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       # taz.de -- taz-Diskussion in München: Olympiareife Gedankenspiele
       
       > Die taz ist mit ihrer Seitenwende auf Tour. In München ging es hoch her,
       > als über das Für und Wider einer Olympia-Ausrichtung diskutiert wurde.
       
   IMG Bild: Original-Kulisse von 1972: Das Olympiastadion in München würde auch Schauplatz von erneuten Spielen in der Stadt sein
       
       München taz | Wer dieser Tage mit dem Zug am Hauptbahnhof in München
       ankommt, muss denken, dass bald ganz Großes ansteht in der Stadt. Die
       Besucher der Stadt werden von riesigen Baustellen in Empfang genommen. Was
       wohl anstehe in der Stadt, mögen manche sich fragen. Ein großes Sportevent
       vielleicht? Wer etwa im Jahr vor der Fußball-WM 2018 in Russland versucht
       hat, zu Fuß durch die Innenstadt von Moskau zu gehen, der wird sich nicht
       an viel mehr erinnern als an Bauzäune, Behelfsgehwege und ausgehobene
       Baugruben. In München rund um den Hauptbahnhof sieht es dieser Tage auch
       nicht viel besser aus.
       
       Der Bahnhof selbst ist eine Baustelle, der Warenhauskomplex gegenüber steht
       leer und ist von Bauzäunen umgeben. Er gehört zu den zahlreichen
       Immobilienleichen des österreichischen Superpleitiers René Benko in der
       Münchner Innenstadt. Der andauernde Versuch, aus dem für Münchner
       Verhältnisse traditionell schäbigen Bahnhofsviertel ein ordentliches Wohn-
       und Geschäftsumfeld zu machen, hat dazu geführt, dass die
       Schwanthalerstraße, die von der Innenstadt an der Theresienwiese vorbei in
       den Gentrifizierungshotspot Westend hinaufführt, mal linksseitig, mal
       rechtsseitig wegen Baumaßnahmen verengt ist.
       
       Hinter einer dieser Baustellen, deren Geruch nach frisch gegossenem Beton
       die Düfte aus den zahlreichen Dönerbuden und exotischen Imbissrestaurants
       längst überlagert, befindet sich eine der seltenen Oasen der Gegenkultur in
       der Wirtschaftsmetropole. Im Eine-Welt-Haus haben etliche soziokulturelle
       Vereine, die sich um das Miteinander der stark migrantisch geprägten
       Stadtgesellschaft kümmern, ihr Zuhause. Passt zur taz, haben sich die
       Organisatoren der Seitenwende-Tour gedacht und am Freitag zur
       Podiumsdiskussion geladen: Es soll um eine mögliche Bewerbung der Stadt für
       die Olympischen Sommerspiele gehen.
       
       Steht also doch tatsächlich Olympia vor der Tür? So schnell geht’s dann
       auch wieder nicht. All die Baustellen, die für das hässliche Entrée in die
       Stadt sorgen, haben nichts mit diesem Megaevent zu tun. Es geht um die
       Spiele 2036, 2040 oder 2044.
       
       Es ist der ausdrückliche Wille des im Deutschen Olympischen Sportbund
       (DOSB) organisierten Sports, die Spiele nach Deutschland zu holen. Der Bund
       unterstützt das Ziel. Eine Bewerbung für die Ausrichtung von Olympischen
       und Paralympischen Spielen ist im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD als
       Teil einer „nationalen Strategie“ Sportgroßveranstaltungen explizit als
       Ziel formuliert. Wer vom DOSB dann ins Rennen geschickt wird, um den
       Zuschlag des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zu erlangen,
       entscheidet sich erst im Herbst 2026. Doch der nationale Kampf darum ist
       längst entbrannt.
       
