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       # taz.de -- taz-Genossen stimmen „Seitenwende“ zu: Bloß nicht in Schönheit sterben
       
       > Als erste überregionale Tageszeitung beendet die taz unter der Woche das
       > Drucken. Die Versammlung der taz-Genoss:innen akzeptierte den Schritt
       > nach lebhafter Aussprache.
       
   IMG Bild: Nichts Anderes als die Zukunft der taz steht zur Abstimmung: Auf der Genoversammlung 2024
       
       Berlin taz | Die letzte auf Papier gedruckte werktägliche Ausgabe der taz
       erscheint am 17.10.2025. Auf der Generalversammlung der taz
       Verlagsgenossenschaft im Berliner Festsaal Kreuzberg verkündete die
       Geschäftsführung der taz am Samstag, 14.09., den Zeitpunkt der sogenannten
       „Seitenwende“ für die seit 1979 täglich erscheinende Tageszeitung aus
       Berlin.
       
       Dem vorangegangen waren mindestens sechs Jahre seit dem großen Knall: 2018
       verkündete der damalige taz-Geschäftsführer Kalle Ruch, dass der
       Journalismus der taz „im Netz“ weiterlebe und die geschichtsträchtige linke
       Zeitung daher eines Tages in der Woche rein digital und nur noch am
       Wochenende als Printzeitung erscheinen könnte. Andere Medien nahmen Ruch
       beim Wort, berichteten direkt im Anschluss, es könne „möglicherweise bald“
       so kommen, dass die taz ihren werktäglichen Druck einstellt. Ein solches
       „Szenario“, wie der Geschäftsführer es nannte, gab es in der deutschen
       Medienbranche kein zweites Mal.
       
       Kein zweites Mal gibt es auch die Art und Weise, wie die taz sich nun zu
       diesem historischen Schritt durchgerungen hat. Freilich kann ein Schritt
       wie die „Seitenwende“ in einer genossenschaftlich organisierten Zeitung
       nicht einfach durchgesetzt werden. Daher ist es zum Ritual auf der
       jährlichen Genossenschaftsversammlung geworden, ausgiebig über das Für und
       Wider dieses Schritts zu diskutieren.
       
       So ernst wurde es aber noch nie: „Ich glaube, dass der Weg, die tägliche
       Zeitung ab 17. Oktober 2025 digital erscheinen zu lassen und nur noch die
       wochentaz zu drucken, der richtige Weg ist, um das Fortbestehen der taz zu
       sichern“, so lautete der Satz, über den knapp 800 Genoss*innen vor Ort
       und digital abstimmen durften. Das Ergebnis fiel bemerkenswert aus: rund 77
       Prozent stimmten mit „Ja“, 13 Prozent mit „Nein“ und weitere 10 Prozent
       enthielten sich.
       
       ## „Ein Treppenwitz“
       
       Dass eine solch große Mehrheit zusammenkommen könnte, schien dabei zunächst
       alles andere als klar. Der Abstimmung unmittelbar vorangegangen war ein
       Redebeitrag des taz-Genossen Junge-Hülsing, der ausführlich begründete,
       warum er die „Seitenwende“ ablehnt: „Eigentlich sind einige von uns,
       vielleicht ich selbst, ein bisschen schizophren: Wir halten
       Genossenschaftsanteile, damit eine linke Tageszeitung gedruckt werden kann,
       und wir bezahlen hohe Abogebühren, damit wir sie auch kriegen. Aber das
       einzige Signal ist: Wann hört ihr endlich auf mit dem Zeitunglesen?“
       
       Junge-Hülsing meinte, es sei ein „Treppenwitz“, dass ausgerechnet die
       progressive taz nun mit „Alternativlosigkeit“ argumentiere. Letztlich rief
       er die Chefredaktion und Geschäftsführung dazu auf, eine neue Strategie
       vorzulegen, die sowohl das Fortbestehen der täglichen Printausgabe als auch
       die digitale Transformation mit einschließt.
       
       Es folgte eine Dreiviertelstunde Aussprache mit den Genoss*innen, von denen
       einige Junge-Hülsings Kritik zustimmten, viele aber mit Verve
       widersprachen: Es gebe durchaus eine Alternative zur Einstellung des
       werktäglichen Drucks, merkte eine Genossin an, und zwar: „in Schönheit zu
       sterben“. Es gelte aber zu bewahren „wofür die taz steht“, und das ginge
       nur, indem man „jetzt diesen Weg geht“, subsumierte sie unter Applaus.
       
