URI: 
       # taz.de -- Zurück nach Afghanistan: Abschiebungen sollen beginnen
       
       > Am Mittwoch soll der erste Abschiebeflug seit März nach Afghanistan
       > starten – trotz globaler Pandemie und desaströser Sicherheitslage im
       > Land.
       
   IMG Bild: Abschiebung zurück in den Krieg – und in die Pandemie: Ein Mann verkauft in Kabul Schutzmasken
       
       Berlin taz | Am Mittwoch sollen erstmals seit März wieder Menschen nach
       Afghanistan abgeschoben werden. Wie Pro Asyl und der Flüchtlingsrat Berlin
       mitteilen, soll der Sammelabschiebeflug nach Kabul am Abend vom Flughafen
       Leipzig/Halle aus durchgeführt werden. Es wäre der erste seit Beginn der
       Coronapandemie. Wie viele Personen von der Abschiebung betroffen sind,
       wollte das Bundesministerium des Inneren auf Anfrage der taz nicht sagen.
       
       Die Bundesregierung hatte Sammelabschiebungen nach Afghanistan auf Bitten
       der afghanischen Regierung vorübergehend ausgesetzt. Dass die
       Bundesregierung nun trotz global steigender Corona-Infektionen wieder
       abschieben möchte, stößt auf breite Kritik. „Es ist ein Zeichen äußerster
       Kaltherzigkeit, wenn die Bundesregierung junge Menschen in eine
       möglicherweise lebensbedrohliche Situation bringt“, sagt Georg Classen,
       Sprecher des Berliner Flüchtlingsrats.
       
       Auch Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, bezeichnet es als
       „unverantwortlich“, dass die Bundesregierung „trotz Pandemie und
       katastrophaler Sicherheitslage“ nun wieder nach Afghanistan abschieben
       wolle. Und die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke nennt es „bodenlos, dass
       Bund und Länder mitten in der zweiten Welle der Pandemie und genau an dem
       Tag, an dem in Deutschland der Lockdown beginnt, Menschen nach Afghanistan
       zurückzwingen wollen“. Täglich komme es dort zu massiver Gewalt, auch gegen
       Zivilisten.
       
       Laut dem Global Peace Index des Institute for Economics & Peace ist
       Afghanistan aktuell das gefährlichste Land der Welt. Selbst der Lagebericht
       des Auswärtigen Amtes, der dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
       (Bamf) und den „Ausländerbehörden“ als Richtlinie für Asyl- oder
       Abschiebeentscheidungen dienen soll, kommt in seinem Bericht vom Sommer
       2020 zu dem Schluss: „Es ist davon auszugehen, dass die Taliban in
       zahlreichen Distrikten die alleinige Kontrolle …ausüben.“
       
       ## Finanzieller Druck auf Kabul?
       
       Seither hat sich die Sicherheitslage eher verschlechtert, beobachten
       Menschenrechtsorganisationen. Das zeigten die vielen blutigen Anschläge der
       vergangenen Monate, unter anderem auf eine Universität und eine Schule mit
       insgesamt mehr als 50 Toten. Expert:innen fürchten, dass der angekündigte
       Truppenabzug der USA die Lage weiter verschärft.
       
       Warum die afghanische Regierung plötzlich der Abschiebung zustimmt,
       beantwortet das Innenministerium auf taz-Anfrage nicht. Pro Asyl geht davon
       aus, dass bei der internationalen Geberkonferenz Ende November, bei der
       10,1 Milliarden Euro für den Wiederaufbau des Landes bewilligt wurden,
       entsprechend Druck ausgeübt wurde. „Anders ist diese Zustimmung nicht zu
       erklären“, sagt auch Classen vom Berliner Flüchtlingsrat. Noch vor einem
       Monat hatte Afghanistan die Zustimmung verweigert.
       
       Was Classen verärgert: dass [1][Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD)]
       ausgerechnet einen Afghanen abschieben lässt, der momentan unter Quarantäne
       steht. Der Berliner Senat hingegen hält die Abschiebung für gerechtfertigt
       und verweist auf das umfangreiche Strafregister des jungen Mannes.
       
       Um Abschiebungen zu vermeiden, empfehlen Flüchtlingsräte
       „ausreisepflichtigen“ Afghanen, sich beraten zu lassen. Die Aussicht, dass
       Gerichte die abgelehnten Asylentscheide des Bamf kassieren, ist gut. Laut
       einer Antwort auf eine Linken-Anfrage wurden bis Ende September 5.644
       Ablehnungen aufgehoben. Das entspricht fast 60 Prozent der untersuchten
       Fälle.
       
       Seehofers Ministerium aber setzt asylpolitisch derzeit auf Härte: Erst vor
       wenigen Tagen setzte es auf der Innenministerkonferenz auch durch, dass
       [2][der Abschiebestopp nach Syrien ausläuft.]
       
       15 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Drohende-Abschiebung-nach-Afghanistan/!5739466
   DIR [2] /Innenministerkonferenz-uneins/!5734337
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
       
       ## TAGS
       
   DIR Abschiebung
   DIR Afghanistankrieg
   DIR Asylpolitik
   DIR Horst Seehofer
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Syrien
   DIR Asylrecht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Abschiebung nach Afghanistan: Niemand muss Abschieben helfen
       
       Brandenburg organisiert einen Abschiebeflug ins Kriegsgebiet. Laut Grünen
       ist der Bund verantwortlich. Doch sie könnten selbst einiges dagegen tun.
       
   DIR Abschiebungen nach Afghanistan: Die Zyniker im Innenministerium
       
       26 Menschen werden aus dem coronageplagten Deutschland abgeschoben. In
       Afghanistan erwarten sie unsichere Zustände und eine marode
       Krankenversorgung.
       
   DIR Gericht setzt Flüge aus: Keine Abschiebung nach Afghanistan
       
       Ein Gericht urteilte, dass mit wenigen Ausnahmen nicht in das
       Bürgerkriegsland abgeschoben werden darf. Durch die Coronakrise drohe dort
       großes Elend.
       
   DIR Fluchtroute von Afrika auf Kanaren: Verloren im Atlantik
       
       Rund 400 Menschen kommen derzeit auf der Insel Gran Canaria an. Pro Tag.
       Doch viele Flüchtlingsboote verschwinden schon vorher im Ozean.
       
   DIR Innenministerkonferenz uneins: Abschiebestopp beerdigt
       
       Die CDU-Innenminister verhindern, dass weiterhin nicht nach Syrien
       abgeschoben werden darf. Pro Asyl nennt das einen „Dammbruch“.
       
   DIR Innenminister beenden Abschiebestopp: Syrien ist ein Folterstaat
       
       Die Innenminister der Union lassen rechtsstaatliche Standards fallen. In
       ein Land, wo Folter und Willkür drohen, darf nicht abgeschoben werden.