       Vier Möchtegernbewerber gibt es aus Deutschland. Da ist Berlin, das gerne
       schon 2036 Gastgeber sein möchte, um der Welt zu zeigen, wie weltoffen die
       Stadt geworden ist seit dem Propagandaspektakel bei den Nazispielen von
       1936. Hamburg, dessen Olympiabewerbung für die Spiele 2024 von der
       Stadtbevölkerung in einer Volksabstimmung abgelehnt wurde, will wieder ins
       Rennen gehen. Und die Region Rhein-Ruhr versucht es ebenfalls nochmal,
       nachdem ihre Bewerbung für die Spiele 2032 auch daran gescheitert war, dass
       die Bewerber selbst nicht so genau wussten, wie das Procedere beim IOC
       eigentlich abläuft. Und München natürlich. Die Stadt hätte nach 1972 die
       Spiele gerne ein zweites Mal.
       
       Warum eigentlich? Das war eine der Fragen, die es bei der Podiumsdiskussion
       in München, moderiert von taz-Redakteurin Harriet Wolff, zu beantworten
       galt. Julia Schönfeld-Knor, die für die SPD Sportthemen im Münchner
       Stadtrat bearbeitet, erinnerte an die faszinierenden Bilder, die im
       vergangenen Jahr um die Welt gegangen sind. Die Stadt Paris als Kulisse für
       Spitzensport hatte ikonische Bilder geliefert. Und auch von der Stimmung in
       der Stadt hat sie geschwärmt. Sie war selbst ein paar Tage in Paris, um
       Olympialuft zu schnuppern. So etwas täte München gewiss ebenfalls gut,
       glaubt sie.
       
       Auch Beppo Brem, sportpolitischer Sprecher der Grünen im Stadtrat, ist die
       Diskussion mit eher gefühligen Argumenten angegangen. Wie sich die
       Stadtbevölkerung auf die European Championships 2022 eingelassen habe, hat
       er in bester Erinnerung. Europameisterschaften in der Leichtathletik, im
       Radsport, im Kunstturnen, Rudern, Triathlon, im Kanurennsport,
       Beachvolleyball, Tischtennis und Sportklettern waren zu einem
       Multisportevent zusammengeschraubt worden, das zum Großteil in den alten
       Olympiaanlagen von 1972 stattgefunden hat. Dass er so schwärmt von diesem
       Sportevent, dessen kulturelles Begleitprogramm im Olympiapark den
       Münchnerinnen und Münchnern einen wahren Festivalsommer beschert hat, wird
       niemanden verwundern. Er gehörte zum Organisationskomitee der
       Championships. „Unfassbar beeindruckend“ fand auch er die Bilder aus Paris
       im vergangenen Jahr.
       
       Moritz Burgkardt, der sich in der Initiative [1][#ausspekuliert] gegen den
       Ausverkauf der Stadt an Spekulanten engagiert, war das „fast schon zu viel
       Olympiaromantik“. Er habe nun wahrlich nichts gegen Sport, aber nach allem,
       was er wisse, sei ein Nebeneffekt in Gastgeberstädten der Spiele die
       dauerhafte Erhöhung der Preise auf dem Immobilienmarkt. Und der sei in
       München ja ohnehin völlig überhitzt. Olympische Spiele wirkten da, wie „Öl
       ins Feuer“ zu gießen, sagte er und erntete Applaus im Publikum.
       
       Die Rollenverteilung war schnell klar. Brem und Schönfeld-Knor, die mit
       ihren Fraktionen für das Bewerbunskonzept gestimmt haben, das Münchens
       Oberbürgermeister Dieter Reiter zusammen mit dem bayerischen
       Ministerpräsidenten Markus Söder am 20. Mai vorgestellt hatte,
       argumentierten gegen Burgkardt – und auch gegen die Stimmung im Saal. Für
       dringend benötigte und auch schon angeschobene Infrastrukturmaßnahmen, wie
       den Bau einer neuen U-Bahn-Linie, einen S-Bahn-Ring im Münchner Norden oder
       den Ausbau von Radschnellverbindungen sei Olympia „wie ein Booster“, sagte
       Schönfeld-Knor. Bund und Freistaat würden sich dann ja auch engagieren. Ein
       olympisches Dorf im Nordosten der Stadt könne die Erschließung eines
       ohnehin geplanten Wohngebiets ebenfalls beschleunigen und Wohnraum für
       10.000 Menschen schaffen.
       