       Eine zweite Abstimmung forderte von den Genoss*innen schon mehr als gute
       Stimmung. Weit hergeholt war es daher nicht, dass Vize-Chefredakteurin
       Katrin Gottschalk vom „Ja-Wort“ sprach, und sich anschließend fast im
       Freud’schen Sinne versprach, als sie die Formulierung „bis ans Ende unserer
       Tage“ andeutete. Aber auch auf die Frage, ob die Genoss*innen „in den
       nächsten zwei Jahren“ auch Abonnent*innen bleiben wollen, antworteten 69
       Prozent mit „Ja“.
       
       ## Ein Blatt wendet sich
       
       Folglich geht die taz ihren ungewöhnlichen Weg nun aus einer „Position der
       Stärke“ heraus, wie Geschäftsführerin Aline Lüllmann betonte. Damit erhält
       der größte Schritt im Prozess der digitalen Transformation der taz nach
       sechs Jahren Vorbereitungszeit nicht nur ein Datum, sondern auch breite
       Unterstützung seitens der Genossenschaft.
       
       Seit 2018 verfolgt die taz das strategische Ziel, den Rückgang im
       traditionellen Print-Abo-Geschäft zu kompensieren und dabei die
       Leser:innen-Reichweite zu steigern: Inzwischen ist die ehemalige
       Wochenend-Ausgabe zur Wochenzeitung „wochentaz“ ausgebaut – sie wird auch
       weiterhin immer samstags bundesweit gedruckt erscheinen.
       
       Die tägliche Zeitungsausgabe hat bereits ihre eigene App: Das ePaper in der
       taz-App wird auch nach der Einstellung des Drucks von Montag bis Freitag
       als abgeschlossenes Zeitungsprodukt erscheinen. Darüber hinaus wird auch
       die Website der taz weiter ausgebaut und Mitte Oktober 2024 einen
       umfangreichen Relaunch erfahren.
       
       ## Schritt in die Zukunft der taz
       
       „Wir sind glücklich und erleichtert, dass alle Zukunftsprodukte der taz
       jetzt so weit entwickelt und auch so erfolgreich sind, dass wir diesen
       wichtigen Schritt in die publizistische Zukunft der taz gehen können. Es
       war ein langer Weg bis hierhin und er ist weder uns noch der taz insgesamt
       leichtgefallen. Mit der Festlegung des Datums der letzten gedruckten
       werktäglichen Ausgabe haben wir nun eine wichtige Entscheidung getroffen,
       um die wirtschaftliche Zukunft der taz zu sichern“, erklären Aline Lüllmann
       und Andreas Marggraf, die beiden taz-GeschäftsführerInnen.
       
       Natürlich sei dieser Prozess für das konzernunabhängige Haus ein Kraftakt,
       sagen Lüllmann und Marggraf. Aber: „Mit Stolz können wir sagen, dass wir
       die wirtschaftlichen Kennzahlen, nach denen wir unsere Seitenwende
       orchestriert und jetzt auch terminiert haben, bereits erreicht haben oder
       absehbar erreichen werden. Die gesamte taz zieht mit, das wissen wir – und
       unsere LeserInnen und GenossInnen werden uns unterstützen, davon sind wir
       insbesondere nach den Reaktionen auf der heutigen Generalversammlung
       überzeugt.“
       
       ## Kräfte für noch mehr Journalismus
       
       Auch die taz-Chefredaktion ist zuversichtlich: „Wir wissen ja längst, dass
       taz-Journalismus auf allen Kanälen funktioniert – digital ebenso wie in
       print“, erklären die Chefredakteurinnen Barbara Junge und Ulrike
       Winkelmann. „Unsere Analysen, Kommentare und Recherchen, unsere Haltung und
       Ironie bleiben auf mindestens bekanntem Niveau. Die technischen Umbrüche
       können sogar Kräfte für noch mehr Journalismus freisetzen, damit die taz
       die wichtigste linke, progressive Stimme in der deutschen Medienlandschaft
       bleibt.“
       
       Vize-Chefredakteurin Katrin Gottschalk erklärte am Samstag in ihrer Rede
       vor der Genossenschaft: „Vor 46 Jahren endet das Editorial der ersten taz
       mit dem Ausruf: Die taz ist kein Papiertiger! Heute stimmt dies für uns in
       doppelter Hinsicht. Die taz bleibt relevant und geht als erste
       überregionale Zeitung diesen wichtigen Schritt in die Zukunft. Wir freuen
       uns darauf!“
       
       14 Sep 2024
       
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