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       # taz.de -- Zustand der Ampel: Frusttruppe mit Therapiebedarf
       
       > Die Ampel streitet und streitet. Die Menschen erwarten zu Recht, dass nun
       > endlich nach Lösungen und neuen Einnahmequellen gesucht wird.
       
   IMG Bild: Als die Stimmung noch besser war: Kabinettmeeting der Ampel im Schloss Meseberg im Mai 2022
       
       Gut, dass sich die Ampelregierung mal wieder zum Teambuilding in Meseberg
       trifft. Das tut dem innerkoalitionären Klima hoffentlich gut. Denn zurzeit
       gibt die Regierung aus SPD, Grünen und FDP ein miserables Bild ab. Egal
       welches Thema, ob Kindergrundsicherung, [1][Verbrennerautos] oder
       Gasheizungen – man streitet. Eine Familientherapeutin würde nun eine
       Auszeit oder die Scheidung empfehlen. Für die Ampel, die gerade mehrere
       Großkrisen managen muss, ist Trennung aber keine Lösung.
       
       Streit ist prinzipiell gut. Die politische Willensbildung fußt auf dem
       Austausch verschiedener Perspektiven und der Suche nach dem besseren
       Argument. Das ist produktiv. Kontraproduktiv wird es, wenn Streit nur dazu
       dient, eigene Machtansprüche und Interessen durchzusetzen. So wie derzeit
       in der Ampel. Die FDP, die in Wahlen verliert, versucht, ihr Profil zu
       schärfen, vor allem gegen die Grünen. Die punkten mit auf die eigene
       kosmopolitische, klimabewegte Wähler:innenschaft zugeschnittenen
       Botschaften. Aber sie erreichen kaum Menschen über dieses Milieu hinaus,
       wie die Berlinwahl zeigte. Die SPD kann sich in dieser Dreierbeziehung
       nicht entscheiden, ob sie nun Schiedsrichterin oder Kapitänin sein will.
       
       Im Hintergrund laufen derweil Haushaltsverhandlungen. Der Staat wird im
       nächsten Jahr wohl 50 Milliarden Euro weniger ausgeben können, auch weil
       der Weg zu frischen Krediten durch die Schuldenbremse nun bis auf einen
       kleinen Spalt versperrt ist. Hinzu kommt, dass Projekte aus dem
       Koalitionsvertrag, wie die Kindergrundsicherung, noch gar nicht eingepreist
       sind. Derzeit tanzen alle Minister:innen zu Einzelgesprächen bei
       Christian Lindner an. Dessen Job als Finanzminister ist es, die
       Wunschlisten zurechtzustutzen. Als FDP-Vorsitzender tut er das auch nach
       parteipolitischen Präferenzen. Eine Milliarde für die
       FDP-Bildungsministerin muss drin sein, die Kindergrundsicherung, für die
       die grüne Familienministerin 12 Milliarden angemeldet hat, liegt auf Eis.
       
       Jetzt rächt sich, dass die Ampelparteien im Koalitionsvertrag darauf
       verzichtet haben, Prioritäten und Preisschilder zu vergeben. Das hätte ja
       den Frieden der Koalitionsverhandlungen gestört. Jetzt muss sie dies
       nachholen, was denn auch zum erwarteten Unfrieden führt.
       
       Die Menschen dürfen erwarten, dass die Ampel nach pragmatischen und nicht
       nach parteitaktischen Erwägungen aushandelt, was ein Muss ist und was nice
       to have. Und dann sortiert sich doch einiges recht schnell. Dass der Kampf
       gegen Kinderarmut ein Muss ist, darüber sind sich alle einig, auch die FDP.
       Auch Klimaschutz ist kein nettes Beiwerk, sondern überlebensnotwendig für
       die Menschheit.
       
       Bis 2045 will Deutschland von 760 Millionen Tonnen CO2 auf null Emissionen
       kommen. Ein Wahnsinnsumbruch ins postfossile Zeitalter, der alles, von der
       Industrie bis zum eigenen Lebensstil, umkrempeln wird. Die Kosten belaufen
       sich der staatlichen Förderbank KfW zufolge auf etwa fünf Billionen Euro.
       Der Großteil werden private Investitionen sein, doch auch der Staat muss
       mehr in den Klimaschutz investieren, so die KfW.
       
       Damit die Bürger:innen mitziehen, gilt es vor allem jene noch stärker zu
       unterstützen, die finanziell überfordert sind. Nicht jeder kann es sich zum
       Beispiel leisten, die kaputte Gasheizung durch eine 25.000 Euro teure
       Erdwärmeheizung zu ersetzen oder die höhere Miete zu zahlen.
       
       ## Schlupflöcher schließen, Subventionen abschaffen
       
       Investitionen werden in der Regel über Kredite finanziert. Die Ampel sollte
       also auch pragmatisch darüber nachdenken, ob die Einhaltung der
       Schuldenbremse um jeden Preis sinnvoll ist. Gleichzeitig müssen aber auch
       die Steuereinnahmen steigen. Das geht sogar, ohne Steuern für Reiche zu
       erhöhen. Den Liberalen ist das zu hart, na gut. Aber man kann ja
       Schlupflöcher schließen und Subventionen abbauen. Nach [2][Angaben des
       Umweltbundesamtes] entgehen dem Staat jährlich 65 Milliarden Euro, weil er
       umweltschädliche Dinge rabattiert. So kostet die pauschale Besteuerung
       privat genutzter Dienstwagen jährlich mindestens 3 Milliarden Euro. Über 8
       Milliarden Euro lässt sich der Staat entgehen, weil er Dieselkraftstoff
       ermäßigt besteuert.
       
       Riesige Löcher weist auch das Erbschaftsteuerrecht auf. 400 Milliarden Euro
       werden pro Jahr vererbt oder verschenkt – fast so viel wie der
       Staatshaushalt, mit dem Lindner im nächsten Jahr plant. Großzügige
       Ausnahmen führen dazu, dass über 80 Prozent der Firmenerben keine
       Erbschaftsteuer zahlen und so rund 5 Milliarden Euro jährlich am Fiskus
       vorbei transferieren.
       
       Über den Haushalt wird die Ampel auch im schönen Meseberg sprechen.
       Vielleicht besinnt sie sich dann wieder darauf, was sie eigentlich sein
       wollte: Eine Fortschrittskoalition, keine Frusttruppe.
       
       5 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Aus-des-Verbrennungsmotors/!5915989
   DIR [2] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/umweltschaedliche-subventionen-fast-die-haelfte
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
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