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       # taz.de -- die wahrheit: Fällen mit Stil
       
       > Praxistest: Bei der Produktvorstellung einer neuen Motorsäge. Eine
       > knallharte Wahrheit-Reportage aus dem Innersten des Waldes.
       
   IMG Bild: Heimeliges Dederow mit offizieller Staatsflagge
       
       Walter Lenz setzt die Motorsäge auf die Kiefernnadeln am Boden. Es ist eine
       gewöhnliche Säge, deren Produktname unkenntlich gemacht wurde. Sie ist nur
       für das Vorspiel da. Nicht lange mehr wird es dauern, dann dürfen wir die
       "Ultimate" bewundern.
       
       Forstmeister Lenz leitet die Produktpremiere der "Ultimate", zu der man uns
       in die Tiefen der südwestwürttembergischen Urwälder an der Rems gerufen
       hat. Lenz weist uns als Erstes in die Tücken der Sicherheitsbekleidung ein.
       Der Kokon aus schlammgrünem Dickstoff sieht schneidiger aus als gewohnt.
       Einige orangefarbene Blitze versetzen dem Overall einen modischen
       Einschlag. Es handele sich um "schnittfeste" Textilien, ruft Lenz in die
       Runde der Journalisten. Einer bittet Meister Lenz, doch versuchsweise
       einmal in sein Hosenbein hineinzusägen. "Zum Beweis der Behauptung!" Doch
       Lenz geht nicht darauf ein.
       
       Er setzt sich einen Schutzhelm auf den Kopf und regt uns gestisch zur
       Nachahmung an. Dann zeigt er uns, die wir ihn nach etlichen ärgerlichen
       Sekunden des Nestelns und Stülpens behelmt anstarren, wie das Fliegengitter
       gegen die Holzsplitter und die Ohrschützer gegen die Akkustik
       herunterklappt werden.
       
       Lenz tritt mit dem orangeroten Gummistiefel in die Griffluke der namenlosen
       Säge und reißt sie mit einem Starterseil in Gang. Schwarzes Abgas kommt
       heraus, als er den Gashebel mit dem Zeigefinger antippt. Das Geröchel und
       Geknatter wird zum jähen Geheul. Motorsägen sind überaus böse und gemein.
       Selbst die seitlich am Kopf angedockten Lärmstopper helfen kaum, die
       Lautstärke erträglich zu machen. Einige beginnen, trotz Vollvermummung die
       Vesperbrote aus den rostfreien, eingangs verteilten Edelstahldosen zu
       klauben. Doch dann halten sie inne und legen die Brote vorsichtig wieder
       zurück. Denn das alles war nur der Vorspann. Lenz hat seine Rolle gut
       geübt. Gekonnt lässt er den Motor ersterben und die laute und schmutzige
       Säge recht unsanft auf den Boden fallen. "Aahs" und "Oohs" rauschen durch
       die Splitterschutzgitter, als er aus dem Heck des Landrovers unter einer
       Rettungsdecke jenes Kunstwerk hervorzieht, um das es an diesem Tag
       eigentlich geht …
       
       Und Tatsache: Die "Ultimate" sieht verdammt gut aus! Selbst der anwesenden
       Alibifrau unter den Geladenen entweicht ein Laut aufrichtiger Sägefreude.
       Glatt, funkelnd, gleißend. Organisch geformt wie ein Tintenfischtubus … Man
       habe die Wellenlängen der stilbildenden Marktführerfarben Yellowcake und
       Lotusgrün noch einmal leicht überarbeitet, fachsimpelt der schnittige Lenz,
       während er das Technik- und Design-Wunder in Gang setzt. Vorbei das lästige
       und schultergelenkentkugelnde Starten mit dem Seilzug. Ein kleines Antippen
       eines Tasters, und schon läuft sie.
       
       "Wie ä Nähmaschin!", entfährt es der Kollegin vom Remstalboten. Und
       wirklich, es ist eher ein Schnurren denn ein Röhren. Und das Abgas - ein
       leichter hellgrüner Dunsthauch nach Kienöl nur. Der Spezialtreibstoff,
       Motomix-Ultimate, schwappt jadegrün im herumgereichten Dekantiergefäß.
       "Gehäuse von Colani, Duft und Farbe von Iif Sang Lorään", säuselt Lenz in
       Zimmerlautstärke bei laufender Kettensäge. Den Ohrschutz braucht jetzt
       keiner mehr.
       
       Auch das Sägekettenöl ist neu gestylt. "Feinstes Öko-Agavenkernöl!", sagt
       Lenz. "Von der Agaveküste?", will ich scherzhaft fragen, verkneife es mir
       aber. Die "Ultimate" hat auch mich in ihren Bann gezogen.
       
       Lenz balanciert die Profi-Säge mit zwei Fingern, um ihr verschwindendes
       Gewicht zu demonstrieren, geht dann etwas professioneller zum Baum und
       lässt das Schwert im Stamm verschwinden. Es ist, als führe es in mürben
       Dinkelteig. Für Sekundenbruchteile sitzt eine Art Regenbogen im verstäubten
       Sägekettenöl, als ein Sonnenstrahl sich neugierig bis auf den Waldboden
       herabtastet.
       
       Fein zischt die Diamantsägekette ums Schwert, Kiefer um Kiefer fällt und
       wird im Nu entastet. Dabei ist das Niedersausen der Bäume das lauteste
       Geräusch, das man hört. Die "Ultimate" stoppt automatisch, flüsternd. Ein
       Hauch von Aloe vera liegt über der Wallstatt, als Lenz sie endlich aus der
       Hand legt. Der Windbruch von zwei Hektar Umfang liegt um. Harz klebt an des
       Forstmanns orangeroten Arbeitshandschuhen.
       
       Mit einer guteinstudierten Geste fährt Lenz seiner Säge über die tickend
       abkühlende Colani-Schale. "Die Ultimate ist die erste schöne und leise und
       wohlriechende Motorsäge!" Er lacht und schiebt sich den Splitterschutz aus
       der Stirn. Er ist von der "Neuen" überzeugt. Wir sind es auch. Die Welt
       kann endlich aufatmen! Und die Ökoleberwurst auf den Vesperbroten war auch
       sehr gut.
       
       6 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Wolf
       
       ## TAGS
       
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