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       # taz.de -- Zwei Jahre Lieferkettengesetz: Pflichten in Kinderschuhen
       
       > In seinen ersten Lebensjahren stand das Lieferkettengesetz unter
       > Beschuss. Jetzt muss es an europäische Vorgaben angepasst werden.
       
   IMG Bild: Näherin in einer Schuhfabrik: Gesetzliche Sorgfaltspflichten für Menschenrechte in der Lieferkette stehen noch am Anfang
       
       Berlin taz | Im Januar ist das Lieferkettengesetz zwei Jahre alt geworden.
       Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitenden müssen ihre Lieferketten kennen, sich
       bemühen Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und auf Beschwerden
       reagieren. Beschlossen unter der SPD-CDU-Regierung von Angela Merkel
       [1][mit großer Unterstützung der Grünen], ist das Lieferkettengesetz zu
       einem der umkämpftesten Regelwerke der Ampel-Ära geworden.
       
       Während viele Unternehmen sich einheitliche Regeln wünschten, sprachen
       Unternehmensverbände zu Beginn von einem „Bürokratiemonster“ – der
       Widerstand war groß. Unterstützung bekamen sie nicht nur von
       FDP-Politiker*innen.
       
       Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bot beim Unternehmertag des
       Außenhandelsverbands BGA Ende vergangenen Jahres gar an, „die Kettensäge
       anzuwerfen und das ganze Ding wirklich wegzubolzen“.
       
       Auch der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versprach
       Wirtschaftsverbänden, das Gesetz „kommt weg“. Viele grüne und
       sozialdemokratische Parteimitglieder sahen das anders. Anträge der CDU und
       AfD, das Gesetz abzuschaffen oder auszusetzen, scheiterten im Bundestag.
       
       ## Dieses Jahr wird es darauf ankommen, wie die nächste Bundesregierung die
       EU-Regeln umsetzt
       
       Seit Mai 2024 ist außerdem die Europäische Sorgfaltsplichten-Richtlinie
       (CSDDD) in Kraft. Das deutsche Gesetz muss deshalb bis Juli 2026 an die
       neuen Regeln angepasst werden, so ganz kann es also nicht weggebolzt
       werden. Dieses Jahr wird es darauf ankommen, wie die nächste
       Bundesregierung die EU-Regeln umsetzt.
       
       Im Juli machte Habeck erste konkrete Zugeständnisse an die
       Wirtschaftsverbände. In seiner „Wachstumsinitiative“, legte er eine
       Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie fest. Die Ampelregierung beschloss
       das Papier. Damit würden die Regeln ab Sommer 2027 nur noch für Unternehmen
       mit mehr als 5.000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro
       weltweitem Nettojahresumsatz gelten.
       
       Im Jahr [2][2022 meldeten nur 800 Unternehmen einen Umsatz von mehr als 1
       Milliarde an]. Derzeit fallen etwa 5.200 Unternehmen unter das deutsche
       Gesetz. Erst ab 2029 würden die Regeln für Unternehmen mit 1.000
       Mitarbeitenden und einem Umsatz von 450 Millionen gelten.
       
       Es gibt aber Aspekte, bei denen die europäischen Regeln weiter gehen als
       die deutschen. Neu ist zum Beispiel die explizite Einbindung von
       Sorgfaltspflichten gegenüber der Umwelt. Unternehmen müssen zudem
       Klimapläne erstellen, in denen sie angeben, wie sie ihre Klimabilanz
       verbessern wollen. Ob diese eingehalten werden, muss allerdings nicht
       überprüft werden.
       
       ## Kritik von kleinen und mittleren Unternehmen
       
       Nach dem deutschen Lieferkettengesetz müssen Unternehmen nur direkte
       Zulieferer kontrollieren. Die EU-Regeln gelten hingegen für die gesamte
       Lieferkette plus Vertrieb, Transport und Lagerung. Allerdings müssen
       Unternehmen risikobasiert vorgehen. Sie müssen also in der Regel nicht
       ihren Brötchenzulieferer aus der Gegend kontrollieren. Zum Vorwurf
       überbordender Bürokratie gehört auch, dass genau das passiert ist.
       
       Einige mittlere und kleinere Unternehmen hatten beklagt, dass
       Abnehmerunternehmen die Sorgfaltspflichten auf sie abwälzen würden. Das
       dürfen sie nicht, stellte die Kontrollbehörde Bafa in einer Handreichung
       klar. „Ich nehme den Leidensdruck von mittleren und kleinen Unternehmen
       durchaus wahr, die in einer Vielzahl und unpriorisierten Art und Weise
       Fragebögen erhalten“, sagt Lissa Bettzieche vom Deutschen Institut für
       Menschenrechte (DIMR).
       
       „Das ist nicht vom Gesetz intendiert, vielmehr sollten Unternehmen
       risikobasiert und priorisierend vorgehen“. Das sei in der europäischen
       Richtlinie noch deutlicher formuliert, sagt Bettzieche. Außerdem will die
       Europäische Kommission freiwillige standardisierte Vertragsklauseln
       erarbeiten, die kleine und mittlere Unternehmen schützen sollen.
       
