht stattfinden, in die Aktivitäten des
       Tages überzugehen. Wird es dunkel, wird ein ganz wichtiges Hormon gebildet:
       Melatonin. Das sorgt für viele Prozesse, die während des Tages nicht
       stattfinden können. In der Nacht wird zum Beispiel Fett abgebaut oder unser
       Immunsystem gestärkt. Bei Kindern läutet es Prozesse für das Wachstum ein.
       Wird die Nacht durch künstliches Licht gestört, wird die Produktion von
       Melatonin unterdrückt. Besonders kaltweißes Licht mit hohem Blauanteil ist
       ein Störfaktor.
       
       taz: Wenn es um die Auswirkung von Kunstlicht auf die Tierwelt geht, ist
       oft von „Burn-out-Erscheinungen“ die Rede. Was ist damit gemeint? 
       
       Schroer: Wird das Hormon Melatonin in der Nacht unterdrückt, wird die
       Immunantwort heruntergesetzt. Vögel können dann öfter von Infektionen
       betroffen sein. Auch kann künstliches Licht dazu führen, dass Vögel
       teilweise bis in die Nacht hinein nach Futter suchen. Sie vergeuden dann
       viel Energie außerhalb des Nestes und kümmern sich weniger um ihren
       Nachwuchs. Kurz gesagt: Die Tiere fokussieren sich nicht mehr auf ihre
       tatsächliche Aufgabe und kommen anschließend zur Ruhe, sondern beschäftigen
       sich mit allen möglichen anderen Dingen weit über ihren natürlichen
       Tagesrhythmus hinaus. Auch bei Fischen machen wir ähnliche Beobachtungen.
       
       taz: [2][Was Fische mit Licht zu tun haben], müssen Sie erklären. 
       
       Schroer: Kleine und mittelgroße Fische kommen nachts gern in höhere Lagen
       von Gewässern, weil die Dunkelheit sie vor größeren Raubfischen schützt.
       Durch Beleuchtung, die auf Gewässer scheint, kann die Auf- und Abwanderung
       der kleineren Organismen im Wasser unterdrückt werden. Die Verteilung im
       Ökosystem verzerrt sich auf diese Weise. Auch das Melatonin in Fischen wird
       nachweislich schon durch sehr geringe künstliche Helligkeit in der Nacht
       unterdrückt und kann sich auf die Fortpflanzung auswirken.
       
       taz: Seit 2010 machen Sie mit dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und
       Binnenfischerei Experimente zu den Auswirkungen von künstlichem Licht auf
       Seen. Wie sehen die genau aus? 
       
       Schroer: Bei einem Experiment im Havelland haben wir zum Beispiel die
       Leuchtmittel von Straßenleuchten ausgetauscht, die direkt auf die
       Wasseroberfläche scheinen. Durch die Umrüstung von orangefarbenen
       Natriumdampflampen auf moderne weißleuchtende LED veränderte sich die
       Zusammensetzung des Primärwachstums, das ist der grüne Film an Steinen und
       anderen Dingen in Gewässern. Diese Veränderung ist ein wichtiger Hinweis
       darauf, dass moderne, energieeffiziente Beleuchtung die Zusammensetzung von
       Algen stören kann. Das kann sich auf die Fische auswirken, denn diese Algen
       sind eine wichtige Nahrungsquelle.
       
       taz: Eine [3][Studie fand 2017 heraus], dass sich die Bestäubung von
       Wiesenpflanzen in der Nähe von Straßenlaternen um fast zwei Drittel
       reduziert. Wie ist das zu erklären? 
       
       Schroer: Für die Studie wurden Straßenlampen an Orten aufgestellt, die noch
       nie künstlich beleuchtet wurden. Vorher haben dort Nachtfalter nachts die
       Blumen bestäubt, dann wurden sie vom Licht angezogen und bei ihrer Aufgabe
       gestört. Das führte dazu, dass einige Blumenarten weniger vorkamen, die
       wichtige Nahrungsquellen für tagaktive Bienen sind. Das zeigt uns: Wenn
       Nahrungsnetze gestört werden, leiden alle. Deshalb sollte man Licht nur
       dort anbringen, wo man es braucht, und ausschalten, wenn es nicht unbedingt
       notwendig ist.
       
       taz: [4][Sogenannte Sternenparks] setzen sich genau das zum Ziel: Licht nur
       dort einzusetzen, wo es unbedingt gebraucht wird. 
       
       Schroer: Das ist ein sehr guter Anfang. Die natürlichen Bedingungen der
       Nacht zu retten funktioniert nur, wenn sich Kommunen zusammentun und
       gemeinschaftliche Lichtkonzepte entwickeln. Anfang der 2000er Jahre sind
       wir davon ausgegangen, dass die globale Lichtverschmutzung um 2 bis 6
       Prozent pro Jahr zunimmt. Das fanden wir damals schon viel. Heute müssen
       wir uns mit 10 Prozent pro Jahr abfinden.
       
       taz: Angenommen, ganz Deutschland würde sich an solche Leitlinien halten,
       könnte die Biodiversität hierzulande gerettet werden? 
       
       Schroer: Ja, das ist das Schöne an dem Thema: Wenn wir das Licht ausmachen
       oder reduzieren, sind die ganzen Konsequenzen weg. Es bleiben keine
       Rückstände, so wie bei Plastik oder Pestiziden in der Natur. Und gerade in
       Gegenden, wo Sternenparks zertifiziert wurden, können wir bereits einen
       Rückwärtstrend erkennen. Das Bewusstsein für den Wert von Dunkelheit muss
       wachsen.
       
       taz: Die Stadt Fulda wurde wegen ihrer Konzepte zum Schutz der Dunkelheit
       [5][2019 als Sternenstadt ausgezeichnet]. Ist das auch für Metropolen
       realistisch? 
       
       Schroer: Es wäre jedenfalls ein gutes Ziel. Natürlich ist es ein bisschen
       schwieriger, denn gerade in Berlin haben wir eine unglaubliche Fülle an
       verschiedenen Beleuchtungstechniken und auch viel Privateigentum. Aber mit
       einer Überarbeitung des Berliner Lichtkonzeptes hin zu einer attraktiven
       Kampagne wäre schon viel getan. Hamburg ist da relativ weit. Dort wurde
       schon ein Lichtkonzept ausgearbeitet, das sich stark auf ökologische
       Bedürfnisse ausrichtet.
       
       taz: Haben Sie Hoffnung, dass es in den nächsten Jahren wieder dunkler
       wird? 
       
       Schroer: Die letzte Bundesregierung hat sich 2022 dazu entschieden, das
       Bundesnaturschutzgesetz zu novellieren. Darin wird auch der Schutz von
       Tieren und Pflanzen wildlebender Art vor Lichtimmissionen berücksichtigt.
       Aktuell arbeitet unsere Arbeitsgruppe an einem Gutachten, wie dieser Schutz
       technisch umsetzbar sein kann. [6][Ob die neue Regierung das Thema
       gutheißt, weiß ich nicht]. Aber Innovationen und Energieeinsparung bieten
       gute Gründe dafür.
       
       27 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Lichtverschmutzung/!t5028185
   DIR [2] /Studie-zum-Effekt-von-Lichtverschmutzung/!6011577
   DIR [3] https://www.nature.com/articles/nature23288
   DIR [4] /Ueber-uns-die-Milchstrasse/!5805481
   DIR [5] https://www.fulda.de/news/detail/fulda-ist-erste-sternenstadt-deutschlands
   DIR [6] /Auf-der-Suche-nach-Mehrheiten/!6084206
       
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