       Der Grüne Brem warb mit Verve für das Konzept, das vor allem auf der
       Nutzung vorhandener Sportstätten beruht. Wenn das so, wie es dasteht,
       umgesetzt würde, hätte München „die nachhaltigsten Spiele der Geschichte“.
       Es soll nicht allzu viel Beton gegossen werden für die Spiele. Jede Menge
       Stahlrohrtribünen und temporäre Wettkampfstätten sollen im Olympiapark
       aufgebaut werden. Aber ganz so einfach ist das alles nicht. Für die
       olympische Kernsportart Schwimmen ist ein Becken mit zehn Bahnen nötig. Die
       Olympiaschwimmhalle von 1972 genügt diesen Ansprüchen des modernen
       Schwimmsports nicht. Nun könnte ein temporäres Becken in eine
       Multifunktionsarena gebaut werden, die in der Nähe des Münchner Flughafens
       entstehen soll.
       
       ## „Was für ein Schmarrn!“
       
       Es ist dies einer der vielen Konjunktive, die bemüht werden, wenn über
       Spiele gesprochen wird, von denen noch gar nicht feststeht, ob sie
       überhaupt nach München kommen. „Temporäre Schwimmhalle, was ist das denn
       für ein Schmarrn!“, rief ein taz-Leser irgendwann Richtung Podium.
       
       Ob Brem und Schönfeld-Knor den Mann bis zum 26. Oktober wohl noch zum
       Olympiabefürworter machen können? An diesem Tag sind die Münchnerinnen und
       Münchner aufgerufen, bei einem Bürgerentscheid darüber abzustimmen, ob die
       Stadt mit dem vorgestellten Konzept ins Rennen um den nationalen
       Vorentscheid gehen soll. Ein klares Ja zu Olympia würde Münchens Chancen
       erheblich erhöhen, ist sich Brem sicher.
       
       Und er wird wohl bis zum Abstimmungstag nicht müde werden, all jenen
       Kritikern, die befürchten, dass am Ende das Milliardenunternehmen IOC
       diktatorisch bestimmen werde, wie die Spiele in München auszusehen haben,
       entgegenzuhalten, dass es durchaus möglich sei, mit den Ober-Oympiern zu
       verhandeln. Auch die Vertreter der Internationalen Sportverbände, deren
       Europameisterschaften 2022 in München stattgefunden haben, seien nicht „per
       se nett“ gewesen und doch habe er mit ihnen das Beste für München
       herausverhandelt. 130 Millionen Euro Etat habe er damals gehabt und ihn
       nicht überschritten. Derart sinnvolles Wirtschaften sei auch bei
       Olympischen Spielen möglich.
       
       Dass der Betrag im Vergleich zu den 4,4 Milliarden Euro Organisationskosten
       für die Spiele in Paris fast schon mickrig wirkt, wird er wissen. Und als
       Burgkardt noch einmal einwarf, dass das ohnehin schnell wachsende München
       wahrlich kein durch Olympia befeuertes Wirtschaftswachstum brauche,
       vielmehr aber ein soziales, blieb Brem im Kampfmodus für Olympia. Die
       Spiele könnten eben helfen, das Wachstum zu beherrschen, das auf München
       ohnehin zukommt. 1,6 Millionen Einwohner zählte München Ende 2024. In einer
       kürzlich vorgestellten Prognose der Landeshauptstadt rechnet man mit einem
       Anstieg der Bevölkerung bis 2045 um 226.000 Menschen auf über 1,8
       Millionen.
       
       Es wird also ohnehin entwickelt, verdichtet und versiegelt werden müssen.
       Der Geruch frisch gegossenen Betons wird noch sehr lange über der Stadt
       liegen – ganz egal, ob nun die Olympischen Spiele nach München kommen
       werden oder nicht.
       
       30 Jun 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
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