       ## Stärkung von Betroffenen, NGOs und Gewerkschaften
       
       Mit den europäischen Erneuerungen werden Betroffene von
       Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette gestärkt. Sie können dann
       Unternehmen auf Schadensersatz verklagen. Außerdem macht die Richtlinie
       noch deutlicher, dass Unternehmen Interessengruppen, also NGOs und
       Gewerkschaften, sinnvoll einbeziehen müssen, um zum Beispiel geeignete
       Präventions- oder Wiedergutmachungsmaßnahmen zu erarbeiten.
       
       Danardianingtyas Nitya arbeitet für die NGO Trade Union Rights Center
       (TURC), die in Partnerschaft mit Gewerkschaften Sicherheits- und
       Gesundheitsstandards in indonesischen Schuhfabriken verbessern will.
       Vergangenes Jahr war sie im Rahmen eines Projekts von TURC, Cidivep, Femnet
       und dem Südwind-Institut in Deutschland.
       
       Der taz sagte sie, die Produktionsbedingungen, etwa langes Stehen, führen
       zu gesundheitliche Problemen mit Gelenken, Knochen und Nervenbahnen. „Der
       Druck und die Zielvorgaben sind so hoch, dass viele Arbeiter*innen
       keine Pausen machen. Einige trinken kein Wasser, um nicht auf die Toilette
       gehen zu müssen, und haben davon Harnwegsinfektionen entwickelt.“
       
       Die Verantwortung für bessere Arbeitsschutznormen liege auch bei den
       Abnehmern – den großen Schuhmarken in den USA, Italien, Deutschland oder
       Spanien. Aber: „Die Verhandlungen mit ihnen sind schwierig“. In einem Fall
       stoppte die Marke eine Vereinbarung zu besserem Arbeitsschutz. „Wir hatten
       eine Diskussion mit der Fabrikleitung, der Marke in Deutschland und dem
       Markenvertreter in Indonesien, aber sie führte zu nichts“, erklärt Nitya.
       
       Damit Lieferkettengesetze nicht „nur eine Checkliste“ sind, müsse jeder
       Prozess der Sorgfaltspflicht die Zusammenarbeit mit lokalen
       Gemeinschaftsorganisationen und Gewerkschaften beinhalten. Das deutsche
       Lieferkettengesetz [3][hat diesen Prozess bereits angestoßen]. Viele
       Unternehmen haben sich auf den Weg gemacht, die Bestimmungen umzusetzen. So
       haben etwa 671 Unternehmen Berichte eingereicht, obwohl die Bundesregierung
       beschlossen hatte, dass sie erst 2026 vorliegen müssen.
       
       ## CDU will Lieferkettengesetz abschaffen
       
       Die Umsetzung der europäischen Regeln bietet der nächsten Bundesregierung
       die Möglichkeit, Schwachstellen zu verbessern und Sorgfaltspflichten zu
       stärken. SPD und Linke bekennen sich in ihren Wahlprogrammen zur
       EU-Lieferkettenrichtlinie. So auch die Grünen. Zur Bundestagswahl vor vier
       Jahren wendeten sie allerdings noch eine ganze Seite für Sorgfaltspflichten
       von Unternehmen auf.
       
       Beim deutschen Lieferkettengesetz seien Nachbesserungen „dringend
       notwendig“, hieß es damals, „zum Beispiel eine Ausweitung der erfassten
       Unternehmen, aber auch eine Erweiterung der umweltbezogenen
       Sorgfaltspflichten“. In der Kurzfassung des Wahlprogramms für die Wahl im
       Februar gibt es nur noch zwei Sätze dazu: „Die EU-Lieferkettenrichtlinie
       ist eine große Errungenschaft (…). Wir sorgen dafür, dass die
       Lieferkettenrichtlinie unbürokratisch in deutsches Recht übertragen wird.“
       
       Auch die Union macht kurzen Prozess: Das vom früheren
       Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) vorangebrachte und unter einer
       CDU-geführten Regierung verabschiedete Lieferkettengesetz werde
       „abgeschafft“. In Europa wollen die Christdemokraten „Belastungen einen
       Riegel vorschieben“.
       
       Die CDU hatte bereits in der europäischen Mutterpartei EVP sich für einen
       Rückdreh der Richtlinien zu Lieferketten, Nachhaltigkeitsberichterstattung
       und entwaldungsfreien Lieferketten starkgemacht. Kommissionspräsidentin
       Ursula von der Leyen (CDU) hatte immerhin klargestellt: „Der Inhalt der
       Gesetze ist gut. Wir wollen sie beibehalten und werden sie beibehalten.“
       Sie wolle einen „Omnibus“ an Berichtspflichten schaffen: sie sollen
       gebündelt werden.
       
       Auch Vertreter*innen von Menschenrechtsorganisationen befürworten das.
       Sie befürchten aber, dass damit eine Hintertür geöffnet werde, eben doch
       inhaltliche Änderungen vorzunehmen, die Gesetze auszusetzen oder zu
       verschieben. Im neuen EU-Parlament gibt es im Gegensatz zur letzten
       Wahlperiode eine rechte Mehrheit.
       
       14 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung/?id=745
   DIR [2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Umsatzsteuer/Methoden/Erlaeuterungen/voranmeldung-aktuell.html
   DIR [3] /Folgen-des-Lieferkettengesetzes/!6017762
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leila van Rinsum
       
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