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       # taz.de -- Zweiter Jahrestag des Ukraine-Kriegs: „Jeder will, dass der Krieg endet“
       
       > Zum zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine sagte
       > Präsident Wolodimir Selenski, ein Ende der Ukraine werde es nicht geben.
       
   IMG Bild: Trauer um einen getöteten Angehörigen im Krieg auf dem Freidhof in Lwiw am 24.02.2024
       
       Es war ein Samstag, wie jeder andere auch in der ukrainischen Hauptstadt
       Kyjiw. Nur viel ruhiger: weniger Autos, weniger Fußgänger, weniger Lärm. Es
       war der [1][zweite Jahrestag des russischen Großangriffs auf das
       Nachbarland Ukraine.] Viele sorgten sich, Russland könnte diesen Jahrestag
       mit vermehrtem Beschuss auf die Ukraine und insbesondere die Hauptstadt
       begehen. Doch den ganzen Tag gab es in Kyjiw keinen Luftalarm, keine
       Angriffe.
       
       Einziger Ort der Lebendigkeit an diesem Tag: der Maidan. Obwohl keine
       Festlichkeiten und auch sonst keine Veranstaltung angekündigt war, fanden
       sich den ganzen Tag über Menschen auf dem Platz ein, um der Toten des
       Krieges zu gedenken. Viele kleine blau-gelbe Fähnchen, Porträts von toten
       Soldaten, Frauen, die still davorstanden, und ein Sprachengewirr prägten
       die Szenerie. Fernsehteams aus USA, Japan, Litauen und Italien berichteten
       live.
       
       Auch Sofia und Olha, zwei junge Frauen aus einem Vorort, waren auf dem
       Maidan. Doch sie hatten noch einen Grund, in das Stadtzentrum zu fahren: Am
       frühen Vormittag protestierten sie vor dem Sitz des Kyjiwer
       Oberbürgermeisters gegen den städtischen Haushalt. Die Stadt gebe zu viel
       Geld aus, während gleichzeitig im Land Krieg herrsche. Dorthin solle das
       Geld fließen, forderten sie. [2][Der Japaner Fuminori Tsuchiko] hatte einen
       kleinen Stand auf dem Maidan aufgebaut. „Aus Solidarität mit den Opfern des
       Krieges“, sagte er der taz. Tsuchiko lebt seit fast zwei Jahren im
       ukrainischen Charkiw, wo er mit Crowdfunding und einem eigenen Café die
       ukrainische Bevölkerung unterstützt. Inzwischen ist er so bekannt, dass er
       bereits eine eigene Wikipedia-Seite hat. Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj
       hat ihn schon persönlich empfangen.
       
       Am frühen Morgen waren zahlreiche internationale Gäste am Kyjiwer
       Hauptbahnhof eingetroffen, um der Ukraine an diesem Tag ihre Solidarität zu
       übermitteln. Unter ihnen war der britische Ex-Premier Boris Johnson, die
       Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, außerdem die
       Regierungschefs von Italien, Kanada und Belgien. „Jeder normale Mensch
       will, dass der Krieg endet“, zitiert die Ukrajinska Prawda den Präsidenten.
       „Aber keiner von uns wird zulassen, dass unser Land endet. Deshalb fügen
       wir immer dann, wenn wir vom Ende des Krieges sprechen, hinzu: zu unseren
       Bedingungen.“ Die Ukraine sei mittlerweile so weit, dass sie Putins Krieg
       nach Russland wenden könne.
       
       Zuvor hatte bereits Oleksandr Kamyshin, Minister für Strategieindustrie der
       Ukraine, verlauten lassen, dass man inzwischen Waffen habe, die bis zu 700
       Kilometer reichten. Wenige Stunden zuvor hatten Drohnen das größte
       russische Stahlwerk im russischen Lipezk angegriffen. Lipezk liegt fast 800
       Kilometer von Kyjiw und 450 Kilometer von Moskau entfernt. Doch die Ukraine
       musste dieser Tage auch einige militärische Rückschläge hinnehmen. So
       scheinen die Ortschaften Robotyne in der Nähe von Saporischschja und
       Lastotschkyne bei Awdijiwka von der russischen Armee eingenommen worden zu
       sein. Kupjansk könnte als Nächstes dran sein – und dann Charkiw, das
       jedenfalls fürchtet die Abgeordnete Olexandra Ustinowa von der
       oppositionellen Holos-Partei laut Medienberichten.
       
       Im westukrainischen Lwiw begingen die Menschen den Gedenktag auf ähnliche
       Weise wie in der Hauptstadt. Auch hier waren für einen Samstag
       vergleichsweise wenige Menschen unterwegs. Tiefhängende, graue Wolken
       trugen zur Stimmung bei. Mittags kamen immer wieder Menschen zum
       [3][Lytschakiwski-Friedhof]. Auf einer Wiese am Rand werden die Gefallenen
       des aktuellen Kriegs bestattet. Die Anzahl der Gräber pro Reihe nimmt
       kontinuierlich zu. Am Eingang zum Friedhof hängt inzwischen ein
       Übersichtsplan, den man sich auch per QR-Code herunterladen kann. Insgesamt
       sind dort derzeit sind 572 Namen verzeichnet. Am Samstag lagen auf vielen
       Grabstätten frische Blumen. Grablichter brannten. Einzelne Menschen, ältere
       Paare, Frauen mit Kindern standen oft still vor einem Grab. Fast alle
       hatten Tränen in den Augen.
       
       Nicht überall war es am Samstag so ruhig wie in Kyjiw und Lwiw. Ukrainische
       Medien berichten von Explosionen in Chmelnyzkyj, Mykolajiw, Odessa und
       Kostjantyniwka. Gleichzeitig waren auch Wohnviertel in Donezk und der
       russische Grenzort Belgorod beschossen worden. Am Sonntag brach die
       deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ihren Besuch wegen der Bedrohung
       durch eine russische Drohne ab. Nach Informationen der Nachrichtenagentur
       AFP wurde am Sonntag eine russische Aufklärungsdrohne gesichtet, die der
       Delegation der Ministerin in der frontnahen, südukrainischen Stadt
       Mykolajiw zeitweise folgte und schließlich abdrehte.
       
       25 Feb 2024
       
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